HERZPFLASTER SOLL KONTRAKTIONSKRAFT NACH HERZINFARKT VERBESSERN

Ein Herz kann man nicht reparieren – oder doch? Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) arbeiten derzeit an einem Herzpflaster, das lädiertes Gewebe am Herzmuskel überbrücken soll. Dieses entsteht vor allem nach einem Herzinfarkt. Einen solchen erleiden etwa 200.000 Deutsche pro Jahr. Doch dank einer heutzutage sehr guten Notfallversorgung überleben etwa mehr als drei Viertel von ihnen. Aber an ihrem Herzmuskel bleiben oft geschädigte Bereiche zurück. Diese haben ihre Kontraktionskraft für immer verloren. Denn die Herzmuskelzellen von Erwachsenen sind nicht in der Lage, sich zu teilen. Sie können also kein neues Gewebe bilden. Es kommt somit zu einem dauerhaften Funktionsausfall, der den verbliebenen Herzmuskel belastet. Bei rund einem Viertel der Infarktpatienten führt dies zu einer chronischen Herzschwäche. Dazu Professor Dr. med. Claus F. Vogelmeier, Direktor des Universitätsklinikums Marburg UKGM:

Unter dieser sogenannten Herzinsuffizienz leiden sehr viele Patienten in Deutschland. Umso wichtiger ist es, dass die Forschung hier vorangetrieben wird.“

Vogelmeier ist dieses Jahr Kongresspräsident der diesjährigen, übrigens 125., Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin DGIM, die am 7. Mai 2019 in Wiesbaden stattfindet. Hier werden die Experten unter anderem die Entwicklungs- und Einsatzmöglichkeiten der Streifen diskutieren.

WELTWEITE FORSCHUNGEN ZU DIESEM THEMA

Derzeit arbeiten etliche Labore weltweit mit verschiedenen Stammzellen, aus denen sich Herzmuskelzellen gewinnen lassen. Diese Zellen können zum einen direkt in den Herzmuskel gespritzt werden. Sie können aber auch auf einem Gerüst aus Collagen oder Fibrin zu einem spontan schlagenden Herzmuskelflicken vorgezüchtet werden. Diese auch als „Engineered heart tissue“ (EHT) bezeichneten Gewebe werden dann in einem chirurgischen Eingriff auf die Oberfläche des Herzens aufgenäht. Hier wachsen sie anschließend an und bilden neues Herzgewebe.

HERZPFLASTER BRINGEN EINIGE VORTEILE

Das Aufbringen dieser Pflaster ist zwar aufwändiger als die Zellinjektion, hat aber mehrere Vorteile“, erklärt Professor Dr. med. Thomas Eschenhagen, Vorstandsvorsitzender des DZHK und Institutsdirektor am Zentrum für Experimentelle Medizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf UKE.

So würden erstens keine Zellen abgeschwemmt. Dadurch erhöhe sich die Effizienz deutlich. Auch gebe es, anders als nach einer Zellinjektion, keine Herzrhythmusstörungen. Und schließlich lasse sich die Kontraktionskraft des neuen Gewebes bereits vor der Implantation testen. Eschenhagen entwickelte das prinzipielle Tissue-Engineering-Verfahren bereits vor 25 Jahren gemeinsam mit Kollegen aus den USA.

ERFOLGREICHE TESTS AN TIEREN

Sowohl die Injektion von Herzmuskelzellen, als auch das Aufbringen von Herzpflastern sind bereits erfolgreich bei verschiedenen Tierarten getestet worden. „Zum Teil ließen sich beeindruckende Mengen von neuem Herzmuskelgewebe nachweisen“, beschreibt Eschenhagen die Tests. Bis auf Herz-Rhythmusstörungen, zu denen es nach einer Zellinjektion vorübergehend kommen könne, seien keine schwerwiegenden Nebenwirkungen aufgetreten – insbesondere keine Tumore. Diese gelten nämlich als gefürchtetes Risiko bestimmter Stammzellenarten.

Derzeit sind jedoch noch einige Fragen offen. So ist etwa der Langzeitverlauf eines derartigen Eingriffs noch nicht bekannt. Auch ist die mechanische und elektrische Ankopplung des neuen Gewebes an den Herzmuskel noch unklar. Zudem wird noch nach Zelllinien geforscht, die nicht abgestoßen werden und daher keine Immunsuppression erfordern.

HERZPFLASTER STATT SPENDERHERZ

„Diesen Fragen gehen einige der vom DZHK geförderten Projekte derzeit noch nach“, erklärt Eschenhagen. Dennoch sind die Mediziner zuversichtlich, schon in absehbarer Zeit Patienten mit den neuen Zellen behandeln, und ihre Herzfunktion wieder verbessern zu können. Die Vorbereitungen dafür laufen. Und bereits im kommenden Jahr sollen in einer DZHK-Studie erste Herzpflaster an Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz getestet werden. So könnte ihnen ein Spenderherz erspart bleiben.

Bis die Wissenschaftler des DZHK so weit wie heute gekommen sind, bedurfte es einiger Vorabforschungen über das Züchten von Hautzellen zur Behandlung von Herzerkrankungen. So wurde im Jahre 2016 ein im Labor gezüchtetes, menschliches Herzmuskelgewebe erstmals erfolgreich auf ein krankes Meerschweinchenherz genäht. Und im Dezember 2018 gaben die Forschenden bekannt, dass sie schlagendes menschliches Herzmuskelgewebe der Vorhöfe aus Hautzellen gezüchtet hatten.

PHYSIOTRUCK – GESUNDHEITSVORSORGE VOR DER HAUSTÜRE

Manchmal, da fehlt ganz einfach die Zeit, um etwas mehr für die eigene Gesundheit zu tun. Wie schön wäre es zum Beispiel, in der Mittagspause an einem professionellen Zirkel-Training teilzunehmen, alternativ eine Entspannungsmassage zu genießen oder ganz gezielt, auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt, eine professionelle Physiotherapie zu erhalten? Am besten direkt vor Ort, in Fußnähe des Arbeitsplatzes und vielleicht sogar auf Kosten des Arbeitgebers. Das könnte ab sofort möglich werden. Denn Arbeitgeber wissen: In einem gesunden Körper steckt auch ein gesunder Geist, also eine leistungsfähige Arbeitskraft. Deshalb bieten auch immer mehr Arbeitgeber ihren Mitarbeitern eine gezielte, betriebliche Gesundheitsvorsorge an. Diese senkt nicht nur den Krankenstand. Sie fördert auch die Motivation der Arbeitnehmer und trägt zur Verbesserung des Allgemeinbefindens bei. Doch meist hat sie einen Haken: Die Durchführung scheint immer etwas umständlich.

UMGEBAUTER RETTUNGSWAGEN

Und genau auf diese Thematik haben sich der Taunussteiner Physiotherapeut Erfan Barogh und seine Kollegin Tamara Hanssen mit ihrem einmaligen Angebot spezialisiert. Nach seinem Studium an der Fresenius Hochschule baute der ehemalige Rettungssanitäter Barogh neben seiner beruflichen Tätigkeit eigens einen ausgedienten ASB-Rettungswagen als komplett ausgestattete, mobile Physiotherapie-Praxis um. In dem sogenannten Physiotruck ist alles drin, was das Team für seine Arbeit benötigt: Angefangen von einer modernen Therapieliege über ein Waschbecken bis hin zu Gymnastikgeräten sowie Hilfsmitteln wie Öle, Triggerstäbe und Tapes.

@physiotruck

Auch optisch erinnert das Innere des Wagens an eine kleine, liebevoll gestaltete Physio-Praxis: Eine kleine Palme sowie die apfelgrünen Sitz- und Liegeflächen lockern das ansonsten puristisch-modernen Design des Mobiliars auf. Zudem ist die Beleuchtung auf die jeweilige Behandlung abstimmbar. Und zu guter Letzt kann auf Wunsch auch eine leise Lounge-Musik im Hintergrund abgespielt werden.

Fast ein halbes Jahr baute der junge Unternehmer an seinem Truck. Zwar waren einige Standards wie Stromanschluss, Licht, Standheizung, Klimaanlage und Schränke in dem Fahrzeug schon vorhanden. Doch viele weitere Arbeiten kamen noch hinzu. So baute er einen neuen Boden ein, folierte die Schränke, setzte LED-Lichter ein, verkleidete die Radkästen und vieles mehr. Für zusätzliche Einbauten wie Waschbecken oder Eisfach – dies benötigen Barogh und Hanssen, um beispielsweise Kryotherapie anbieten zu können – verwendete er unter anderem Materialen aus dem Wohnmobilbereich.

VORTEILE DER MOBILITÄT

Die Mobilität der außergewöhnlichen Physio-Praxis bietet einige Vorteile: So müssen vor Ort, also in den avisierten Unternehmen, nicht Extra-Räume für die Behandlung zur Verfügung stehen. Auch braucht der Therapeut selbst nicht umständlich sein ganzes Equipment zum Patienten beziehungsweise Kunden tragen. Vor allem aber ist die Ausstattung, im Vergleich zu anderen mobilen Angeboten, die mit faltbaren Massagebänken arbeiten, um einiges hochwertiger. So ist beispielsweise im Truck eine professionelle, therapeutische Liege eingebaut. Zudem hat das Team gleich alle nur denkbaren, notwendigen Utensilien – vom Kräuterstempel-Gerät bis hin zum Schröpfset – immer dabei und auch gleich griffbereit zur Hand. Des Weiteren bleibt, dies ist bei anderen mobilen Angeboten nicht immer möglich, im Truck die Privatsphäre stets gewahrt. Und natürlich herrscht hier ein medizinisch sauberes Umfeld.

UNTERNEHMEN UND VERANSTALTER ALS KUNDEN

Im Moment ist das Team vor allem im Bereich des Taunuskreises unterwegs. Doch kann es sich durchaus vorstellen – sofern es für mehrere Tage gebucht wird – seinen Wirkungskreis auszuweiten. Aufgrund gesetzlicher Einschränkungen – wie etwa der geforderten Quadratmeterzahl der Therapiefläche und dem Nichtvorhandensein von sanitären Einrichtungen konzentrieren sich Barogh und Hanssen vor allem auf präventive Maßnahmen der beruflichen Gesundheitsförderung sowie auf Veranstaltungen der Sport- und Gesundheitsbranche. Und es kann sich freuen: Das mobile Konzept kommt gut an. Derzeit ist das Team mit dem findigen Geschäftsmodell für etwa einen Monat im Voraus ausgebucht. Die Kunden sind hauptsächlich Unternehmen und Veranstalter. Doch auch ein Privatrezept – sofern ein Hausbesuch verordnet wurde – könnte über den Physiotruck abgerechnet werden. Hierfür müsste der Truck nur auf dem Gelände des Patienten parken können. Je nach Therapie benötigt der Physiotherapeut daafür einen Stromanschluss von 240 V.

VISIONEN MOBILER THERAPIE

Einen Blick in die Zukunft der mobilen Physiotherapie sieht Barogh wie folgt:

Wenn ich an die Zukunft der mobilen Physiotherapie denke, denke ich gerne an meine ursprüngliche Idee zurück: Während meines Physiotherapie-Studiums an der Hochschule Fresenius arbeitete ich weiterhin in Teilzeit als Rettungsassistent. Dabei merkte ich, dass der Rettungsdienst häufig wegen vermeintlicher Bandscheibenvorfälle alarmiert wurde. Oft stellte sich dann heraus, dass diese Schmerzen eine ganz andere Ursache hatten, wie zum Beispiel muskuläre Verspannungen. Das wurde mir durch mein Know-how aus dem Studium klar. Als mich ein Patient daraufhin ansprach, dass er froh wäre, wenn Therapeuten einen mobilen Notfallservice anbieten würden, war die Idee zum Physiotruck geboren.“

Derzeit ist laut Barogh aufgrund gesetzlicher Vorlagen ein mobiler Notfallservice nicht möglich. Doch er führt gezielt Gespräche auf politischer Ebene, um hier auf die Schwachstellen in unserem Gesundheitssystem hinzuweisen. Gleichzeitig gibt er der Politik auch Anregungen, um die Physiotherapie durch einen mobilen Service vor allem im ländlichen Raum weiterzuentwickeln und auszubauen.

Sollte die Nachfrage weiter steigen, kann sich Barogh zudem zunächst einmal vorstellen, einen weiteren Truck umzubauen und einzusetzen. Damit würde er sein derzeitiges Arbeitsgebiet auf den Raum Wiesbaden erweitern. Mit seinem Konzept könnte Barogh zukünftig durchaus weitere Arbeitsplätze schaffen und vielleicht sogar ein Umdenken in der unzeitgemäßen Gesundheitsvorsorge bewirken.

FORSCHUNGSPROJEKT „GRÜNELUNGE“ ERFORSCHT DIE RESILIENZ VON BÄUMEN IM URBANEN RAUM

Extreme Wetterverhältnisse machen besonders unseren Bäumen in der Stadt zu schaffen. Denn laut Beobachtungen sind sie, da sie nicht in einer natürlichen, sondern gebauten Umgebung wachsen, anfälliger für die Folgen globaler Erwärmung. Dazu gehören bekanntermaßen Hitzewellen, Dürren, Stürme oder Starkregen. Somit könnten natürliche Prozesse (ökophysiologische Prozesse) wie etwa das Verdunsten von Wasser über die Blätter, also die Transpiration wie auch die Photosynthese, insbesondere bei heimischen Baumarten künftig an Intensität verlieren.

Doch nicht nur das:

Wachsende und immer dichter bebaute Städte, Umweltverschmutzung sowie mechanische und chemische Schäden gefährden die Existenz und Vitalität städtischer Wälder“, erklärt Dr. Somidh Saha, Forstwissenschaftler am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT.

Saha ist Leiter des kürzlich gestarteten dreijährigen Forschungsprojekts „Inter- und transdisziplinäre Entwicklung von Strategien zur Erhöhung der Resilienz von Bäumen in wachsenden Städten und urbanen Regionen (GrüneLunge)“.

ÖKOSYSTEMDIENSTLEISTUNGEN DER BÄUME

Die Bäume sind derzeit einem extremen Stress ausgesetzt, die die Gesundheit sowie auch die physiologische Aktivität der Pflanzen beeinflusst. Und das, obwohl wir sie doch so dringend benötigen – auch und gerade in der Stadt. Denn hier machen die Pflanzen nicht nur aus optischen Gründen Sinn. So kühlen sie beispielsweise während Hitzeperioden durch die Abgabe von Feuchtigkeit effektiv ihre Umgebung ab. Zudem bieten sie gleichzeitig den notwendigen Schatten. Auch filtern Bäume die verschmutzte Luft, indem sie CO2 und Abgaspartikel binden. All dies sind Ökosystemdienstleistungen, die angesichts des Klimawandels eine immer größere Bedeutung erhalten. Doch die rasch zunehmende Urbanisierung der Städte wirkt dagegen. Also muss gezielt an dem Erhalt der Grünflächen sowie einer gesunden Pflanzenpopulation in der Stadt gearbeitet werden.

Dies ist auch für die Forschenden der Stadt Karlsruhe der Anlass, im Rahmen des KIT-Projekts „Quartier Zukunft – Labor Stadt“, an kurz- und langfristigen Strategien zur Erhöhung der Resilienz von Bäumen zu forschen. Zumal gerade ihre Region als ‚besonders anfällig‘ für die Folgen des Klimawandels eingestuft wird.

Die Wissenschaftler arbeiten daran, die Pflege und Bewirtschaftung städtischen Grüns an die neuen Herausforderungen anzupassen. Ihr Idealziel ist es, die oben genannten Ökodienstleistung der Bäume sogar noch zu verbessern.

BEGRÜNUNGSKONZEPTE SOLLEN UMGESETZT WERDEN

„In den kommenden drei Jahren wollen wir besser verstehen, wie sich das Wachstum und die Ökosystemleistungen von Stadtbäumen und Stadtwäldern unter dem Einfluss von Luftverschmutzung und Dürre verändern“, so Saha. Messkampagnen in Karlsruhe, der Nachbarstadt Rheinstetten sowie andernorts sollen hier Aufschluss geben. Darauf aufbauend, wollen die Forschenden untersuchen, wie sich die Hitzebelastung in urbanen Räumen mithilfe von Bäumen am effektivsten verringern lässt. Der Blick richtet sich hier zum einen auf die Auswahl von Baumarten, die aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften besonders geeignet sind. Zum anderen wollen die Forscher größere Zusammenhänge betrachten. Hier sollen zugleich naturgemäße wie wirtschaftliche Begrünungskonzepte für Stadtteile, Parks, Straßenzüge und städtische Waldstücke entwickeln werden. Zum Abschluss des Projekts möchten die Wissenschaftler die gewonnenen Erkenntnisse in Karlsruhe und Rheinstetten auch umsetzen.

ÖFFENTLICHKEIT SENSIBILISIEREN

Für ihre Arbeiten koordiniert das ITAS-Team ein interdisziplinär besetztes Projektkonsortium. Partner sind das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Freiburg sowie die Städte Karlsruhe (Gartenbauamt und Forstamt) und Rheinstetten (Bauamt). Das Projekt „GrüneLunge“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 1,4 Millionen Euro gefördert.

Begleitet wird die Forschung von verschiedenen transdisziplinären Aktivitäten im oben schon erwähnten Reallabor Quartier Zukunft – Labor Stadt. So arbeiten die Forschenden mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Verantwortlichen in Karlsruhe und Rheinstetten zusammen. Denn das Projekt „GrüneLunge“ zielt darauf ab, einen Dialog und Wissenstransfer zwischen Bürgern, Förstern, Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern aus Karlsruhe und Rheinstetten anzustoßen. Somit sollen alle Beteiligten für die wesentliche Bedeutung einer grünen Stadt und deren gesunde Pflanzenpopulation sensibilisiert werden. Die Ergebnisse des Projekts ‚GrüneLunge‘ sind definitv auch für viele weitere Städe dieser Welt interessant.

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CROWD OIL: KRAFTSTOFF AUS DER KLIMAANLAGE

Wenn man von dem Konzept hört, fragt man sich, wieso vorher noch nie jemand auf die Idee gekommen ist: Die Herstellung eines synthetischen Kraftstoffes aus der Klimaanlage. Mit der Umsetzung könnten gleich mehrere, aktuelle Brennpunkte gelöst werden. Zum einen würden wir etwas unabhängiger von den begrenzten Ressourcen der fossilen Brennstoffe werden. Doch der Gedanke dahinter kam noch von einer ganz anderen Seite:

Wenn wir den erneuerbaren Wind- und Solarstrom sowie Kohlenstoffdioxid direkt aus der Umgebungsluft nutzen, um Kraftstoffe herzustellen, dann können wir große Mengen an Treibhausemissionen vermeiden“, so Professor Roland Dittmeyer vom Institut für Mikroverfahrenstechnik (IMVT) des KIT.

Denn die Wissenschaftler des Gemeinschaftsprojekts vom KIT und der University of Toronto (UoT)möchten mit ihrem Forschungsvorhaben einen Beitrag zur Verhinderung der katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels leisten. Um dies zu erreichen müssen die Mobilität, die Stromerzeugung sowie auch die Gebäudebewirtschaftung umgestaltet werden.

CROWD OIL STATT CRUDE OIL

Ihre Idee ist, ein Verfahren zu entwickeln, das aus Kohlendioxid (CO2) und dem Wasser aus der Umgebungsluft von Klima- und Lüftungsanlagen synthetische Kraftstoffe herstellt. Das heißt, sie möchten kompakte Anlagen bauen, die direkt in Gebäuden CO2 aus der Umgebungsluft abtrennen, somit synthetische Kohlenwasserstoffe herstellen, die sich dann wiederum als erneuerbares, synthetisches Öl nutzen lassen. Ihr Motto lautet dabei „crowd oil statt crude oil“.

Das Forscherteam rund um Dittmeyer und Professor Geoffrey Ozin von der UoT schlägt vor, die Herstellung synthetischer Energieträger dezentral zu organisieren. Sie denken hier vor allem daran, bestehende Lüftungs- und Klimaanlagen von Gebäuden, wie zum Beispiel denen der drei größten Supermarktketten in Deutschland, zu koppeln. Immerhin wären das an die 25.000 Filialen. Laut dem Entwicklungsteam sind die notwendigen Technologien dafür im Wesentlichen schon vorhanden. Durch eine thermische als auch stoffliche Integration ließe sich mit ihrem Konzept eine hohe Kohlenstoffausnutzung sowie auch Energieeffizienz erreichen. Dazu Dittmeyer:

Wir wollen die Synergien zwischen der Lüftungs- und Klimatechnik auf der einen und der Energie- und Wärmetechnik auf der anderen Seite nutzen, um Kosten und Energieverluste bei der Synthese zu senken. Darüber hinaus könnten durch ‚crowd oil’ viele neue Akteure für die Energiewende mobilisiert werden. Wie gut das funktionieren kann, haben wir bei den privaten Photovoltaik-Anlagen gesehen.“

SIGNIFIKANTE SENKUNG DER NUTZUNG FOSSILER BRENNSTOFFE

Für die Umwandlung des CO2 würden allerdings große Mengen an elektrischem Strom zur Herstellung von Wasserstoff beziehungsweise Synthesegas benötigt. Dieser Strom sollte CO2-frei sein. Er darf also nicht aus fossilen Quellen kommen. Somit sei auch ein forcierter Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung, unter anderem auch der gebäudeintegrierten Photovoltaik, notwendig, ist Dittmeyer überzeugt.

Als Beispiel für die Vision der dezentralen, an Gebäudestrukturen gekoppelten, sogenannten Konversionsanlagen, legen die Wissenschaftler quantitative Betrachtungen von Bürogebäuden, Supermärkten und Energiesparhäusern vor. Anhand ihrer Berechnungen gehen sie davon aus, dass in Deutschland durch den Einsatz von crowd oil ein signifikanter Anteil an fossilen Energieträgern ersetzt werden könnte.

Zum Beispiel würde allein die Menge an CO2, die potenziell bei den etwa 25.000 Supermärkten der drei größten Lebensmittelhändler abgeschieden werden könnte, ausreichen, um etwa 30 Prozent des Kerosinbedarfs oder rund acht Prozent des Dieselbedarfs in Deutschland zu decken.

VORUNTERSUCHUNGEN AUS KOPERNIKUS-PROJEKT P2X

Das Team kann übrigens für seine Berechnungen unter anderem auf Voruntersuchungen zu einzelnen Prozessschritten und Prozesssimulationen aus dem Kopernikus-Projekt P2Xzurückgreifen. Auf dieser Grundlage rechnen die Wissenschaftler mit einer Energieeffizienz – das bedeutet in diesem Zusammenhang der Anteil der aufgewendeten elektrischen Energie, die in chemische Energie umgewandelt werden kann – von etwa 50 bis 60 Prozent. Darüber hinaus erwarten sie eine Kohlenstoffeffizienz – also der Anteil der aufgewendeten Kohlenstoffatome, die sich im produzierten Kraftstoff wiederfinden – von etwas 90 bis annähernd 100 Prozent. Um diese Simulationsergebnisse bestätigen zu können, bauen die Forscher des IMVT zusammen mit Projektpartnern derzeit einen voll integrierten Prozess auf. Dieser soll einen geplanten CO2-Umsatz von 1,25 Kilogramm pro Stunde haben.

WEITERHIN REDUKTION VON ROHÖLBEDARF NOTWENDIG

Nichtsdestotrotz kann das vorgeschlagene Konzept – auch bei flächendeckender Einführung – den heutigen Bedarf an Rohölprodukten nicht vollständig decken. Somit ist auch die Reduktion des Bedarfs eine weitere Notwendigkeit. Dies könnte beispielsweise durch neue Mobilitätskonzepte und auch durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs möglich werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Bausteine, um Anlagen zur CO2-Abtrennung zu fertigen, sind heute schon vorhanden. Doch bedarf es noch großer Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen sowie der Anpassung rechtlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, um die deutsch-kanadische Vision in die Praxis umzusetzen.

Die gesamte Studie ist in der Nature Communications nachzulesen.

FORSCHUNGSPROJEKT ZU UMWELTFREUNDLICHEN UND LEISTUNGSFÄHIGEN NATRIUM-IONEN-BATTERIEN

Eine nachhaltige Energiespeicherung ist die zentrale Motivation, die hinter dem gerade gestarteten Forschungsprojekt „Transition“ ‒ bei dem umweltfreundliche, hochleistungsfähige sowie kostengünstige Natrium-Ionen-Batterien entwickelt werden sollen ‒, steckt. Denn die Märkte für Elektromobilität und stationäre Energiespeicherung werden im Zuge der Energiewende deutlich wachsen. Entsprechend erfordern sie energieeffizientere und leistungsfähigere Speichertechnologien. Noch gelten Lithium-Ionen-Batterien als einer der größten Erfolge für Energiespeicheranwendungen des letzten Jahrhunderts. Ihr Vorteil: Lithium-Ionen-Batterien sind leicht, kompakt und bieten eine hervorragende Energie- und Leistungsdichte. Somit dominieren sie den Markt für tragbare Elektronik, Hybrid- und Elektrofahrzeuge. Doch sie sind nicht unumstritten:

Angesichts der zunehmend steigenden Nachfrage nach Lithium und den in der Lithium-Technologie eingesetzten Rohstoffen wie Kobalt werden jedoch Bedenken hinsichtlich der zukünftigen und langfristigen Verfügbarkeit der kritischen Rohstoffe und der Kosten laut. In diesem Szenario stellen Natrium-Ionen-Batterien eine alternative, kostengünstige und umweltfreundlichere Energiespeichertechnologie dar“, so Professor Stefano Passerini, Direktor des HIU.

ALTERNATIVE ZU LITHIUM-IONEN-BATTERIEN

Ziel des neuen Forschungsprojekts ist es, die Natrium-Ionen-Batterien der nächsten Generation umweltfreundlich, kostengünstig und hochleistungsfähig zugleich zu gestalten. Denn nur so können sie eine echte Alternative zu Lithium-Ionen-Batterien sein. Um dieses Ziel zu erreichen haben sich Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts Ulm (HIU) mit dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) zwecks Technologietransfer zusammengeschlossen. Gemeinsam möchten sie leistungsfähige, flüssige und polymere Natrium-Ionen-Batterien entwickeln. Bei diesen soll auf der Kathodenseite Übergangsmetallschichtoxide und auf der Anodenseite Hartkohlenstoff aus Biomasse verwendet werden. Leiter der wissenschaftlichen Gruppen sind Professor Stefano Passerini (HIU), Dr. Margret Wohlfahrt-Mehrens vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) und Professor Philipp Adelhelm von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU). Neben den drei wissenschaftlichen Partnern ist zudem ein umfassender Industriebeirat am Projekt beteiligt. Gefördert wird das dreijährige Projekt im Rahmenprogramm „Batterien 2020“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,15 Millionen Euro.

BIOMASSE, POLYMERE ELEKTROLYTE UND KOBALTFREIE KATHODEN

„Dies ist das erste vom BMBF geförderte deutsche Konsortium, das an der Entwicklung hochskalierter Natrium-Ionen-Batterien arbeitet und ein breites Spektrum an Herausforderungen von der Materialentwicklung bis zur Herstellung von Prototypenzellen abdeckt“, so Passerini vom HUI. In dem Projekt wird das Team des HUI an einem innovativen, auf Biomasse basierenden Hartkohlenstoff in Kombination mit wässrigen Bindemitteln und Aluminium als Stromabnehmer forschen.

„Die Entwicklung von hochskalierten Prototypen der Natrium-Ionen-Batterien und das Erreichen der gewünschten Ziele stellen eine große Herausforderung dar, die sich nur in einem Netzwerk mit den komplementären Kompetenzen der Partner bewältigen lässt“, ist Stefano Passerini überzeugt. So wird das Team der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) die Forschungsaktivitäten zur Entwicklung fortschrittlicher flüssiger und polymerer Elektrolyte koordinieren. Während das Team des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) die Entwicklung kobaltfreier Kathoden vorantreibt. Mit ihren Forschungsarbeiten hoffen die Wissenschaftler, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken. So soll seine führende Position auf dem Gebiet der elektrochemischen Energiespeicherung unterstützt werden.

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BREEZE: LUFTSENSORIK FÜR SMARTE CITYS

15 bis 20 Atemzüge machen wir als erwachsene Menschen pro Minute. Glücklich derjenige, der im Grünen wohnt. Denn in der Stadt weiß keiner so genau, was er da gerade an Luft durch seine Lungen zieht. Und mit welchen – eventuell schädlichen – Stoffen er seinen Körper versorgt. Das kann sich ab sofort ändern. Schon 2015 gründeten die beiden Informatiker Robert Heinecke und Sascha Kuntze das Unternehmen Breeze Technologies in Hamburg. Mit der vom Start-up entwickelten Technologie zur Luftsensorik sowie der passenden Infrastruktur kann sich jeder über die Luftqualität an seinem Ort informieren. Während Heinecke heute Chief Executive Officer bei Breeze ist, übernahm Kunze den Posten des Chief Technology Officers des stetig wachsenden Unternehmens.

INTERAKTIVE KARTE ÜBER LUFTQUALITÄT

Das Produkt von Breeze ist weltweit gefragt: Die Jungunternehmer bieten nicht nur Luftqualitätssensoren an, sondern überzeugen zudem durch eine strukturierte Aufbereitung und Verarbeitung der Daten in anschaulicher Form. Hierfür stellt das Unternehmen auf seiner Website eine interaktive Karte als Bürgerinformationsportal zur Verfügung. Auf dieser kann man schon jetzt an einigen Standorten die Qualität der Luft erfahren. Doch je flächendeckender die von dem Hamburger Unternehmen entwickelten, kleinen Sensorenkästen eingesetzt werden, desto präziser sind auch die Infos.

Breeze Environmental Analytics Cloud & Air Quality Sensor ©Breeze Technologies

Die Stadtentwicklung ist ein erster relevanter Einsatzbereich“, so Heinecke zu den Zielen von Breeze, „jede Stadt, die das Leben für seinen Bürger lebenswerter machen möchte, die heute das Leben in der Stadt von Morgen plant, sollte in der Lage sein, Daten über die Luftqualität zu liefern und in Echtzeit einzugreifen, um diese zu verbessern.“

Und genau auf diese Thematik hat sich Breeze spezialisiert. Die etwa nur 9 cm großen Sensoren messen alle Indikatoren, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Bestimmung der Luftqualität identifiziert hat. Dazu gehören Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2), Stickstoffmonoxid (NO), Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub (PM10 und PM2.5), Schwefeldioxid (SO2), Ozon (O3) und Ammoniak (NH3).

SCHNELLE LÖSUNG VON QUALITÄTSPROBLEMEN MÖGLICH

Breeze sammelt all diese Daten in Echtzeit mit einem Messintervall von 30 Sekunden. So können potenzielle Probleme wie beispielsweise Staus umgehend identifiziert werden. Die Informationen wiederum befähigen das Stadtmanagement, diese sofort zu entschärfen und aktiv Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Plattform von Breeze Technologies lernt dank Künstlicher Intelligenz mit jeder Luftreinhaltemaßnahme dazu: Denn da mit den Echtzeit-Luftqualitätsdaten auch die Erfolge umgehend messbar sind, können die so gewonnenen Erkenntnisse direkt in den nächsten Projekten eingesetzt werden. Zudem kann durch die Sensoren die Auswirkung von baulichen Maßnahmen auf das Stadtklima analysiert und optimiert werden.

Übrigens sind die Sensoren auch in Bürogebäuden einsetzbar. Hier werden die Daten gleichzeitig mit smarten Lösungsvorschlägen zur Luftverbesserung – wie das Anbringen von Wandbeschichtungen mit photokatalysatorischen Effekten, also Sonnenlicht, oder auch von Mooswänden zur Luftfilterung –, ergänzt.

SO KOMMT JEDER ZU REINER LUFT

Zwar gibt es auch im Endkundenbereich, Messgeräte für die Luftqualität, doch, so Heinecke: „Ich kenne keines, bei dem ich mit der Qualität der Daten zufrieden bin. Die Messgenauigkeit und -zuverlässigkeit ist eine der größten Herausforderungen bei dem sehr wissenschaftlichen Thema der Luftqualitätsmessungen. Genau deshalb veröffentlichen wir auch detaillierte Informationen dazu, wie wir unsere Geräte kalibrieren und wie es um die Genauigkeit bestellt ist.“ Heinecke schlägt vor, dass sich Privatpersonen besser an Projekten zur Verbesserung der Luftqualität beteiligen und beispielsweise detaillierte Informationen über die aktuelle Situation bei den öffentlichen Stellen einfordern. Einen Überblick über die Luftqualität ist auf dem oben bereits erwähnten Bürgerportal zu finden. Dort sind auch alle öffentlichen Messstationen integriert. Stadtverwaltungen sollten Auskunft über die Luftqualität in den Straßen geben können. Doch man sollte auch mehr Infos, wie beispielsweise Echtzeitdaten, erhalten. Breeze arbeitet mit NGOs zusammen – so stammt die Technologie für ein Luftmessnetz entlang der Elbe, das von der NABUinitiiert ist, von Breeze.

VISIONEN

Derzeit betreut Breeze Projekte in den Städten Hamburg, Neckarsulm, Hennef und Moers. Kürzlich ist erst das Luftmessnetz in Neckarsulm online gegangen. Nun wird gespannt auf die ersten Rückmeldungen gewartet. Neben den Städten arbeiten die Hamburger auch mit Unternehmen zusammen, um ihre Lösungen weiter auszubreiten. Und sogar in mehreren europäischen Ländern sowie im außereuropäischen Geschäft ist das Start-up vertreten.

Die gesammelten Daten sollen zukünftig für weitere Anwendungsszenarien integrierbar werden. So könnten Asthmatiker anhand von flächendeckenden aktuellen Luftqualitätsdaten entscheiden, wann und wo sie draußen Sport treiben, wie zum Beispiel Laufen gehen. Heinecke zeigt noch weitere Visionen auf:

Stellen Sie sich vor, dass Ihre Lauf-App Ihnen die von Ihrer Position aus zum aktuellen Zeitpunkt gesündeste Laufroute generiert. Oder dass Sie, wenn Sie zukünftig eine Wohnung suchen, detaillierte Informationen über die durchschnittliche Luftqualität in der Straße erhalten. Wir arbeiten genau daran, so etwas zukünftig möglich zu machen.“

HINTERGRUND

Die Breeze Technologies UG wurde 2015 im Rahmen eines europäischen Innovations- und Accelerator-Programms für Smart Cities gegründet. Das Team des Unternehmens besteht aus Wissenschaftlern, Ingenieuren, Analysten, Informatikern, Designern und ehemaligen Beratern mit internationaler Berufserfahrung. Auch arbeiteten die Jungunternehmer eng mit bekannten Forschungsinstituten und Universitäten wie der Hafencity Universität und der Universität Hamburgzusammen. Nach der Förderung durch mehrere EU-Start-up-Programme wurde das Unternehmen ‒ neben etablierten Konzernen wie Bosch Sensortec und Siemens ‒, in der letzten Studie zum Markt der Umweltsensorik von MarketsAndMarkets als Schlüssel-Startup gekürt. Zudem wurde Breeze Technologies vom Europäischen Parlament als eines der vielversprechendsten Startups in der Europäischen Union ausgezeichnet. Und nicht zuletzt zählen die Gründer Robert Heinecke und Sascha Kuntze in den Forbes 30 Under 30 zu den wichtigsten europäischen Sozialunternehmern.

Hier geht es zum Unternehmensvideo, in dem die Technologie detaillierter erklärt wird.

DURCH SAUBERE SIPHONS KRANKENHAUSKEIME REDUZIEREN

Jährlich erkranken allein in Deutschland etwa 800.000 – 900.000 Menschen an in Verbindung mit einem Krankenhausaufenthalt entstandenen ‒ sogenannten nosokomialen ‒ Infektionen. Etwa ein Drittel dieser Fälle werden durch einen späteren, retrograden (rückläufigen) Bakterieneintrag bei immun-geschwächten Patienten verursacht. Die Patienten erkranken also erst im Krankenhaus. Eine der vielen Keim-Quellen ist das klinische Wassernetz.

©FEP

Während das Frischwasser sterilisiert wird, können über die Abflüsse Bakterien nahezu ungehindert in die Klinik gelangen. Wie eine im Januar veröffentlichte Studie zeigte, findet die bakteriologische Besiedlung zunächst in den Abwasserleitungen der wasserführenden Geruchssperre des Siphons statt. Wird nun der Wasserhahn geöffnet, läuft frisches Wasser durch das Abwasserrohr. Dabei strömt die Luftmasse über dem Siphon nach oben aus dem Waschbecken heraus. Gleichzeit reißt sie die hier vorhandenen Bakterien mit nach oben. Diese sind in einem Radius von ca. 1,5 Meter rund um das Waschbecken nachweisbar. Da sich bei laufendem Wasser stets auch eine Person in der Nähe des Waschbeckens aufhält, ist davon auszugehen, dass auf diesem Wege praktisch immer eine Übertragung von Bakterien stattfinden kann.

AKTUELLE METHODEN SIND KOSTSPIELIG UND AUFWENDIG

Doch führt zum Glück nicht gleich jeder Kontakt mit Bakterien sofort zu einer Erkrankung. Ganz im Gegenteil: Denn die meisten Bakterien in und um unseren Körper sind wertvolle Helfer. Dennoch können sich auf die beschriebene Weise auch pathogene Erreger ausbreiten. Und gerade in Krankenhäusern – hier kommen viele Menschen mit Abwehrschwäche auf engem Raum zusammen ‒, kann dies ein besonders großes Problem darstellen: Denn solche Patienten sind besonders anfällig für bakterielle Infektionen.

Das ist schon länger bekannt. Als Prävention wird bis dato durch Ausheizen oder Behandlung mit antibakteriellen Reinigungsmitteln der Siphon intervallartig unter großem Aufwand gesäubert. So kann ein Großteil der Weiterverbreitung von Bakterien verhindert werden. Prinzipiell funktionieren diese Methoden sehr gut. Sie sind jedoch zeitlich und logistisch anspruchsvoll. Zudem belasten sie das Krankenhaus auch finanziell und damit am Ende das Gesundheitssystem.

FORSCHUNGSVEREINIGUNG

Grund genug für die Forscher am Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) ein Siphon zu entwickeln, das ‒ einmal eingebaut ‒ in der Lage ist, eine bakterielle Besiedlung fortlaufend und sicher zu verhindern. Für ihre Arbeit schlossen sie sich mit der Firma MoveoMed GmbH zu einem von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) geförderten Projekt zusammen.

Der neuartige Ansatz besteht in der Entwicklung eines Siphon-Einsatzes, der permanent die bakteriologische Besiedlung unterbindet und somit auch eine retrograde Infektion verhindert“, erläutert Jan-Michael Albrecht, Geschäftsführer von MoveoMed.

Technologisch soll die bereits bekannte fotokatalytische – also durch Licht selbstreinigende ‒ Wirkung von Titandioxid (TiO2) verwendet werden. Dieser Stoff erzeugt bei Kontakt mit UV-Licht sogenannte Radikale, welche innerhalb kürzester Zeit Bakterien oder andere biologische Verunreinigungen zerstören können. Derzeit wird diese Technologie schon in selbstreinigenden Fassaden oder Wandfarben angewendet. Interessant dabei ist, dass schon winzige TiO2-Partikel im Sonnenlicht ihre reinigende Wirkung erzielen können. Hierbei wird jedes Mal, wenn ein TiO2-Partikel von einem Sonnenstrahl ‒ genauer dem UV-Anteil des Strahls ‒ getroffen wird, ein Sauerstoffradikal gebildet. Je stärker die Einstrahlung ist, und je mehr Titan-Partikel vorhanden sind, desto stärker ausgeprägt ist die Radikalbildung und damit der Reinigungseffekt.

HERAUSFORDERUNGEN DES SIPHONS

Doch gelangt in ein Abwasserrohr kein einziger Sonnenstrahl und somit auch keine natürliche UV-Strahlung hinein. Auch wird das Vorhaben durch den geringen Platz erschwert: Im Unterschied zu der normalerweise recht großen Fläche einer Hauswand ‒ die gleichzeitig die große Reaktionsfläche darstellt ‒, finden sich in hausüblichen Abwasserrohren weder große Flächen noch sonstiger verfügbarer Platz.

Die Forscher müssen also die fotokatalytische, selbstreinigende Wirkung einer Fassade in der prallen Sonne so komprimieren, dass Reinigung sowie Desinfektion in der Dunkelheit und Enge eines Abwasserrohres möglich sind. Den Platzmangel möchten sie dabei durch die Verwendung poröser Sintermaterialien überwinden. Das sind Metalle, die zunächst zu Fäden gezogen werden, um dann lose zusammengelegt ein Geflecht mit viel Platz zu bilden. In einem finalen Erwärmungsschritt werden sie dann verfestigt. Auf diese Weise entsteht ein Werkstoff mit sehr großer innerer Oberfläche, der anschließend mit Titandioxid beschichtet werden kann. Das mangelnde Tageslicht möchten die Dresdener durch im Siphon verbaute, spezielle UV-LEDs ersetzen.

ÜBERTRAGUNG BESTEHENDER TECHNIKEN

Deshalb liegen die Schwierigkeiten des Projektes nicht in der Erforschung prinzipiell neuer Technologien, sondern vielmehr in der Übertragung bestehender Techniken auf völlig neue Anwendungsfelder. Zunächst ist es mittlerweile gelungen, diverse Expertisen aus unterschiedlichsten Gebieten zu verknüpfen und zu bündeln. So wird das vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM entwickelte Sinterverfahren zur Herstellung von metallischen Materialen mit großen Oberflächen verwendet. Dr. Ulla König, stellvertretende Bereichsleiterin „Medizinische und biotechnologische Applikationen“ freut sich: „Das Fraunhofer FEP steuert sowohl seine Expertise in der Beschichtungstechnologie als auch in der Mikrobiologie und Analytik bei.“ Und mit Moveomed hat das Konsortium einen erfahrenen Player im Bereich innovativer Abwassertechnik mit an Bord. Das aktuelle Model MoveoSiphon ST24 dient als Maßstab der anvisierten mikrobiologischen Wirksamkeit.

Das Projekt Siphon ist im Januar 2019 gestartet. Es wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Programms „Zentrales Investitionsprogramm Mittelstand (ZIM)“ über den Projektträger Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigung (AiF) gefördert. Am Ende der zweijährigen Laufzeit soll ein Prototyp präsentiert werden. Das FEP stellt seine aktuellen Forschungsschwerpunkte im Bereich Hygiene und Reinigung, darunter auch das Projekt Siphon, übrigens vom 21.-23. Mai 2019 auf der Messe MedTecLIVE in Nürnberg (Halle 10, Stand 10.0 – 621) vor.

PROBIOTIKUM HILFT BEI STRESSVERARBEITUNG

Diese Schlagzeile verführt fast dazu, ab sofort eine Ernährungsumstellung auf Joghurt, Sauerkraut und Miso ‒ also Lebensmittel, die durch ein Probiotikum fermentiert sind ‒, in den stressigen Alltag einzubauen. Denn Probiotika sind, laut WHO: „lebensfähige Mikroorganismen, die bei Verabreichung in ausreichender Menge eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Wirt mit sich bringen.“ Insbesondere, da sie gemeinsam mit den anderen im menschlichen Körper ‒ vor allem im Darm ‒ angesiedelten Bakterien verdauungsförderliche Maßnahmen unterstützen und Vitamine produzieren. Doch ganz so einfach ist die Stressbewältigung nicht: Denn Probiotika gibt es viele und nicht alle haben die gleiche Wirkung.

STUDIE MIT 40 GESUNDEN PROBANDEN

Immerhin wurde jetzt wissenschaftlich nachgewiesen, dass speziell das Probiotikum des Typs Bifidobakterium longum 1714 TM sowohl die Stressverarbeitung verbessern als auch gesunden Menschen den Umgang mit Stressbelastung erleichtern kann. Dies zumindest zeigt eine Studie der Abteilung „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ am Universitätsklinikum Tübingen.

Für ihre Forschungsarbeit untersuchten die Tübinger Professoren Paul Enck (Psychosomatik) und Christoph Braun (MEG-Zentrum) 40 gesunde Probanden. Diese nahmen täglich – im sogenannten Doppelblind-Versuch ‒ über vier Wochen entweder das Probiotikum oder ein Placebo ein. Die Teilnehmer wurden vor und nach der vierwöchigen Einnahme einem sozialen, stressauslösenden Faktor (Stressor) wie folgt ausgesetzt: Mithilfe eines virtuellen Ballspiels warfen sich der Proband und zwei Gegenspieler am Computer im Wechsel einen Ball zu. Im Verlauf des Spiels wurde der Proband zunehmend aus der Gruppe ausgeschlossen. Dies sollte das Gefühl der Isolation auslösen. Was in diesem Fall in etwa mit Alltagsstress vergleichbar ist.

HIRN-SCANNER MISST HIRNAKTIVITÄT

Vor der Kapseleinnahme als auch danach spielten die Probanden das Spiel. Gleichzeitig wurde währenddessen die Hirnaktivität durch einen Hirn-Scanner, dem sogenannten Magnetenzephalographen (MEG), gemessen. So konnten beide Situationen, das Spiel und die Isolation, miteinander verglichen werden. Auch wurde die Aktivierung des Gehirns vor und nach vier Wochen der Einnahme sowie zwischen den Probanden, die Probiotikum oder Placebo erhielten, verglichen. Dabei zeigte sich deutlich, dass das Probiotikum Änderungen in den mit der Stressregulation in Verbindung stehenden Hirnregionen erzeugen kann: Bei dem Vergleich der Hirnaktivität nach Placeboeinnahme versus Einnahme des Probiotikums wies die Aktivität der letzteren Probanden vor dem Spiel sowie unter der Belastung des Stressors erhöhte Vitalität und reduzierte mentale Ermüdung auf. Dies deutet auf eine verbesserte Anpassung (Coping) an Belastungssituationen und Gegenregulation bei negativen Emotionen hin.

TEST DURCH VERÄNDERUNG VON STRESSREIZEN

Die Befunde zeigen erstmals, dass ein Probiotikum positiven Einfluss auf soziale Stresssituationen im Sinne einer besseren Stressbewältigung ausübt. Denn hier wurde, anders als in vorherigen Studien, die zentrale Verarbeitung von Stressreizen verändert. Befunde aus bisherigen Untersuchungen waren zumeist auf Subjektivität beschränkt oder stammten aus psychologischen Tests. Die Aussage der Studie gilt bislang nur für das speziell verwendete Probiotikum, das übrigens von der Firma Alimentary Health Ltd. Cork, Ireland entwickelt und zur Verfügung gestellt wurde. Das Ergebnis kann nicht auf alle Probiotika übertragen werden. Die Originalstudie ist im American Journal of Gastroenterology 2019 nachzulesen.

RISIKOGEN BEEINFLUSST WIRKUNG VON ASPIRIN

GUCY1A3 heißt das Risikogen, das die blutgerinnungshemmende Wirkung von Aspirin beeinflusst. Dies stellten jetzt Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK)und der Klinik an der Technischen Universität München (TUM) fest.

Grund ihrer Forschungsarbeiten: Bei einem akuten Koronarsyndrom, also einer akuten Herz-Kreislauf-Erkrankung wie zum Beispiel Herzinfarkt, sind die Herzkranzgefäße entweder stark verengt oder gar komplett verschlossen. Mithilfe eines Katheters werden sie wieder geöffnet. Zudem wird eine Gefäßstütze, der sogenannte Stent, eingesetzt. Danach erhalten die Patienten Medikamente, die verhindern sollen, dass die Blutplättchen verklumpen und somit das Gefäß oder den Stent erneut verschließen. Dies können blutverdünnende Medikamente wie zum Beispiel Aspirin und sogenannte Adenosin Diphosphat (ADP)-Rezeptor-Antagonisten, meistens Clopidogrel, sein. Trotzdem kommt es vor, dass nach dem Einsetzen eines Stents immer wieder Gerinnsel auftauchen, die den Stent erneut verstopfen.

BLUTPROBEN VON FAST 1.800 PATIENTEN UNTERSUCHT

Nun haben die Forscher herausgefunden, dass Menschen, die eine Genvariante des GUCY1A3 tragen, nicht so gut auf die Gabe von Aspirin ansprechen. Auch nachdem sie dieses Medikament genommen hatten, klumpten ihre Blutplättchen stark zusammen. Nach dem Setzen eines Stents in den Herzkranzgefäßen hatten die Risikogen-Träger daher auch ein höheres Risiko, einen erneuten Gefäßverschluss zu bekommen oder sogar einen Tod durch Herzinfarkt zu erleiden.

Erstautor Dr. Thorsten Kessler vom Deutschen Herzzentrum München (DHM) und der Klinik an der TUM untersuchte für seine Studie Blutproben von knapp 1.800 Patienten. Hier beobachtete er insbesondere, ob die Genvariante GUCY1A3 vorliegt und wie ihre Blutplättchen auf die Gabe von Aspirin reagieren. Die Ergebnisse glich er dann mit bereits erfassten Daten bezüglich des Auftretens eines erneuten Gefäßverschlusses oder Herzinfarktes ab. Bei allen in den drei vorhandenen Registern „ISAR-ASPI, PLATO und UCORBIO“ erfassten Personen wurden verschlossene Herzkranzgefäße mithilfe eines Katheters wieder geweitet und ein Stent eingesetzt.

ZU WENIG PROTEIN

GUCY1A3 ist bereits seit längerem als Risikogen für die koronare Herzerkrankung bekannt“, so Professor Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen im Erwachsenenalter im DHM. „Wir wissen auch, dass es eine wichtige Rolle für die Funktion der Blutplättchen spielt.“

Denn das Gen trägt die Information für ein Protein, das eine zentrale Rolle bei der Hemmung der Blutplättchen-Aggregation spielt. An sich hemmt es sogar das Zusammenklumpen der Blutplättchen. Aber bei der hier untersuchten Variante in GUCY1A3 wird zu wenig von dem Protein gebildet, sodass die Blutplättchen stärker dazu neigen zu verklumpen. Neu ist nun, dass GUCY1A3 auch das Ansprechen auf Aspirin beeinflusst.

Prof. Dr. Heribert Schunkert, ©Deutsches Herzzentrum München

„Sowohl Aspirin als auch Clopidogrel haben ein gewisses Risiko nicht hundertprozentig zu wirken“, sagt Schunkert. Bei Clopidogrel liegt das an einem Stoffwechselweg, der durch eine genetische Variante so verändert sein kann, dass Clopidogrel nicht wirkt. Diese Variante lag bei den untersuchten Personen aber nicht vor. Das gleichzeitige Vorkommen beider Genvarianten sei auch höchst unwahrscheinlich, da sie nicht miteinander gekoppelt sind.

Weitere Untersuchungen sollen nun klären, ob man die Auswirkungen des Risikogens eventuell dadurch abfangen kann, dass anstatt Clopidogrel ein stärkerer ADP-Rezeptor-Antagonist, wie etwa Ticagrelor oder Prasugrel, verordnet, wird. Die Original-Veröffentlichung der Münchener ist hier nachzulesen.

ZWEI NEUE FORSCHUNGSPROJEKTE RUND UM KONTAKTLINSEN: MEDIKATION PER LINSE UND LASERBASIERTE INDIVIDUALISIERUNG

Seit der Erfindung der Kontaktlinse hat sich mittlerweile einiges getan. Und die Entwicklung geht immer weiter: So forschen derzeit Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP gemeinsam mit israelischen und deutschen Partnern an Linsen, die einerseits gezielt Medikamente freisetzen und gleichzeitig lange Kontaktzeiten im Auge ermöglichen. Und in dem Projekt „LasInPOP“ der TU Dresden möchte der spanische Forscher Dr. Daniel Sola Kontaktlinsen individualisieren.

KONTAKTLINSEN ALS TRÄGERSYSTEM

Bei der örtlichen Behandlung von Augenkrankheiten entfalten oft nur circa fünf Prozent eines Medikaments ihre Wirkung am Augengewebe. So entstand die Idee des deutsch-israelischen Forscherteams, Kontaktlinsen als Trägersystem für Wirkstoffe zu nutzen. Doch nicht nur das: Auch möchte das Team die Kontaktzeiten des Medikaments mit dem Gewebe im Auge verlängern. Dieses System, bei dem der Wirkstoff in Liposomen verkapselt und an die Innenseite der Kontaktlinsen gebunden wird, könnte Schmerzen lindern, die Wundheilung verbessern und die Hornhaut schützen. Zudem soll die Kontaktlinse mit Hilfe von Zuckern besonders verträglich gemacht werden.

Doch die Anforderungen sind hoch. So muss der Wirkstoff über eine möglichst lange Zeit freigegeben werden, die Kontaktlinse muss optimale Schmiereigenschaften haben und alle Bestandteile müssen biologisch unbedenklich sein. Bis heute gibt es noch kein derartiges Applikationssystem, das dies alles erfüllt.

LIPOSOMEN GEBEN WIRKSTOFFE ÜBER DIE ZEIT AB

Zwar hat die israelische Partnerfirma EyeYon Medical bereits medizinische Kontaktlinsen zur Verabreichung von Medikamenten entwickelt. Diese ermöglichen sogar eine längere Verweilzeit von Wirkstoffen. Doch besteht noch Optimierungsbedarf. Dazu Nahum Ferera, CEO von EyeYon Medical:

Die Zeitspanne, über die das Medikament bei diesen Kontaktlinsen freigegeben wird, beträgt bisher circa 20 Minuten. Bei der Anwendung von Augentropfen erreichen generell nur 4 Prozent des Wirkstoffs ihr Ziel. Diese Zeit und die Bioverfügbarkeit möchten wir verlängern… .

…Hinzu kommt, dass laut einiger Studien bis zu 30 Prozent aller Kontaktlinsenträger darüber klagen, dass das Tragen von Kontaktlinsen generell unbequem ist. Mit Hilfe des Fraunhofer IAP und den anderen Partnern möchten wir beide Parameter verbessern ‒ die Zeit der Freisetzung des Medikaments und die Verträglichkeit.“

Ziel des deutsch-israelischen Forscherteams ist es, die Innenseite der Kontaktlinse mit Liposomen, zu beschichten, die einen Arzneistoff in sich tragen und diesen über die Zeit freigeben können. Hergestellt werden die Liposomen am Weizmann Institute of Science in der Arbeitsgruppe von Prof. Jacob Klein und Dr. Ronit Goldberg.

ZUCKER FÜR BESSERE WIRKSAMKEIT UND VERTRÄGLICHKEIT

Doch es geht noch mehr: „Zucker spielen in diesem Projekt eine entscheidende Rolle“, erklärt Dr. Ruben R. Rosencrantz, der das Projekt am Fraunhofer IAP leitet.

In unserem Körper sind Zucker an den verschiedensten Stellen für Gleitfähigkeit verantwortlich. In der Schleimschicht des Auges ermöglichen sie beispielsweise das reibungslose Gleiten des Augenlides. Um genau diesen Effekt auch mit der Kontaktlinse zu erreichen, haben wir am Fraunhofer IAP stark zuckerhaltige Polymere entwickelt, sogenannte Glykopolymere… .

Sie werden einerseits auf der Oberfläche der gesamten Kontaktlinse gekoppelt, andererseits können sie Bestandteile der Liposomen sein, die den Arzneistoff in sich tragen“, so Rosencrantz. Die Beschichtung der Kontaktlinse mit Glykopolymeren wird von der deutschen Firma Surflay Nanotec entwickelt.

AUF DEM WEG ZUM MARKTFÄHIGEN MEDIZINPRODUKT

Um ein genehmigtes Medizinprodukt zu erhalten, arbeiten die fünf Partner und die zwei Unterauftragnehmer DendroPharm GmbH und Nextar Chempharma Solutions in dem dreijährigen Projekt, das bis Juli 2021 läuft, eng zusammen. Dabei müssen die Forscherinnen und Forscher auch die Biokompatibilität aller verwendeten Komponenten sicherstellen. Die Untersuchungen zur biologischen Verträglichkeit werden in der Universitätsmedizin Rostock durchgeführt. Zudem prüfen die beiden Unterauftragnehmer, ob alle Systemkomponenten entsprechend der GMP-Richtlinien (englisch: Good Manufacturing Practice, GMP) hergestellt wurden, einer Art Qualitätssiegel, das unter anderem für die Pharma- und Medizinbranche gilt.

„Wenn Funktion und Biokompatibilität der Kontaktlinse sichergestellt sind, muss aber auch gewährleistet sein, dass das Glykopolymer in großen Mengen hergestellt werden kann“, erklärt Rosencrantz, der sowohl Chemie als auch Biologie studiert hat.

Die Massenherstellung von Glykopolymeren ist ein sehr wichtiger Aspekt des Projektes am Fraunhofer IAP, denn am Ende muss auch der Preis stimmen“, so Rosencrantz.

Gefördert wird das Projekt in Deutschland mit rund einer Million Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

LASINPOP: FÜR JEDE FEHLSICHTIGKEIT DIE PASSENDE LASERSTRUKTUR

Dr. Daniel Soda ©Daniel Soda

Dr. Daniel Sola forscht gemeinsam mit Prof. Andrés Lasagni an der Professur für Laserbasierte Methoden der großflächigen Oberflächenstrukturierung der TU Dresden. In seinem Projekt „LasInPOP“ möchte Sola opthalmische Polymere ‒ diese Materialien werden zur Herstellung von Kontaktlinsen verwendet ‒, mit kurzen Laserpulsen strukturieren. Seinen Herausforderung ist, für jede individuelle Fehlsichtigkeit die passende Laserstruktur zu finden. Dabei sollen die nur 0,5 Millimeter dicken Kontaktlinsen mit einem Laserinterferenzverfahren so bearbeitet werden, dass jedes Auge durch die Sehhilfe seine volle Sehschärfe erreicht.

ULTRAKURZE LASERIMPULSE

In seinen Forschungen konzentrierte sich der promovierte Physiker zunächst auf die Laserbearbeitung von Hochleistungskeramiken und glaskeramischen Materialien. Aus den Ergebnissen seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2010 an der Universidad de Zaragoza gingen 17 Patente hervor. Ein dreijähriges Postdoc-Stipendium ermöglichte es ihm schließlich, sich mit der Herstellung und Charakterisierung von bioaktiven Gläsern und Glaskeramiken sowie der Laserbearbeitung mit ultrakurzen Laserpulsen zu beschäftigen. Damals entwickelte Daniel Sola sein übergeordnetes Forschungsziel, das er mit seiner bisherigen Arbeit am Laboratorio de Óptica an der Universidad de Murcia vorbereitet hat. Mit dem Start an der TU Dresden ist auch der Startschuss für die Erforschung der Korrektur von Fehlsichtigkeit mit ultrakurzen Laserpulsen gefallen.

VERFAHREN SOLL ZUKÜNFTIG DIREKT AM AUGE VERWENDET WERDEN

Bisher korrigieren Brillen, Kontaktlinsen oder eine OP die häufigsten Fehlsichtigkeiten des menschlichen Auges: Kurz- oder Weitsichtigkeit und Hornhautverkrümmung. Dabei geht es immer darum, dass Licht fehlerhaft gebrochen wird. Wenn es nach Daniel Sola geht, soll in ein paar Jahren ein neues Laserverfahren die bisherigen Hilfsmittel ersetzen. Dann werden die Brechungsfehler des Auges durch eine zerstörungsfreie Behandlung mit ultrakurzen Laserpulsen korrigiert. Sein langfristiges Forschungsziel ist, die Risiken und Nebenwirkungen aktueller Augenoperationen gänzlich zu vermeiden und gleichzeitig auf konventionelle Sehhilfen zu verzichten. Bisher wird Fehlsichtigkeit operativ zwar auch mit Laser behandelt, allerdings ist der Eingriff destruktiv – d.h. Gewebe wird unwiederbringlich abgetragen. Sola hingegen möchte die Hornhaut in Zukunft mit einem laserinterferenzbasierten Verfahren so strukturieren, dass die Brechungsfehler korrigiert werden ‒ ganz ohne das hohe Risiko einem eigentlich gesunden Organ zu schaden.

Bevor das Verfahren aber für das menschliche Auge verwendet werden kann, muss es zunächst für Kontaktlinsen erforscht werden.

Das Ziel meines LasInPOP-Projektes ist zu untersuchen, wie gepulste Laserstrahlung verwendet werden kann, um die optischen Eigenschaften von Kontaktlinsen zu verändern.“

Dresden bietet ihm dafür genau die richtige Forschungsinfrastruktur: „Was ich in Dresden wirklich als herausragend empfinde, ist die große Anzahl von Forschungseinrichtungen, darunter Fraunhofer-, Max-Planck- und Leibniz-Institute und natürlich die TU Dresden. Außerdem ist Dresden mit seinem kulturellen und historischen Hintergrund eine fantastische und wunderschöne Stadt.“

MARIE SKLODOWSKA-CURIE-STIPENDIUM

Dr. Daniel Sola gehört übrigens zu den 93 Wissenschaftlern in Deutschland, die für 2019 das begehrte Marie Sklodowska-Curie-Stipendium von der EU erhalten haben. Es ist Teil des EU-Programms für Forschung und Innovation „Horizon 2020“. Gefördert werden Wissenschaftler, die einen Doktortitel besitzen oder mindestens vier Jahre Vollzeit-Forschungserfahrungen vorweisen können. Das Forschungsthema ist frei wählbar. Insgesamt hatten sich 8.124 Wissenschaftler aus aller Welt um das Stipendium beworben. Die Europäische Kommission fördert davon jetzt 1.211 Stipendiaten.