Majella Nationalpark – Ökotourismus mit Stil

Man nehme eine grandiose Natur, mische sie mit einem Hauch von Nachhaltigkeit dall`Italiano und gebe eine gute Portion an unvergesslichen Erlebnissen hinzu: Fertig ist das perfekte Erholungspaket. Tiefe Schluchten, karge Mondlandschaften und Jahrtausende alte Spuren menschlicher Existenz – Majella, das Muttergebirge der Abruzzen zeichnet sich durch viele Extreme aus. Ihre mächtige Wirkung vereint sie zu einem großen Ganzen: Der Rückbesinnung auf den Ursprung.

Abruzzen - Majella Nationalpark
Blick in die faszinierende Bergwelt des Majella-Gebirgszuges @Almut Otto

„Das hat Stil!“, ist der erste Eindruck, den ich vom Majella Nationalpark habe. Ich sitze mit zwei Kolleginnen und unseren Guides John und Giovanni im der Gaststube des dezent mit Antiquitäten dekorierten Agrotourismusbetriebes „Il Portone“. Während ich die köstlichen – natürlich vom Wirt selbst zubereiteten Antipasti genieße – lasse ich meinen Blick über die Einrichtung schweifen: hölzerne Schneeschuhe und alte Spindeln kann ich noch als solche erkennen. Aber was bitte ist das für ein eigenartiges Zupfinstrument in Zither-Optik? „Das ist eine ´Chitarra pergli Spaghetti´, eine Spaghettimaschine,“ klärt mich Giovanni auf, „der Teig wird über das Gitter gelegt und dann mit einem Nudelholz durch die eng beieinander liegenden Saiten gepresst. Und schon haben die Pasta eine gleichmäßige Form.“ Sehr praktisch!

Ein Platz für Eremiten

Das Majellamassiv zieht nicht nur mich unweigerlich in seinen Bann. Schon seit Jahrtausenden übt der auch als Mutterberg bekannte Gebirgszug mit seinen majestätischen Gipfeln und imposanten Schluchten eine unglaubliche Faszination auf die Menschen aus: Religionsübergreifend nutzten Glaubensvertreter verschiedenster Richtungen die Einsamkeit dieser fast überirdisch scheinenden Natur um dem Göttlichen näher zu sein. Darum gibt es hier – neben Tibet – die meisten Einsiedeleien der Welt.

Abruzzen - Majella Nationalpark
Hier wohnte einst Papst Zöletin V. – heute darf sich jeder für ein paar Tage in diese traumhafte Einsamkeit zurückziehen. @Almut Otto

Grund genug, die Spuren der Eremiten zu erkunden. Unsere erste kleine Tour führt über schmale, gut beschilderte Pfade zur spektakulären Eremitage San Bartolomeo di Legio. Wie ein Adlerhorst thront die in den Fels gehauene Kapelle über der Schlucht von Santo Spirito. Hier also ist der Ort, zu dem sich Papst Zölestin V. – der legendäre Papst, der keiner werden wollte und der erste, der zurück getreten ist – erstmals zurückgezogen hatte. Wer für ein paar Tage der Alltagshektik entfliehen möchte, darf diese heilige Stätte übrigens als Übernachtungsplatz nutzen, sofern das Lager anschließend wieder besenrein hinterlassen wird.

Ob einer von uns an Klaustrophobie leidet, möchte John wissen. Der Gang zur nächsten Eremitage erfordere etwas Mut. Mit einem etwas mulmigen Gefühl wandern wir durch das grüne Orfento Tal. Der Weg führt durch einen märchenhaften Buchenwald, der urplötzlich einen atemberauenden Blick auf eine unendlich scheinende, dicht bewachsene Schlucht freigibt. Von Zeit zu Zeit, so die Legende, soll sich am tiefen Ende der Schlucht eine Pforte öffnen und einen unermesslichen Schatz freigeben. Doch wer nicht schnell genug ist, den sperre die Schlucht auf immer und ewig ein. Bisher hat es noch kein menschliches Wesen geschafft, lebend dieser Verlockung zu entkommen.

Abruzzen - Majella Nationalpark
Der Weg zur Eremitage wird immer niedriger – die Zweizimmer-Einsiedelei erreicht man nur im Kriechgang. @Almut Otto

Da scheint der Eingang zur Eremitage San Giovanni dell Orfento ja fast ein Kinderspiel: Zwanzig Stufen führen seitlich zu einer in den Fels gehauenen, immer niedriger werdenden Passage hinauf. Nun heißt es auf den Boden legen und über den aalglatt polierten, knapp menschenbreiten Stein robben. Rechts geht´s fünfzehn Meter ungesichert in die Tiefe. Konzentriert arbeite ich mich durch das steinerne Nadelöhr. Schließlich wollte der heilige Baumeister San Giovanni, dass man sich seinem Rückzugsort wie eine Schlange nähere. Die Mühe lohnt: Stolz sehe ich mich in der gerade einmal menschenhohen Behausung um. Ein kleiner Altar lädt zum Meditieren ein. Durch die kleine Zweizimmerhöhle – die wohl schon in der Bronzezeit Menschen beherbergt hat – führt ein ausgeklügeltes Wasserleitungssystem, das Regenwasser in einer Zisterne sammelt.

Auf dem Rückweg versinke ich in Gedanken. Berge – wer meint, dass immer nur der höchste Gipfel das Ziel sein kann, wird im Majellapark eines Besseren belehrt. Ohne Zweifel bietet der 2793 Meter hohe Monte Amaro eine grandiose Aussicht und sollte auf jeden Fall erklommen werden. Doch es muss nicht immer nur höher, schneller und weiter sein. Ein Gang zurück – den Blick auf das Wesentliche gerichtet – scheint manchmal angemessen.

Dank einer vorausschauenden Politik und vorbildlicher Rekultivierung einheimischer Arten haben die Abruzzen ihren ursprünglichen Charakter erhalten können. Derzeit steht etwa ein Drittel des Gebiets unter Naturschutz. Erst seit wenigen Jahren erschließt ein bewusst sachte inszenierter Tourismus ausgewählte Abschnitte für die Öffentlichkeit. Das Ergebnis ist eine fast vollkommen intakte Bergwelt mit einer außergewöhnlichen Flora und Fauna. Und modernen, traditionsbewussten Menschen, die diesen Schatz zu erhalten wissen. Molte grazie a voi!

Hintergrundinfos

Allgemein

Majella National Park

Der im Jahr 1991 gegründete Majella Nationalpark verläuft größtenteils über bergiges Gelände von knapp 74.095 Hektar. Dementsprechend liegen auch etwa 55 % des Parks oberhalb von 2000 m. Trotz Jahrtausende alter geschichtlicher Traditionen – erste archäologische Funde reichen bis in die Altsteinzeit zurück – konnte sich das Labyrinthartige Gebiet mit seinen tiefen Schluchten eine unglaubliche Artenvielfalt erhalten. Dementsprechend wurden im Park 2114 Pflanzenarten, davon 142 endemische Pflanzen nachgewiesen. Zudem leben hier 45 Prozent der in Italien vorkommenden Säugetierarten. So unter anderem mit vier Rudeln der kurz vor dem Aussterben bedrohte apenninische Wolf , 30 bis 50 marsikanische Braunbären sowie Rotwild, Gämsen desweiteren auch 130 Vogelarten wie Königs- und Steinadler, Wander- und Lannerfalken.

Der Park ist über die Orte Sulmona, Pescocostanzo und Guardiagrele erreichbar. Am Parkeingang widmen sich Besucherzentren wie das Paolo Barasso in Caramanico Terme, Maurizio Locati in Lama die Peligni, S. Eufemia a Maiella im gleichnamigen Ort unterschiedlichen Themen wie dem heimischen Wolf, der Gämse, den Braunbären, der Archäologie und der Botanik.

Kontakt: Majella Nationalpark, Via Badia n. 28, 67039 Sulmona (AQ), T. +39/0864/25701, F. +39/0864/2570450, www.parcomajella.it

Anreise: per Flugzeug nach Rom oder Pescara, von dort mit einem Mietwagen zu den Orten Sulmona bzw. Guardiagrele

 Beste Reisezeit: Ganzjährig! Wobei sich die jeweiligen Jahreszeiten für unterschiedliche Aktivitäten eignen: Während sich der Sommer für höhere Gebirgswanderungen anbietet, laden Frühjahr und Herbst zu Wanderungen und Radtouren in niedrigeren Höhen, zu Eremitagen und zu Städtetouren ein. Im Winter heißt es dann Skifahren, Langlaufen und Touren gehen.

Übernachten und Essen

Agriturismo Il Portone

Abruzzen - Majella Nationalpark
Hier lässt es sich gut wohnen. @Almut Otto

Der stilvoll eingerichtete, hervorragend restaurierte, alte Biobauernhof liegt in den grünen Hügeln des Majellanationalparks, nicht weit vom Blockhaus entfernt. Insgesamt stehen neun, mit antiken Möbeln dekorierte, fast hochherrschaftliche Zimmer sowie eine Wohnung mit zwei Doppelzimmern zur Verfügung. Besonderheiten: Fahrradverleih, Kochkurse und es dürfen Haustiere mitgebracht werden. Internet vorhanden.

Il Portone, C. da San Martino 2,  65020 Abbateggio (PE), T. +39/085/8543512, www.borgosanmartino.eu

Agriturismo Pietrantica

Urlaub auf dem Bio-Bauernhof dall‘Italiano: Gegessen wird mit der ganzen Familie. Mutter Marisa kocht hervorragend. Meist gibt es selbst angebaute Produkte. Besonders zu empfehlen sind ihre Dinkelgerichte, deren Samen Schwiegervater Paolino schon vor Jahrzehnten wohlweislich zur Seite gelegt hat, um sie später einmal zu rekultivieren. Ehemann Camillo arbeitet nebenher bei der Bergrettung. Er kennt sich im Majellagebirge sehr gut aus. Die Zimmer sind einfach, aber mit allem ausgestattet. Insgesamt stehen im ganzen Dorf acht Appartements zur Verfügung.

Agriturismo Pietrantica, Marisa und Camillo Sanelli, C. da Decontra n°21, Caramanico Terme (PE), T. + F. +39/085/922188, www.agripietrantica.com

Locanda del Barone

Ein hervorragend geführter Familienbetrieb, in dem Essen zelebriert wird: Der Vater kocht einmalig, der Sohn könnte auch in einem Sternerestaurant servieren und die Mutter sorgt rundum für eine heimelige Atmosphäre. Käse und Fleisch – zum Beispiel Wildschein – werden übrigens von der Familie selbst verarbeitet. Die sechs Zimmer sind großräumig und komfortabel ausgestattet. Locanda del Barone, Contrada Casa del Barone, 65023 Caramanico Terme (PE), T. +39/085/92584, F. +39/085/4969787, www.locandadelbarone.it

Kulinarisches

Abruzzen - Majella Natioanlpark
Antonio beim Eismachen – unbedingt das Erdbeereis probieren. @Almut Otto

In San Valentino steht eine der besten Eisdielen Italiens: La Gelateria di San Valentino. Inhaber Antonio hat schon mehrere nationale Auszeichnungen erhalten. Seine Spezialität ist Erdbeereis, doch auch seine der Jahreszeit entsprechende Haselnussvariante – natürlich ohne künstliche Aromen, Zusatz- und Farbstoffe – ist Spitzenklasse. Die Cafébar hat von Mitte November bis Ende Oktober geöffnet. La Gelateria di San Valentino, Via Cupoli, 1/3, 65020 San Valentino (PE), T. +39/085/8574229

Info Wandern

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Wandervergnügen im Majella-Park. @Almut Otto

Das Majella-Gebirge bietet an die 120 Wanderwege in unterschiedlichsten Schwierigkeitsgraden. Bemerkenswert ist, dass alle Wege an naturwissenschaftlich, kulturell oder historisch bedeutenden Orten vorbeiführen. Je nach Kondition und Zeit bieten sich einstündige Spaziergänge bis zu Mehrtagestouren an. Ob auf den Spuren der Heiligen, der einmaligen Flora und Fauna oder eine anspruchsvolle Bergwanderung im Zentralmassiv oder der Majellakette – jede Tour hat ihren eigenen Reiz. Besonders Eindrucksvoll ist eine Wanderung durch die wilde Orfento Schlucht. Weitere Informationen hierzu gibt es vor Ort in den drei Informationsbüros des Parks.

Wanderkarte Majella (Blatt 13) 1:25:000 Edizioni Il Lupo, ISBN 9788888450179, 13,90 €

Info Biken

Dank einer interaktiven Karte und GPS Daten unter www.besuchabruzzo.de kann sich jeder seine Wunschroute schon vor dem Urlaub heraussuchen. Als Ausgangspunkt eignet sich für Touren durch den Majella Park der Ort Scanno, der auch in Reichweite Parco Nazionale D‘Abruzzo und Sirente-Velino liegt. In Scanno findet in diesem Jahr übrigens erstmals das X -Terra Italy Event statt.

Gerade für Mehrtagestouren bietet sich eine organisierte Reise mit einheimischem Guide an, der nicht nur Hotels vorbestellt sondern auch die geheimen Schleichwege der Hirten kennt. Giovanni Nori ist einer der wenigen deutschsprachigen Guides in den Abruzzen. Er fährt nicht nur Bike, sondern organisiert auch Wanderungen.

Monti e mare, Giovanni Nori, Via Gran Sasso D’Italia 24, 66020 San Giovanni, Teatino, Telefon: +39/348/44 51 772, http://www.monti-e-mare.de

Info Klettern

Im Majellanationalpark gibt es vor allem in Roccamorice hervorragende Klettermöglichkeiten. Hier bieten an die 300 Routen mit Schwierigkeitsgraden von 4 – 8 Spaß für alle Könnensstufen. Beste Anlaufstelle für Material und Schulung ist Giampiero Di Federico, Martino 33, Abbateggio/PE, T. +39/340/665 0939, http://www.monteabruzzo.it

Info weitere Aktivitäten

Abruzzen - Majella Nationalpark
Unvergesslich: Der Ausritt durch unberührte Natur. @Almut Otto

Fernab von Straßenverkehr und Zivilisation bietet ein Ausritt zu Pferde einen einmaligen Perspektivenwechsel. Ob ein mehrtägiger Ausflug auf den Spuren der Transhumanz – der Wanderviehwirtschaft – oder ein Tagesritt am Fuße des Monte Amaro: Reiten im Majellapark ist ein einmaliges Erlebnis.

Parco Equituristico Majella Morrone, Frank Montefusco / Claudia Maria Sartone, Mobil Frank +39 3296158826 oder Mobil Claudia +39/329/6158824, www.parcoequituristicomajella.it

Text und Fotos: Almut Otto

geschrieben für das Allmountain Magazin/2013