ANTIAGINGBEHANDLUNG VON STAMMZELLEN STÄRKT ABWEHRKRÄFTE

Gesund altern könnte zukünftig Realität werden. Denn einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlern aus der Immunologie und Stammzellenforschung der Uni Ulm ist es kürzlich gelungen, körpereigene Abwehrkräfte im Modell zu verjüngen. Das Team um Prof. Hartmut Geiger, Leiter des Instituts für Molekulare Medizin, und Prof. Reinhold Schirmbeck, Gruppenleiter an der Universitätsklinik für Innere Medizin I., wies zunächst die wichtige Rolle der blutbildenden Stammzellen bei der Alterung des Immunsystems nach. Bisher galt hierfür als Hauptursache ‒ da hier wichtige Immunzellen reifen ‒, die Rückbildung der Thymusdrüse. Doch der Blick auf die Stammzellen brachte neue Erkenntnisse: Der sogenannte „Wartungsdienst“ des Körpers, der unter anderem für die Regeneration von Blut- und Immunzellen sorgt, verliert im Alter – wie der übrige Organismus auch –, seine Leistungsfähigkeit. Die Stammzellen können also ihrem Reparaturauftrag nicht mehr so gut nachkommen. Schon in früheren Arbeiten zeigte Geiger bereits, dass blutbildende Stammzellen im Alter auf ein anderes Signalsystem umstellen. Genau das soll sozusagen Chaos im „Wartungsbetrieb“ auslösen. Mithilfe der pharmakologischen Substanz Casin lässt sich diese Umstellung jedoch rückgängig machen.

ERFOLGREICHE VERJÜNGUNGSKUR IM MODELL

Die Ulmer Wissenschaftler untersuchten in einem neuen Knochenmarks-Transplantationsmodell inwiefern die Alterung blutbildender Stammzellen tatsächlich die Leistungsfähigkeit des Immunsystems beeinflusst. Dazu isolierten sie Stammzellen aus dem Knochenmark älterer und junger Mäuse. Ein Teil der älteren Stammzellen erhielt anschließend die oben schon beschriebene „Verjüngungskur“ mit Casin. Im nächsten Schritt wurden die alten, jungen und verjüngten blutbildenden Stammzellen transgenen Mäusen, die über kein eigenes Immunsystem verfügen, übertragen. Bereits nach zwölf Wochen konnten die Forschenden die Leistungsfähigkeit der Abwehrsysteme, die aus den Transplantaten entstanden waren, überprüfen. Sie untersuchten dabei unter anderem die Impfreaktion. „Bei der Impfung werden bekanntlich unschädliche Varianten von Erregern verabreicht, woraufhin das Immunsystem Abwehrzellen bildet. Im Infektionsfall helfen diese bereits vorhandenen Abwehrzellen dabei, rasch auf Bakterien oder etwa Viren zu reagieren“, erklärt Dr. Hanna Leins, Erstautorin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Molekulare Medizin das Vorgehen, „die Impfreaktion kann also Auskunft über die Funktionsfähigkeit der körpereigenen Abwehr geben.“

Forschung über die Bedeutung blutbildende Stammzellen für den Alterungsprozess
Das Forscherteam (v.l.): Prof. Hartmut Geiger, Dr. Hanna Leins, Prof. Reinhold Schirmbeck und Juniorprof. Medhanie Mulaw ©Andreas Brown

Im Modell konnten die Forscher die erfolgreiche Verjüngung der blutbildenden Stammzellen und infolgedessen des Abwehrsystems nachweisen: Die Impfreaktionen des jungen und des aus verjüngten Stammzellen entstandenen Immunsystems erwiesen sich nämlich als gleich stark. Während erwartungsgemäß das Abwehrsystem aus alten Stammzellen wesentlich schwächer auf die Impfung reagierte.

BEHANDLUNGSERFOLGE FÜR SENIOREN

Die Forschungsergebnisse dürften wichtige Anhaltspunkte zur Behandlung von Senioren geben. Denn da mit zunehmendem Alter das Immunsystem immer schwächer wird, sind ältere Menschen anfälliger für Infektionen. Auch Impfungen – zum Beispiel gegen Grippe – wirken weniger gut. „Insgesamt belegen unsere Ergebnisse die wichtige Rolle der blutbildenden Stammzellen bei der Alterung des Immunsystems. Altern diese Stammzellen, kann sich das Abwehrsystem nicht mehr ausreichend regenerieren. Der Organismus wird anfälliger für Infektionen“, so der Fachmediziner für Inneres, Professor Reinhold Schirmbeck. „Im Modell haben wir aber auch gezeigt, dass wir die Uhr zurückdrehen können: Die Verjüngung gealterter Stammzellen kann die Immunkompetenz im Alter wiederherstellen“, ergänzt Stammzellexperte Professor Hartmut Geiger. Die Ergebnisse der Wissenschaftler führen zu einem besseren Verständnis des alternden Immunsystems und zeigen, dass die Leistungsfähigkeit der Abwehrkräfte wesentlich von blutbildenden Stammzellen abhängt. Langfristig könnten die neuen Erkenntnisse zu einem gesünderen Altern beitragen sowie die Erfolge von Impfungen oder der Immuntherapie bei Krebserkrankungen im Seniorenalter verbessern.

EINE DER BESTEN PUBLIKATIONEN AUS 2018

Die Ulmer Forschungsarbeit wurde vom US-Journal Blood als eine der besten Publikationen des vergangenen Jahres gelistet. Sie ist das Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit der Ulmer Universitätsmedizin (Innere Medizin I, Institut für Molekulare Medizin) mit der geriatrisch ausgerichteten Agaplesion Bethesda Klinik in Ulm (Professor Michael Denkinger). Gefördert wurden die Wissenschaftler im Zuge des Verbundes SyStaR vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Zudem unterstützte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Team über das Graduiertenkolleg CEMMA (Cellular and Molecular Mechanisms in Aging).

Bild oben: Messung von Impfantworten mittels ELISPOT. Die Anzahl der Spots (blaue Punkte) spiegelt die Stärke der Immunantwort wider ©Andreas Brown

Dieser Artikel erschien am 31.1.2019 in der Innovation Origins.

GRÜNE WOCHE BERLIN: ESSBARE EISLÖFFEL SIEGER DER STARTUP-DAYS

“Don’t waste it ‒ taste it!” ist das Motto des nachhaltigen Start-ups Spoontainable. Die Erfindung eines essbaren Eislöffels brachte drei Studentinnen aus Hohenheim den 1. Platz bei den „Startup-Days“ ein. Diese finden jährlich während der Internationalen Grünen Woche (18.-27.1.2019) in Berlin statt. Ziel der Preisverleihung ist, Gründer mit traditionellen Stakeholdern aus dem Lebensmittelhandel zu vernetzen. Insgesamt hatten sich 50 junge Unternehmen beworben. Von diesen kamen 20 in die Finalrunde. Über zwei Tage dauerte der jeweils fünfminütige Pitch im Professional Center, bis sich die sechsköpfige Jury aus Vertretern des Handels, Experten aus dem Lebensmittelbereich und der Start-up-Förderung für den Sieger Spoontainable entschied. Der 2. Platz ging übrigens an Hans Brainfood. Das bayerische Unternehmen produziert Riegel, die ausschließlich aus geschälten Hanfsamen und Honig bestehen. Den 3. Platz ergatterte De Caña Panela Naturzucker, ein 100 Prozent biologischer Zucker aus dem Hochland Kolumbiens.

LÖFFELKEKSE SOLLEN PLASTIKFLUT VERRINGERN

Start-up Spoontainable
Die essbaren Eislöffel aus Kakaoschalenfasern halten etwa eine Stunde im Eis bevor sie ihre Form verlieren ©Spoontainable

Spoontainable wurde 2018 von den Studentinnen Amelie Vermeer, Julia Piechotta und Anja Wildermuth gegründet. Die Idee dazu entstand, nachdem den drei umweltbewussten Eisfans bewusst wurde: Plastikeislöffel landen nach nur einmaligem Gebrauch direkt im Müll. Hochgerechnet bedeutet das für Deutschland derzeit etwa eine Menge von 360 Millionen unnötigem Plastiklöffel-Müll per Jahr. Den Studentinnen war klar: das können und müssen sie ändern. Die Jung-Unternehmerinnen wollten ihre interdisziplinären Kompetenzen nutzen, um zumindest im Sommer die Plastikflut etwas eindämmen zu können. So fingen sie an, einen essbaren Eislöffel zu kreieren. Während Vermeer und Piechotta ihr Know-how aus dem Management-Studium einbrachten, ergänzte Wildermuth das Team als Studentin der Ernährungswissenschaften und Diätetik.

EINZIGARTIGE REZEPTUR

Ihre Freude an Rezepturen und die Überzeugung, unternehmerisch ein nachhaltiges Zeichen setzen zu können, ließ das Team erfinderisch werden. Die Studentinnen entwickelten über ein Jahr an ihrer  außergewöhnlichen Rezeptur, deren Hauptbestandteil die Kakaoschalenfaser ist. Der essbare Naturstoff bringt Farbe, Geschmack und Konsistenz in den Löffel. Zudem ergänzt er das Mehl für den späteren Keks. Nach der Entwicklung von zehn Prototypen und dem Test verschiedener Geschmacksrichtungen wie Zimt, Zitrone und Vanille, entschied sich das studentische Power-Team zunächst nur mit dem Schokoladenlöffel auf den Markt zu kommen. Dank seiner einzigartigen Konsistenz hält der schmackhafte Keks-Löffel bis zu einer Stunde im Eis, bevor er die Form verliert. Die essbaren Eislöffel sind übrigens vegan, zuckerfrei, reich an Ballaststoffen und ‒ ob mit oder ohne Verzehr ‒ natürlich nachhaltig.

MARKTREIFE IM APRIL

Mittlerweile hat das Hohenheimer Start-up ein Patent auf die Rezeptur angemeldet. Auch ist der Kontakt zu einem internationalen Vertriebspartner hergestellt. Dieser unterstützt das Eislöffel-Team mit seinem Know-how aus dem Feingebäck, der Produktoptimierung und der veganen Zubereitung. Ein ostdeutscher Produzent sowie ein Investor sind auch schon gefunden. Nun sind die jungen Unternehmerinnen auf der Suche nach B2B-Kunden sowie weiteren Kontakten. Pünktlich zum Start der Eisdielenzeit, also ab April, sollen die ersten Spoontainables auf dem Markt erhältlich sein.

Die Studentinnen lernten sich übrigens über Enactus Hohenheim kennen. Das international organisierte Netzwerk Enactus hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt im Kleinen durch unternehmerische Projekte zu verbessern. Möge es für die Eislöffel gelingen.

Bild oben: Mit den schmackhaften Löffeln von Spoontainables wird Eisessen sogar nachhaltig ©Spoontainable

Dieser Artikel erschien am 30.1.2019 in der Innovation Origins.

INNOVATIONSCAMPUS PRÄGT NEUE LEBENS- UND ARBEITSWELTEN

Die Etablierung eines Innovationscampus, von Smart-City-Lösungen und einer ausgeglichenen Work-Life-Balance sind die Themen, die die nachhaltige Stadtentwicklung der Zukunft bestimmen. Gerade die Bundeshauptstadt Berlin steht dabei im Fokus des Interesses. Zuletzt unterzeichnete hier im Herbst 2018 der Technologiekonzern Siemens einen Zukunftspakt. Bis zum Jahre 2030 soll auf dem historischen Firmengelände in Spandau die Siemensstadt 2.0 entstehen.

Siemens AG, Dynamowerk Berlin, Nonnendammallee 72, in 13629 Berlin
Dynamowerk der Siemens AG in Berlin (Bild aus 2016) ©www.siemens.com/presse

Das etwa 70 Hektar große Industriegelände soll hierfür in eine zukunftsweisende Lebens- und Arbeitswelt verwandelt werden. Siemens plant einen hochmodernen Stadtteil mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten zu bauen. “Das Gründungskonzept der Siemensstadt 1897 bestand darin, Arbeiten, Forschung und Wohnen zu vereinen und damit eine intakte Symbiose für eine erfolgreiche Zukunft zu schaffen. Auch heute müssen wir die Zukunft der Arbeit neu denken […] wir wollen Industrie 4.0 auch im sozio-ökonomischen Umfeld führend gestalten. Dazu gehört ein vernetztes Ökosystem mit flexiblen Arbeitsbedingungen, gesellschaftlicher Integration und bezahlbarem Wohnraum”, erklärte Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, zum Mega-Projekt des Konzerns.

STÄRKUNG VON INNOVATIONSSTANDORT DEUTSCHLAND

Im Rahmen der Vereinbarung wurde zudem eine zweite Absichtserklärung zur Entwicklung eines Industrie- und Wissenschaftscampus mit der Stadt Berlin, der TU Berlin, der Fraunhofer-Gesellschaft und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) unterzeichnet. Auf dem Gelände sollen Zukunftsthemen wie dezentrale Energiesysteme, Elektromobilität, künstliche Intelligenz und das „Internet der Dinge“ erforscht werden. Entsprechend sind moderne Büro-, Forschungs- und Produktionsflächen genauso angedacht wie neue Formen des Wohnens. Insgesamt 600 Millionen Euro will der Elektronikkonzern dafür in die Hand nehmen. Damit setzt das Unternehmen, das immerhin nach Umsatz zu einem der größten des Landes zählt, ein deutliches Zeichen, um den Innovationsstandort Deutschland zu stärken. In Abstimmung mit dem Berliner Senat wird Siemens einen städtebaulichen Wettbewerb durchführen. Dieser wird Grundlage für die weitere Entwicklung des Projekts sein. Inwieweit sich auch Berlin an den Kosten beteiligt, ist bis dato noch nicht geklärt.

HIGH TECH CAMPUS EINDHOVEN

Der HTC Einhoven zeichnet sich durch die Philosophie der "Open Innovation" aus
The Strip – hier trifft sich die HTC-Community ©High Tech Campus Eindhoven

Vorbild des gigantischen Bauprojekts in Spandau könnte der High-Tech-Campus (HTC) von Eindhoven sein. Das ehemalige Philips-Gelände gilt heute als einer der wichtigsten Wissenschafts-Parks der Welt. Denn neben bekannten Konzernen wie Philips, Intel und IBM haben sich hier Forschungslaboratorien sowie Entwicklungsingenieure angesiedelt. Mittlerweile arbeiten über 11.000 Menschen aus mehr als 60 Nationen vor Ort. Kernthema des Campus ist die Philosophie der “Open Innovation”, die Philips schon im Jahre 2003 einführte. Entsprechend wurde in den sozialen Mittelpunkt des Campus der Begegnungsort “The Strip” ins Leben gerufen. Hier befinden sich ein Konferenzzentrum, Restaurants und Geschäfte. Aber vor allem gilt The Strip als der Ort, wo sich die Menschen aus den verschiedenen Unternehmen und Bereichen zum Austausch treffen können. Und das mit Erfolg: Laut Campus-Informationen werden täglich bis zu vier neue Patente aus dem HTC angemeldet. Der niederländische Campus liegt übrigens in der Brainport Region Eindhoven, die zur Provinz Nordbrabant gehört.

BUND FÖRDERT FORSCHUNGSCAMPUS

Auch der Bund setzt sich für offenen Wissenschaftstransfer ein: Im Jahre 2013 rief er unter der Obhut des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Initiative Forschungscampus ins Leben. Das Ziel: Die Förderung von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die längerfristig an einem gemeinsamen Forschungsthema zusammenarbeiten. Mittlerweile werden neun Forschungskooperationen unterstützt. Dazu gehören Projekte aus der Medizin, der Mathematik aber auch Materialentwicklung. Die im Herbst 2018 vom Bund veröffentlichte Hightech-Strategie 2025 zeigt zudem Handlungsfelder, Maßnahmen und Ziele auf, wie Deutschland als Innovationsnation weiter gestärkt werden kann.

UNTERNEHMEN PRÄGEN WEITERE STÄDTE

Rendering: Parkblick auf den den VAI-Campus ©Steidle Architekten – realgrün Landschaftsarchitekten

Und dass Unternehmen wiederum ganze Städte prägen, ist ebenfalls nicht neu. So ist Wolfsburg eng mit der Autostadt verbunden, während zum Beispiel der Pharma Konzern Boehringer Ingelheimseine Heimatstadt sogar gleich im Namen trägt. In Stuttgart-Vaihingen soll dem ausgedienten IBM-Campus wieder neues Leben eingehaucht werden. Ab 2020 wird hier unter dem Namen VAI Campus ein Stadtteil mit einem Drittel Gewerbe und zwei Dritteln Wohnfläche entstehen. In den denkmalgeschützten, sogenannten Eiermann-Bauten – Eiermann war der erste Architekt des Geländes –, sind Flächen für Start-ups und Kreative geplant.

Mit Spannung darf auch die neue Zalando-Zentrale rund um das Areal der Mercedes Benz Arena in Berlin Friedrichshain erwartet werden. Das umstrittene Projekt bietet eine Stadt in der Stadt. Es ist ein umfassendes Ökosystem mit Restaurants, Fitnessstudio, Kita und vielem mehr. Die Arbeitswelt der Mitarbeiter ist durch kreative Orte wie Living Rooms, Urban Cat Walks und Neighborhoods aufgelockert. Das vom Unternehmen gesetzte Ziel: die Mitarbeiter näher zusammenzubringen, um Transparenz, Feedback, grenzüberschreitendes Denken und die Kommunikation zu stärken. Die ersten Räume wurden schon bezogen, weitere Teams werden ab Mitte Februar bis Mitte März 2019 folgen. Nur zum Wohnen verlassen die Zalando-Angestellten noch ihr soziales Umfeld.


Die ersten Zalando-Räume auf dem neuen Campus wurden schon bezogen © Zalando

Bild oben: Mit dem „Zukunftspakt – Siemensstadt 2.0“ plant Siemens das größte Entwicklungsprojekt in seiner Geschichte auf dem historischen Siemens-Gelände in Berlin Spandau. ©www.siemens.com/presse

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Dieser Artikel erschien am 29.1.2019 in der Innovation Origins.

NÄHRSTOFFVERSORGUNG VON BIOFILMEN UNTERSUCHT

Was haben Schiffsrümpfe und Zähne gemeinsam? Die Antwort: An beiden Materialien können sich schädliche Biofilme ablagern. Diese eher schleimigen Beläge bestehen aus unzähligen Mikroorganismen. In den oben genannten, schlimmsten Fällen sind es unerwünschte Bakterien. Und diese wiederum können einige Schäden anrichten. So hat Fouling an Schiffsrümpfen aufgrund der Gewichtszunahme und des erhöhten Strömungswiderstandes ökonomische Folgen. Karies und Parodontitis hingegen bergen erhebliche gesundheitliche Gefahren. Um der Entstehung von schädlichen Biofilmen entgegenzuwirken, gilt es zunächst zu verstehen, wie sie sich weiterverbreiten. Die zentrale Frage lautet also: wie funktioniert ihre Nährstoffversorgung?

MIKROBEN ERZEUGEN STRÖMUNG

Genau das untersuchte jetzt ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU). Es setzte sich aus Mitarbeitern des Instituts für Theoretische Physik II der HHU, aus Stanford (USA), Argonne (USA) sowie aus Santiago de Chile zusammen. Auch kamen die Wissenschaftler aus unterschiedlichen physikalischen Disziplinen wie der Hydrodynamik und Biophysik.

Zunächst entwickelten die Forscher eine umfangreiche mikro-hydrodynamische Theorie. Anschließend analysierten sie diese für verschiedene Bewegungstypen. Die Forscher betrachteten dabei, welche Bewegungsstrategien die einzelnen Bakterien ausführten, um eine Strömung zu erzeugen. Denn durch diese stellten die Mikroben sicher, dass die Nährstoffe automatisch zu ihnen herantragen wurden. Was wiederum ihre optimale Versorgung garantierte. Kurzum: Die Biofilme generieren ihre Nährstoffversorgung selbst. Durch Diversität oder Inhomogenität in den Bewegungen erzeugen sie eine zum Biofilm hingerichtete Strömung, die die Nährstoffe mitführt.

ERGEBNIS ADAPTIERBAR

Den Umkehrschluss fasst Prof. Dr. Hartmut Löwen, HHU-Physiker und Mitautor der Studie wie folgt zusammen: „Führen alle Bakterien die gleichen Bewegungen aus, führt das zum Stillstand des Wasserflusses und damit zu ihrem sicheren Hungertod.“ Je nachdem, wie sich die Mikroorganismen bewegen, entstehen bestimmte Muster auf den Biofilmen. Durch diese kann der Nährstoffzufluss gesteuert werden. So ist es möglich, über die Störung des Zuflusses, Bakterienkolonien ohne Gift zu zerstören. Andererseits ist es bei gewünschten Biofilmen auch denkbar, eine intelligente Kooperation der Mikroorganismen zu fördern. Das würde eine weitflächige Nahrungsmittelversorgung gewährleisten.

Dieses Prinzip ist übrigens nicht auf Bakterien beschränkt. Es gilt auch für Mikroroboter oder „künstliche Schwimmer“. Letztere sind Partikel, die sich mithilfe von Brennstoffen in Bewegung setzen. Sie könnten zum Beispiel dazu verwendet werden, Medikamente im menschlichen Körper zu einem gewünschten Zielort zu transportieren.

Die Originalpublikation der Wissenschaftler erschien in der Ausgabe 121 der Fachzeitschrift Physical Review Letters. A. J. T. M. Mathijssen, F. Guzman-Lastra, A. Kaiser, H. Löwen, Nutrient transport driven by microbial active carpets, Physical Review Letters 121, 248101 (2018).

Bild oben: Bewegungsmuster auf einem ebenen Biofilm (blau-rot gefärbt) und dadurch erzeugte Flusslinien vom Lösungsmittel (blau), die für den Transport von Nährstoffen (bunte Kugeln) sorgen. © Stanford University / Arnold J. T. M. Mathijssen

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Magnetospirillum ist die Mikrobe des Jahres 2019

Dieser Artikel erschien am 15.1.2019 in der Innovation Origins.

MAGNETOSPIRILLUM IST MIKROBE DES JAHRES 2019

Im ersten Augenblick mag es befremdlich erscheinen, dass sogar Mikroben eine Auszeichnung erhalten. Doch genau das ist das Ziel der Vereinigung für allgemeine und angewandte Mikrobiologie (VAAM): Sie möchte in der Öffentlichkeit auf  Mikroorganismen aufmerksam machen. Denn kaum einer weiß, dass nicht jedes Bakterium krank macht. Einige von ihnen haben sogar eine besondere Bedeutung zum Beispiel für die Ökologie, Medizin, Technik, Lebensmittelwirtschaft, Energiegewinnung, Geschichte oder Forschung inne. Um hier eine Bresche für ihr Forschungsfeld zu schlagen, kürt eine Jury aus Mikrobiologen seit 2014 die Mikrobe des Jahres.

BESONDERE MERKMALE

Für 2019 wurde Magnetospirillum als Mikrobe des Jahres gewählt. Denn das magnetische Bakterium bietet für die Biotechnologie sowie Medizin faszinierende Möglichkeiten. Die winzig kleinen Magnete zeichnen sich durch eine einheitliche Größe und Form sowie hohe Magnetisierung aus. Diese besonderen Merkmale werden von synthetischen Nanopartikeln derzeit noch nicht erreicht. Werden fremde Moleküle an die Magnetosomenpartikel gekoppelt, können diese ihnen zusätzliche nützliche Eigenschaften verleihen. Auch hat sich in Laborversuchen gezeigt, dass isoliertes Magnetospirillum die Wirksamkeit kommerzieller magnetischer Kontrastmittel deutlich übertrifft. Somit sind die Mikroben für die Magnetresonanztomographie (MRT) äußerst interessant. Auch eignen sie sich für Bildgebungsverfahren in der Forschung und medizinischen Diagnostik .

NÜTZLICHE MIKROROBOTER

Andere Forscher versuchen derzeit, die lebenden Magnetbakterien als Mikroroboter zu verwenden. Hierfür beladen sie diese mit Medikamenten und bringen sie dann, magnetisch gesteuert, an den Wirkungsort im Körper. Wenn ein starkes Magnetfeld angelegt wird, erzeugen die magnetischen Bakterien in Zellen oder Geweben Wärme. Mit dieser ließen sich in Tierversuchen sogar Tumore verkleinern. Die Mikroorganismen können also ganz klar eine große und positive Wirkung auf unser zukünftiges Leben haben.

MAGNETOSPIRILLUM WIE KOMPASSNADEL

Schon 1963 entdeckte der Italiener Salvatore Bellini erstmals das magnetische Bakterium. Während er damals noch auf Unglauben stieß, bestätige Richard Blakemore im Jahre 1975 mithilfe des Elektronenmikroskops die faszinierende Beobachtung. Die Mikroorganismen aus Schlammproben richten sich wie eine Kompassnadel im magnetischen Feld aus. Dabei transportieren spezielle Enzyme Eisenionen aus der Umgebung in die Bakterienzelle. So bilden sich Ketten aus 15 bis 30 Eisenoxid-Kristallen, die zusammen als Magnet wirken. Ein Zellskelett aus langen Proteinfäden – das ähnlich aufgebaut ist wie unsere Muskeln –, hält währenddessen die Kristalle in der Zellmitte. Außerdem sortiert es diese bei der Zellteilung gleichmäßig. Per Sauerstoffsensor orientieren sich die Bakterien im Wasser: Sie suchen gezielt Schichten mit dem für sie geeigneten, geringen Sauerstoffgehalt auf. Dabei helfen ihnen die magnetischen Pole der Erde, sich in der richtigen Wassertiefe auszurichten. Dank der detaillierten Erkenntnisse zur Biosynthese und zur Funktion der Magnetosomen gilt Magnetospirillum mittlerweile als wichtiger Modellorganismus für die Bildung bakterieller Organellen.

SCHAUSPIEL UNTER MIKROSKOP

Anfang der 90er stieß Prof. Dr. Dirk Schüler von der Universität Bayreuth auf das Bakterium „Magnetospirillum gryphiswaldense“. Neben dem wissenschaftlichen Hintergrund, lässt sich sogar der Professor immer noch davon begeistern, die Magnetospirillen unter dem Mikroskop magnetisch einheitlich ausgerichtet umherflitzen zu sehen. Deshalb hat er für private Forscher einen Tipp parat: „Mit einem Phasenkontrastmikroskop, das wenigstens 100fach, besser 400fach vergrößert, betrachtet man den Rand eines Schlammtropfens [zum Beispiel aus dem Gartenteich], an den man einen kleinen Stabmagneten hält.“, so der Wissenschaftler, „Magnetbakterien schwimmen hartnäckig in eine Richtung und sammeln sich am Tropfenrand des magnetischen Südpols. Dreht man den Magneten um, wenden auch die Bakterien.“

Bild oben: Magnetospirillum gryphiswaldense in Teilung mit Magnetitkristallen (rot) und dem speziellen Cytoskelett (grün). © M. Toro-Nahulepan/ J. Plitzko

Dieser Artikel erschien am 14.1.2019 in der Innovation Origins.

B-PART: PILOTPROJEKT ZUR GESTALTUNG DER URBANEN ZUKUNFT

Die Entwicklung eines Stadtquartiers von morgen ist der Grundgedanke, der hinter der Urbanen Mitte Am Gleisdreieck in Berlin steckt. Neuartig an dem Konzept ist, dass schon in der ersten Planungsphase seit 2014 neben zahlreichen Experten auch die Bürger einbezogen wurden. Jeder konnte seine Ideen zur Entwicklung der Fläche miteinbringen. Erst, als ein Konsens gefunden war, starteten die nächsten Phasen: der internationale städtebauliche Wettbewerb und das Bebauungsplanverfahren. Im November 2018 wurde Richtfest gefeiert und im Februar soll das sogenannte „Experimentierlabor B-Part“ bezugsfertig sein. Dieses wird, so die Initiatoren von B-Part, hinter denen der Berliner Immobilienentwickler Copro steckt, einen Einblick in „…eines der größten stadtbildverändernden Bauprojekte Deutschlands…“ geben.

TEMPORÄRER BAU

Doch das zweistöckige Holz-Gebäude ist nicht von langer Dauer. Voraussichtlich für vier bis fünf Jahre wird das etwa 1000 Quadratmeter große Haus stehen. Danach wird es demontiert. Das geht, dank modularer Holzbauweise, recht einfach. Sein Vorteil: Es kann im Sinne der Nachhaltigkeit an anderer Stelle gleich wieder aufgebaut werden. Ziel des temporären Gebäudes B-Part ist einzig, die Lebens- und Arbeitswelten von morgen zu erforschen und mitzugestalten. Ob Mobilität, neues Arbeiten, geförderte Kunst und Kultur, Gastronomie, Handel, Innovation und Digitalisierung – in dem Projekt im Zentrum Berlins fließen alle Aspekte des idealen Lebens und Arbeitens inklusive sozialer Verantwortung mit ein. Zudem wird die Optimierung ökologischer, wirtschaftlicher und sozial-räumlicher Aspekte in Augenschein genommen.

Urbane Mitte Am Gleisdreieck
So könnten die Coworking-Plätze im B-Part aussehen ©_EVE images GmbH

CO-WORKINGSPACES UND URBAN IDEATION LAB

Im Fokus des außergewöhnlichen Projekts steht die Interaktion durch Co-Workingspaces nach dem Vorbild von St. Oberholz, einem Co-Working Pionier aus Berlin. Insgesamt soll es 100 Arbeitsplätze mit täglichem Tapetenwechsel geben, an denen Ideen und Themen entwickelt werden, die in das zukünftig entstehende Stadtquartier einfließen sollen. Die Office-Plätze sind tageweise ab 12 Euro buchbar.

Ein wichtiger Teil des Programms ist das für Entrepreneure kostenlose Urban Ideation Lab mit sechs Plätzen. Hier sollen ausgewählte Zukunftsgestalter ‒ sprich: Stipendiaten aller Disziplinen ‒ die Mobilität und das Arbeiten der Zukunft erforschen. Fragestellungen wie „Wie modellieren wir den Verkehr?“, „Wie mobilisieren wir nachhaltige Konzepte?“ und „Wie arbeiten wir morgen?“ stehen dabei im Fokus. Ziel ist es, neue Ansätze für eine Zukunft in lebenswerten Städten zu entwickeln.

KUNST, KULTUR, SPORT UND CAFÉ

Auch sind Atelierräume für zeitgenössische Künstler, Ausstellungsräume ‒ die von dem renommierten Kurator Rüdiger Lange bespielt werden ‒, geplant. Zudem sollen ein öffentliches Café mit Außenbereich sowie Events das Angebot im B-Part abrunden.

Dank dieses Prinzips einer bunten Mischung soll der inspirierende Geist eines „open house für open minds“, an dem Menschen aus allen möglichen Sphären und mit ganz verschiedenen Zielen und Projekten zusammenkommen, gefördert werden.

Nicht nur für junge Leute ist sicherlich auch das außergewöhnliche Sportangebot interessant: Unter Federführung des ehemaligen Olympioniken Philipp Boy soll ein Trainingsparcours eingerichtet werden. Der Parcours wird eine Kombination aus CrossFit, Calisthenics, Kletter-Elementen, Boulder-Bereich und vielem mehr bieten. Denn, so ist man sich einig, zu einer ausgewogenen und zukunftsorientierten Arbeitsweise gehört auch die Bewegung. Diese macht gemeinsam mehr Spaß, sie ist gesund und stärkt vor allem das Miteinander der B-Part-Community, der Anwohner sowie auch der normalsportlichen Parkbesucher. Ob das „open-house/open-minds“-Konzept langfristig aufgeht wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Foto oben: Rendering des Experimentierlabors B-Part Berlin, Am Gleisdreieck ©_EVE images GmbH_EVE images GmbH

Dieser Artikel erschien am 13.1.2019 in der Innovation Origins.

FORSCHUNG: AUSWIRKUNG VON KLIMAWANDEL AUF DEN AUFTRIEB VON TIEFENWASSER

Auftriebsgebiete gelten mit ihrem nährstoffreichen Tiefenwasser als Produktionsstätten der Ozeane. Doch das könnte sich ändern: die Auswirkungen des Klimawandels und damit einhergehend die Verschiebung der Windsysteme sowie die allmähliche Erwärmung der Meere auf Auftriebsgebiete ist noch unklar. Gerade an den östlichen Rändern des Atlantiks und Pazifiks sorgt das Aufsteigen von nährstoffreichem Tiefenwasser für besonders hohe, biologische Produktivität. Die Gebiete weisen dadurch nicht nur eine große Artenvielfalt auf, sondern liefern auch 20 Prozent der weltweiten Fischereierträge. Sie haben somit ‒ auch wenn sie nur knapp zwei Prozent der Fläche der Ozeane einnehmen ‒ eine enorme Bedeutung für die Gesellschaft und Wirtschaft der angrenzenden Länder sowie auch für die gesamte Welternährung.

BENGUELASTROM, KANARENSTROM SOWIE HUMBOLDTSTROM IM FOKUS

Grund genug also, der Frage nachzugehen, ob die Auftriebsgebiete diese Funktion noch erfüllen können, wenn sich die Ozeane weiter erwärmen, sie saurer werden, weiter Sauerstoff verlieren und sich möglicherweise Windsysteme über den Meeren ändern. Unter der Gesamtkoordination des Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sind nun drei Forschungsprojekte mit dem Thema „Bedeutung von Klimaänderungen in küstennahen Auftriebsgebieten“ gestartet. Erforscht wird im Südostatlantik der Benguelastrom, im Nordostatlantik der Kanarenstrom und im Südostpazifik der Humboldtstrom. All diese Gebiete liegen im Bereich von großen, parallel zur Küste verlaufenden Meeresströmungen. Passatwinde treiben dabei die Wassermassen jeweils Richtung Äquator. Und die Erdrotation sorgt dafür, dass sich oberflächennahes Wasser von der Küste fortbewegt, was wiederum kaltes, nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche zieht. Die biologische Produktion wird somit angetrieben.

Auftreibesgebiete der nördlichen Hemisphäre
Die Küstenauftriebsgebiete liegen im Bereich von großen, parallel zur Küste verlaufenden Meeresströmungen ©Vorlage NDAA/Bearbeitung GEOMAR

DIE ROLLE VON WIRBELN VERSTEHEN

Das Forschungsprojekt des Kanarenstroms heißt REEBUS. Es soll die Rolle von Wirbeln für die Kohlenstoffpumpe in Küstenauftriebsgebieten untersuchen. „Es basiert auf der Beobachtung, dass ozeanische Wirbel eine zentrale Rolle für die physikalischen, biogeochemischen und biologischen Eigenschaften von Küstenauftriebsgebieten spielen“, erklärt Prof. Dr. Arne Körtzinger, REEBUS-Koordinator von Geomar. Im Rahmen des Projekts wollen die Forscherinnen und Forscher Wirbel mit einem neuartigen, vielschichtigen Beobachtungsansatz sowie mit Hilfe von Prozessmodellen besser verstehen. Dabei greift das REEBUS-Team auf Vorarbeiten des Kieler Sonderforschungsbereichs 754 zurück. Dem Team steht auf den kapverdischen Inseln mit dem Ocean Science Centre Mindelo ein moderner Stützpunkt für die geplanten Feldarbeiten vor Westafrika zur Verfügung.

REAKTION VON ÖKOSYSTEM AUF GEÄNDERTEN AUFTRIEB

Am Humboldtstrom geht es unter dem Namen CUSCO (Coastal Upwelling System in a Changing Ocean) darum, im Auftriebsgebiet vor Peru die Reaktion des Ökosystem zu erforschen. „Zwar ist es das produktivste aller Küstenauftriebsgebiete,“ so Professor Dr. Ulf Riebesell, der neben der Gesamtkoordination auch die Verantwortung für CUSCO innehat, „es ist aber völlig unklar, wie die biologische Produktivität mit der Intensität des Auftriebs zusammenhängt. Wir wollen besser verstehen, wie dieses hochproduktive Ökosystem reagiert, wenn sich der Auftrieb bedingt durch den Klimawandel verändert“. CUSCO stützt sich im Wesentlichen auf eine Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff MARIA S. MERIAN, die bereits seit Dezember vor der Küste Perus durchgeführt wird. Ein weiterer wichtiger Baustein ist ein Experiment mit der Kieler Offshore-Mesokosmen-Versuchsanlage KOSMOS in den Küstengewässern Perus. Dieses soll von Februar bis April 2020 stattfinden. Hinzu kommen Computersimulationen auf verschiedenen Skalen von speziell angepassten Ökosystem-Modellen bis hin zu regionalen Simulationen der physikalischen und biogeochemischen Prozesse.

FÖRDERUNG DURCH BUNDESFORSCHUNGSMINISTERIUM

Gemeinsam mit REEBUS und CUSCO startet das von Prof. Dr. Heide Schulz-Vogt vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) koordinierte Projekt EVAR (Effekt von Variation in der Auftriebsintensität auf die Bedingungen im Ökosystem), das sich vor allem auf Untersuchungen im Auftriebssystem des Benguela-Stroms konzentriert und in das ebenfalls Wissenschaftler vom GEOMAR eingebunden sind. Die drei Verbundprojekte im Nordost- und Südostatlantik sowie im Südostpazifik werden in den kommenden drei Jahren vom Bundesforschungsministerium mit insgesamt 8,7 Millionen Euro unterstützt. „Es geht darum, die Empfindlichkeit dieser Gebiete gegenüber dem Klimawandel besser zu verstehen, um mögliche Folgen frühzeitig zu erkennen“, fasst Riebesell das Ziel der drei Projekte zusammen. Bleibt zu hoffen, dass nicht nur mögliche Folgen frühzeitig erkannt werden, sondern auch Gegenmaßnahmen – und zwar von allen Ländern der Welt – getroffen werden.

Bild oben: Mesokosmen vor der Küste Perus im Einsatz ©Ulf Riebesell/GEOMAR

Dieser Artikel erschien am 12.1.2019 in der Innovation Origins.

CYBER-SICHERHEIT PER LASERKOMMUNIKATION

Noch ist sie Zukunftsmusik, doch denkbar ist sie schon: die hochsichere Datenübertragung per Satellit. Das deutsche Start-up Mynaric ‒ Hersteller kabelloser Laserkommunikations-Technologien ‒ erhielt kürzlich den Auftrag zur Entwicklung von globalen Hochsicherheitskommunikations-Systemen. Die Gilchinger sollen zunächst eine Studie hinsichtlich der Cyber-Sicherheit aus dem All erstellen. Basis zur Gewährleistung der sicheren Datenübertragung aus dem Orbit ist die Laserkommunikation. Und genau in diesem Bereich gilt das bayerische Unternehmen ‒ eine Ausgründung des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) ‒ als Pionier der Branche: Seit Herbst letzten Jahres produziert es die ersten Geräte in Serie.

QUANTENSCHLÜSSELÜBERTRAGUNG NUTZT LASER

Quantenschlüsselübertragung
Künstliche Darstellung der Laserkommunikation aus dem All ©Mynaric

Der aktuelle Forschungsauftrag zielt auf die Bereitstellung kryptografischer Schlüssel durch Satelliten ab, so dass letztendlich ein quantensicheres Kommunikationssystem aufgebaut werden kann. Denn die Quantenschlüsselübertragung (QKD) gilt dank der Quantenmechanik von Natur aus als sicher, da diese dafür sorgt, dass eine Information nur einmalig abgerufen werden kann. Wird sie von einem Spion abgefangen, erreicht sie ihr Ziel nicht. Der Empfänger weiß somit, dass etwas nicht stimmt. Erhält der Empfänger wiederum die Information, weiß er, dass nur er sie empfangen hat.

Die Quantenschlüsselübertragung nutzt, physikalisch gesehen, Laser. Wobei hier in den Laserstrahlen die Quanteneigenschaften der Photonen in binäre Einsen und Nullen codiert werden. Sobald der Strahl zur Spionage unterbrochen wird, ändern sich die Quanteneigenschaften, was die verschlüsselten Daten für einen Angreifer nutzlos macht. Die optische Quantenkommunikation mithilfe von Laserverbindungen zu Satelliten und zurück wird als der vielversprechendste Weg gesehen, um große – auch globale ‒ Distanzen von mehreren Tausend Kilometern mit stabilen, nicht angreifbaren Kommunikationsverbindungen zu überbrücken.

KOMMERZIELL NUTZBARE LÖSUNG GESUCHT

Eine Demonstrationsmission soll die höchstmögliche Sicherheit der QKD vom Weltraum zum Boden validieren. Zwar wurde schon 2016 durch den chinesischen Quantensatelliten Micius demonstriert, dass eine sichere Kommunikation über eine Entfernung von 7.500 km zwischen China und Österreich möglich ist. Nun soll aber an einer kommerziell nutzbaren Lösung mit ähnlicher Technologie geforscht werden. Grund: der Bedarf an schneller und allgegenwärtiger Datenverfügbarkeit nimmt weltweit dynamisch zu. Und während derzeit die aktuellen Datennetze hauptsächlich auf eine – oft aus rechtlichen, wirtschaftlichen oder logistischen Gründen eingeschränkte – Infrastruktur zurückgreift, scheint eine Erweiterung der bestehenden Netzwerkinfrastruktur in Luft- und Raumfahrt sinnvoll.

KONSORTIUM AUS FÜHRENDEN EUROPÄISCHEN UNTERNEHMEN UND PARTNERN

Den aktuellen Entwicklungsauftrag erteilte das britische Unternehmens ArQit als Public-Private-Partnership mit der European Space Agency (ESA). Neben Mynaric besteht das von ArQit geführte Konsortium aus europäischen Unternehmen wie QinetiQ aus Belgien, BT aus Großbritannien und dem Fraunhofer IOF aus Deutschland.

„Die Arbeit, die wir mit ArQit und den anderen Partnern des Konsortiums leisten, ist ein weiterer Beweis dafür, dass wir eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft einer sicheren, weltraumgestützten Kommunikation spielen; in diesem Fall im Bereich der Quantenkryptographie. Cybersicherheit ist eines der dringlichsten Anliegen unserer Zeit und wir freuen uns, dass die Laserkommunikation in einem weiteren Markt mit hohen Wachstumsprognosen eine entscheidende Rolle spielen wird,“ so Dr Markus Knapek, Gründer und Vorstandsmitglied von Mynaric.

ZIELKUNDEN SIND BANKEN, VERSICHERUNGEN UND BEHÖRDEN

ArQit baut derzeit ein quantensicheres Business-Ecosystem basierend auf einer open source Blockchain auf. So sollen die Quantenschlüssel von ArQit’s Kunden genutzt werden, um ihre Kommunikation vor Cyber-Angriffen aller Art, auch vor zukünftigen Quantencomputern, zu schützen.

Das System verbindet einen, mit einer vertrauenswürdigen optischen Nutzlast ausgestatteten, Satelliten mit Bodenstationen auf der ganzen Welt, um Daten an staatliche oder kommerzielle Kunden zu liefern, bei denen die Sicherheit und Vertraulichkeit der gemeinsam genutzten Informationen von höchster Bedeutung sind. Zielkunden könnten hier Banken, Versicherungen, Krankenhäuser oder Behörden sein. Da jeder Standort, der in das hochsichere Kommunikationssystem aufgenommen werden soll, eine eigene optische Bodenstation benötigt, könnte aus der initialen Studie an die Bayern ein Auftrag zur praktischen Umsetzung folgen.

Bild oben: Bodenstation von Mynaric ©Mynaric

Dieser Artikel erschien am 11.1.2019 in der Innovation Origins.

STATT CHEMIE: BIOLOGISCHER PFLANZENSCHUTZ FÜR MEERESALGEN

Algen sind gesund – zumindest in Maßen. Und dank ihrer vielfältigen Eigenschaften werden sie manchmal sogar als Rohstoff des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Immerhin stammt jedes zweite Sauerstoffmolekül das wir zum Atmen brauchen aus der Photosynthese der Algen. Algen könnten also als Klimaretter dienen. Außerdem wird über ihre Nutzungsmöglichkeiten als Energiequelle sowie Kläranlage geforscht. Zuguterletzt werden Algen in der Medizin, Kosmetikindustrie sowie als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Grund genug also, die Algenzucht weltweit zu intensivieren – aber auch über sie zu forschen.

ANBAU VON MONOKULTUREN BIRGT RISIKO

Ähnlich wie Landpflanzen sind auch Meeresalgen anfällig für Krankheiten und Parasiten. Somit birgt der Anbau von Pflanzen in Monokulturen ein erhöhtes Risiko. Allein durch diverse Aufwuchsorganismen – beispielsweise Seepocken oder epiphytische Algen – ist der Seetang bedroht. Denn diese besiedeln die Oberflächen der Tange, vermindern dadurch ihr Wachstum und somit ihren Marktwert. So hat die jüngste Intensivierung des Algenanbaus in größeren Monokulturen schon zu einigen katastrophalen Krankheitsausbrüchen und hohen wirtschaftlichen Verlusten geführt. Um die Algen zu schützen müssen also wirksame Gegenmaßnahmen entwickelt werden.

Doch die Anwendung von Bioziden, wie in der Landwirtschaft üblich, ist für Algenkulturen kaum geeignet. Denn die Wirkstoffe werden zu schnell durch Wellen und Strömungen im Meer verdünnt. Das macht den Einsatz solch giftiger Verbindungen einerseits unwirtschaftlich, zugleich gefährdet er die Küstenumwelt.

AKTIVIERUNG DER NATÜRLICHEN EIGENABWEHR

Wissenschaftlern des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel in Kooperation mit ihren Kollegen von der Ocean University of China in Qingdao gelang es nun erstmals, den Seetang ohne Chemie wirksam vor bestimmten Krankheitserregern zu schützen. Geforscht wurde an der Saccharina-Aquakultur: Und zwar in China – das übrigens traditionell als größter Produzent von Lebensmittelalgen gilt –, an den Braunalgen der Art „Saccharina japonica“. In Deutschland untersuchten die Forscher den in Europa heimischen Zuckertang „Saccharina latissima“.

Algenanbau
Algenernte auf einer Algenfarm in Rongcheng (China) © Florian Weinberger/GEOMAR

Die deutsch-chinesischen Wissenschaftler testeten dabei in Feldversuchen auf kommerziellen Algenfarmen die gezielte Aktivierung der natürlichen Eigenabwehr von Seetang. Hierfür behandelten sie die Algen in verschiedenen Zeitintervallen mit einem speziellen Saccharid (Oligoalginat), das einen Hauptbestandteil der Trockenmasse von Saccharina und verwandter Algen bildet. Unter natürlichen Bedingungen wird dieses ungiftige Saccharid bei Angriffen von Krankheitserregern aus dem befallenen Algengewebe freigesetzt und dann von benachbarten, gesunden Algenzellen mit großer Empfindlichkeit erkannt. Diese Erkennung löst dann sofort – innerhalb von Minuten – Abwehrreaktionen aus.

Die Forscherteams simulierten durch wöchentliche Kurzzeit-Behandlungen der Algen mit Seewasser, welches künstlich gewonnenes Oligoalginat enthielt, Angriffe von Krankheitserregern. Sowohl bei der deutschen als auch bei der chinesischen Algenart konnten sie positive Effekte erzielen. Ihr Ergebnis: Der Verlust von Algenkeimlingen war messbar geringer, der Befall erntereifer Saccharina mit parasitischen Mikroalgen ging deutlich zurück und auch die Dichte von Bakterien auf der Algenoberfläche war reduziert.

ZUNAHME VON AUFWUCHSORGANISMEN ALS UNERWÜNSCHTER NEBENEFFEKT

Doch kam es gleichzeitig zu einer Zunahme des Befalls der Algen mit Seepocken und anderen Aufwuchsorganismen. Wie der Leiter des Projektes, Dr. Florian Weinberger vom GEOMAR, erklärte, steht dieser unerwünschte Nebeneffekt wahrscheinlich direkt mit der Reduktion des bakteriellen Bewuchses auf der Algenoberfläche in Zusammenhang: Die Besiedlung von Algen und anderen lebenden und nichtlebenden Oberflächen im Meer durch Aufwuchsorganismen wird maßgeblich durch Bakterien beeinflusst, von denen einige Abwehrstoffe gegen Larven und Algensporen produzieren. „Wenn es uns eines Tages, gelingt Signalstoffe zu finden, die selektivere Abwehrreaktionen in den Algen auslösen, so dass nicht alle, sondern nur die unerwünschten Mikroorganismen eliminiert werden, kann die Methode noch deutlich hilfreicher sein. Aber schon heute lässt sie es zu, Verluste von Keimlingen zu reduzieren. Bei diesen spielt Aufwuchs nämlich noch keine Rolle,“ so Dr. Weinberger.

Die Studie wurde vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und mit den Partnerunternehmen Coastal Research and Management in Kiel und Weihai Changqing Ocean Science & Technology Co. Ltd. in Rongcheng durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie, die übrigens vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert wurde, sind jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Journal of Applied Phycology erschienen.

Foto oben: Algenfarm in Rongcheng (China) © Florian Weinberger/GEOMAR

Dieser Artikel erschien am 10.2.2019 in der Innovation Origins.

CONVERCYCLE: VOM CITYBIKE ZUM LASTENRAD

Keine Frage: Radfahren ist gesund und schont die Umwelt. Doch wer etwas zu transportieren hat, steigt dann meist wieder auf das Auto um. Dieses umweltbelastende Verhalten könnte bald Vergangenheit sein. Denn der Offenbacher Design-Student David Maurer tüftelt derzeit an einer flexiblen Lösung, die die Vorteile eines wendigen Citybikes mit denen eines praktischen Lastenfahrrades vereint. Sein überzeugendes Konzept ist ein Alltagsfahrrad, das sich mit nur einem Handgriff innerhalb von Sekunden in ein Cargobike verwandelt.

Der Trick: Durch leichtes Anheben des Korbes lässt sich das Hinterrad bequem ausklappen. Zum Vorschein kommt ein integrierter Lastenkorb, der mit einem Volumen von etwa zwei Wasserträgern beziehungsweise einem zulässigen Gewicht von 60 Kilogramm Platz für Einkäufe aber auch Kindersitze bieten soll. Maurer plant zudem individuelle Anpassungen seines Bikes mit Sonderbauten wie abschließbaren Kisten sowie E-Bike-Varianten mit 250 Watt – was einer Reichweite von etwa 60 Kilometern nahekommt – zu konzipieren.

convercycle

So einfach wird das Bike umgebaut @ Convercyle

TESTPHASE BIS ZUR MARKTREIFE

Vom Allroundbike zum Citybike

Als Citybike passt das Convercycle in jeden Fahrradständer ©Convercycle

Derzeit befindet sich der etwa 18 Kilogramm wiegende Prototyp des Convercycles in der Testphase. Zusammen mit einem Fahrrad-Rahmenbauer aus Frankfurt sowie einer Engineering GmbH aus München wird er gerade bis zur Marktreife perfektioniert. Gleichzeitig läuft seit Januar 2019 eine Indiegogo-Kampagne, um die Herstellung und den Vertrieb des Convercycles final zu realisieren. Der Offenbacher Produktdesigner wird dabei von „idea meets market“, einem Verwertungsdienstleister, der sich auf den Technologietransfer spezialisiert hat, unterstützt.

Zukunftsweisendes Konzept

Das Convercycle-Team rechnet mit einem hohen Zuspruch. Denn das variable Bike aus Offenbach dürfte den immer weiterwachsenden Ansprüchen an ein modernes und umweltfreundliches Fahrzeug für die Stadt sehr entgegenkommen. Viel zu umständlich ist derzeit noch der Transport mit dem Alltagsbike. Rucksack, Korb und Anhänger machen die Fahrt oft zu einer unsicheren Wackelpartie. Und wer nicht professioneller Kurier ist, hat sicherlich auch kein herkömmliches Lastenfahrrad als mobile Alternative in der Garage stehen. Zumal dieses für den Hausgebrauch ganz einfach zu sperrig ist. Es passt weder in Fahrradständer noch eignet es sich zur Mitnahme in die Bahn. Das innovative Konzept aus Offenbach scheint also der richtige Weg in die Zukunft.

Skizze des Convercycle
Die technischen Details des Convercycles ©Convercycle

TECHNISCHE DETAILS T

Das etwa 1,85 Meter lange Citybike ist in der ausgeklappten Version 2,55 Meter lang. Erhältlich wird das Rad in zwei Größenversionen mit leichtrollenden 28 Zoll Schwalbe G-One Reifen sein. Auch die weitere Ausstattung kann sich sehen lassen: während die elektrische Variante eine Shimano Nexus Inter erhalten soll, kommt die stromfreie Version mit einer Shimano Alfine 8-Gang-Schaltung daher. Zudem werden dem Cityflitzer SM-RT64 Scheibenbremsen von Shimano verpasst. Sobald die Prototypen getestet sind, wird sich das Convercycle einer TÜV-Prüfung stellen und für eine Straßenzulassung stark gemacht. Übrigens: Wer schnell ist und das angehende Unternehmen finanziell unterstützt, kann im Moment noch eine der limitierten Convercycle-Vorab-Editionen – voraussichtlicher Liefertermin August 2019 – zum Selbstkostenpreis ergattern.

Bild oben: Produktdesigner David Maurer auf einer Testfahrt ©Convercycle

Dieser Artikel erschien am 9.2.2019 in der Innovation Origins.