Archiv der Kategorie: Science&Future

DROPSTONE-IMITAT 18 JAHRE IN DER ARKTISCHEN TIEFE – KAUM BESIEDLUNG

Sie sind ein faszinierender Anblick: Unterwasseraufnahmen, in denen Haarsterne und Seelilien Ihre Tentakel rhythmisch mit der Bewegung des Wassers hin- und herwiegen. Aus der arktischen Tiefe stammen solche Bilder und Filme von ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen, die am fast unerreichbaren Meeresgrund unterwegs sind.

Die oben genannten, zu den Schwammarten gehörenden Meerestiere, sind wortwörtlich mit ihrem Lebensraum verwachsen. Sie leben auf sogenannten Dropstones. Das sind Steine oder auch ganze Felsblöcke, die an Land in einen Gletscher einfrieren und von Eisbergen ins Meer hinaus transportiert werden. Sobald das Eis schmilzt, sinken diese Steine auf den Meeresgrund. Dort bieten sie genau das harte Substrat, auf das viele der sesshaften Arten angewiesen sind. Ihre Nahrung fischen diese sich dann mit Filterapparaten oder Fangarmen aus dem Wasser.

TIEFSEEOBSERVATORIUM HAUSGARTEN

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) erforschten nun, wie lange es dauert, bis sich die ersten Siedler in der Tiefsee der Arktis niederlassen. Auch wollten sie wissen, wie sich die Lebensgemeinschaft danach weiterentwickelt. „Darüber wusste man bisher so gut wie gar nichts“, erklärt Michael Klages vom AWI. Zwar gibt es einige Studien, die solche Fragen in der Antarktis untersuchten. Doch hatten sich diese auf flache Meeresbereiche konzentriert. Hier herrschen andere Lebensbedingungen.

Aber nun gibt es neue Erkenntnisse aus dem Tiefsee-Observatorium namens Hausgarten. Es liegt in der Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland. Das AWI führt hier verschiedene ökologische Langzeituntersuchungen durch.

So stellten Michael Klages und seine Kolleginnen und Kollegen aus der Tiefseeforschungsgruppe des AWI im Juli 1999 einen schweren Metallrahmen mit sogenannten Besiedlungsplatten aus Klinkersteinen, Plexiglas und Holz auf den Meeresboden. In einer Wassertiefe von 2500 Metern sollte dieser den sesshaften Tiefseebewohnern Halt bieten. Und dann hieß es für die Forschenden abwarten, was passiert.

Zunächst statteten sie dem Dropstone-Imitat in den Jahren 2003 und 2011 per ferngesteuerter Unterwasserfahrzeuge einige Besuche ab. Ende August 2017 holten sie das Gestell schließlich wieder an die Oberfläche. Die Erstautorin der aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichung, Kirstin Meyer-Kaiser, die mittlerweile im Meeresforschungsinstitut Woods Hole Oceanographic Institution im US-Bundesstaat Massachusetts arbeitet, nahm die geborgenen Besiedlungsplatten anschließend „unter die Lupe“. Sie zählte die einzelnen Organismen, sammelte sie ab und ordnete sie taxonomisch ein, klassifizierte sie also.

Kirstin Meyer (l) und Melanie Bergmann sammeln Organismen von dem Stahlrahmen, der nach 18 Jahren am Grund der arktischen Tiefsee mit dem Forschungsschiff Polarstern wieder geborgen wurde ©Esther Horvath

BESIEDLUNG VOM EINZELLER ZUM MEHRZELLER IN ZEITLUPE

„In diesem Experiment haben wir gesehen, dass die Besiedlung solcher Habitate in der arktischen Tiefsee extrem langsam vor sich geht“, resümiert Michael Klages. Nach vier Jahren hatten sich auf den Platten nur Einzeller aus der Gruppe der Foraminiferen eingefunden. Nach zwölf Jahren war mit dem Polypen Halisiphonia arctica nur ein einziges mehrzelliges Tier dazugekommen. Und selbst nach 18 Jahren beschränkte sich die Zahl der wirbellosen Mehrzeller auf gerade einmal 13 Arten.

Aus dieser bescheidenen Ausbeute schließen die Forscher allerdings nicht, dass die natürlichen Hartsubstrate keine wichtigen Habitate wären – ganz im Gegenteil: „Ohne sie würde es etliche sesshafte Tiere in der arktischen Tiefsee gar nicht geben“, betont Michael Klages. Der in den Meeren inzwischen allgegenwärtige Zivilisationsmüll scheint dabei kein guter Ersatz zu sein. Zwar hat das AWI-Team auf den von ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen aufgenommenen Bildern durchaus schon eine Plastikflasche gesehen, auf der eine Seelilie wuchs. „So sind wir darauf gekommen, bei unserem Experiment auch Plexiglasplatten zu verwenden“, erklärt der Forscher. „Wir wollten sehen, ob diese genauso gut besiedelt werden können wie ein naturnaher Untergrund.“ Das ist offenbar nicht der Fall. Jedenfalls hatten sich nach 18 Jahren auf dem Kunststoff deutlich weniger Tiere eingefunden als auf den Klinkersteinen.

EMPFINDLICHE ÖKOSYSTEME

Auch letztere konnten allerdings bei weitem nicht mit einem benachbarten Felsenriff mithalten, wo sich immerhin 65 verschiedene Wirbellose nachweisen ließen. Möglicherweise haben also selbst fast zwei Jahrzehnte nicht genügt, um auf den Platten die theoretisch mögliche Artenvielfalt zu erreichen. Das erwähnte Riff ist dagegen deutlich älter und hatte entsprechend mehr Zeit, um eine größere Palette von Bewohnern anzulocken.

Die Ergebnisse liefern damit auch wichtige Erkenntnisse über die Empfindlichkeit von Tiefsee-Ökosystemen.

Wenn dort Störungen die sesshaften Bewohner am Meeresgrund beseitigen, dürfte es Jahrzehnte dauern, bis sich die Lebensgemeinschaft davon wieder erholt hat…“

…, warnt Michael Klages. In der Arktis können solche Störungen etwa durch Fischerei, Bohrungen nach Öl und Gas auftreten. Deutlich weitreichendere Folgen aber sind zum Beispiel in der Tiefe des Pazifiks zu erwarten, wo künftig großflächig Manganknollen abgebaut werden sollen.

Die Arbeit der Wissenschaftler wurde kürzlich in Limnology and Oceanography 2019veröffentlicht.

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Bild oben: „Dropstone“ ©ROV Kiel 6000 GEOMAR

WAS IST IM VAKUUM? – FORSCHUNGSGRUPPE GEHT DEM „NICHTS“ AUF DIE SPUR

Das Vakuum ist leer, oder? Oder doch nicht? Zumindest nicht für Quantenphysiker. Denn diese gehen davon aus, dass selbst hier noch Teilchen und Anti-Teilchen fluktuieren. Bisher gibt es für diese Annahme noch keinen eindeutigen Beweis. Doch schon die deutschen Physiker Werner Heisenberg und Hans Euler vermuteten Lichtinteraktionsprozesse im vermeintlichen Nichts. Nun haben sich Forschungsgruppen der Universität Jena, des Helmholtz-Instituts Jena (HIJ), der Universität Düsseldorf und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zum Ziel gesetzt, physikalische Prozesse im Quantenvakuum erstmals experimentell nachzuweisen.

LICHT MACHT PHÄNOMENE IM „LEEREN RAUM“ SICHTBAR

„Starke Felder bringen die Quanten zum Wackeln.“ So in etwa beschreiben die Experten ihr Forschungsziel für nicht-Physiker. Genauer gesagt wollen sie Quantenvakuumprozesse, die den Grundzustand der Natur bilden, mit Hochintensitätslasern nachweisen. „Das Besondere an unserem Team ist das enge Zusammenspiel von fundamentaler Theorie und hoher Experimentierkunst“, erläutert Dr. Felix Karbstein, Theoretiker am HIJ. Karbstein arbeitet an der genauen Vorhersage für Messgrößen, in denen die im Vakuum extrem kurz entstehenden Teilchen und ihre Anti-Teilchen ihre Spuren hinterlassen.

Prof. Dr. Holger Gies (r.) und Dr. Felix Karbstein wollen gemeinsam mit ihrer neuen Forschungsgruppe kleinste Teilchen im „leeren Raum“ aufspüren ©Jan-Peter Kasper/FSU

Die Jenaer Experimentalphysiker sowie die Kollegen an der LMU forschen derweil an einer Methodik, um den praktischen Nachweis zu erbringen. Dazu entwickeln und kombinieren sie leistungsstarke Laser mit neuartigen, präzisen Messverfahren. So sollen die flüchtigen Prozesse im Vakuum gemessen werden können. Denn bislang existierten keine Lichtquellen, die für eine experimentelle Überprüfung leistungsfähig genug waren. Die modernen Hochintensitätslaser, die bei den Versuchen zum Einsatz kommen, nähern sich inzwischen der notwendigen Laserleistung. Daher werden die Experimente nicht nur in Jena und München, sondern auch am Europäischen Röntgenlaser bei DESY in Hamburg durchgeführt.

Die moderne Physik sieht die Phänomene des Quantenvakuums, die Gies und sein Team beweisen wollen, als fundamental und exotisch zugleich an. Dazu zählen beispielsweise die multiphotonische Erzeugung von Teilchenpaaren aus dem Vakuum sowie Streuphänomene des Lichts, wie die sogenannte Quantenreflexion. Diesen schwer zu fassenden Ereignissen ist jedoch nicht nur die Jenaer Forschungsgruppe auf der Spur. „Wir befinden uns in einem internationalen Wettbewerb“, weiß Prof. Dr. Holger Gies, Quantentheoretiker und Leiter der Forschungsgruppe. Der Physiker hofft ‒ da er von den Fähigkeiten seiner experimentellen Kollegen überzeugt ist ‒, dass die Forschungsgruppe aufgrund der besonderen Nähe von Theorie und Praxis den Nachweis als erstes führen kann.

EIGENSCHAFTEN DES VAKUUMS ALS BAUSTEINE NUTZEN

Nicht nur für die Quantenphysik selbst ist der Nachweis und das Verständnis der Vakuumphänomene von Bedeutung. Die Ergebnisse könnten in Zukunft bei der Entwicklung von Geräten helfen, die die Eigenschaften des Vakuums als Bausteine nutzen. So sind beispielsweise moderne Hochleistungslaser und präzise Messmethoden auch aus der Medizin, den Lebenswissenschaften und der Materialforschung nicht mehr wegzudenken. „Bei der Erforschung des Quantenvakuums kommen wir Grundlagenforscher einer konkreten Anwendung somit vergleichsweise nahe“, so Gies. Andererseits bestehe sogar die Möglichkeit, Hinweise auf Kandidaten für die rätselhafte Dunkle Materie zu finden. Diese wiederum ist für die Strukturbildung im Universum verantwortlich. Sie könnte aber auch im Quantenvakuum Spuren hinterlassen. Doch nun gilt es erst einmal die erhofften Ergebnisse zu realisieren. Also nachzuweisen, dass es selbst im Zustand niedrigster Energie physikalische Prozesse gibt.

Das Forschungsprojekt namens „Probing the Quantum Vacuum at the High-intensity Frontier“ ist auf sechs Jahre angelegt. Wobei die erste, dreijährige Phase von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund zwei Millionen Euro und insgesamt neun Doktorandenstellen finanziert wird.

Bild oben: Annika Schmitt und Benjamin Grabiger von der Universität Jena arbeiten hier an einem Polarimeter, um die benötigten Präzisionsmessverfahren zu verbessern. ©Jan-Peter Kasper/FSU

SCHWERSTE DEPRESSIONEN DURCH TIEFE HIRNSTIMULATION GELINDERT

Eine gemeinsame Studie des Universitätsklinikums Freiburg und des Universitätsklinikums Bonnwies nun nach: Schwerste Depressionen können durch Tiefe Hirnstimulation deutlich gelindert werden. An dieser weltweit größten Studie nahmen 16 Probanden teil. Deren Beschwerden wurden schon nach kurzer Zeit deutlich verbessert.

„Die Studie ist in Patientenzahl und erzielter Wirkung weltweit einmalig. Wir konnten erstmals in einer großen Studie zeigen, dass die Tiefe Hirnstimulation eine ernsthafte Option für Patienten mit schwerster Depression ist“

…, so Studienleiter Prof. Dr. Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.

Bei den Patientinnen und Patienten wurde mittels hauchdünner Elektroden ein Teil des Belohnungssystems im Gehirn stimuliert, was bei allen Patienten eine deutliche Besserung der Beschwerden brachte. Im Schnitt halbierte sich die Schwere der Depression. Die Hälfte der Probanden lag sogar unterhalb des Werts, ab dem man von einer behandlungsbedürftigen Depression spricht. Zudem reagierten die meisten Patienten bereits in der ersten Woche auf die Stimulation. Besonders freut es die Wissenschaftler, dass die positiven Effekte während der einjährigen Studie anhielten. Demnach können Menschen mit schwerster, behandlungsresistenter Depression nicht nur akut, sondern auch langfristig von einer Tiefen Hirnstimulation profitieren.

ALTERNATIVE THERAPIEOPTION

Schätzungen gehen davon aus, dass zehn bis 30 Prozent aller Menschen mit wiederkehrender Depression nicht auf zugelassene Therapien ansprechen. Für einige dieser Menschen könnte die Tiefe Hirnstimulation eine Therapieoption sein. Die 16 Studienteilnehmer der FORSEE-II-Studie litten zwischen 8 und 22 Jahren an einer schwersten Depression. Im Schnitt hatten sie zuvor erfolglos 18 medikamentöse Therapien, 20 Elektrokrampftherapien und 70 Stunden Psychotherapie durchlitten.

Prof. Dr. Volker A. Coenen, Erstautor der Studie und Leiter der Abteilung Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg, implantierte mit seinem Team den Patienten die hauchdünnen Elektroden. Sie stimulierten damit das mediale Vorderhirnbündel. Dieser Hirnbereich ist an der Regulation der Wahrnehmung von Freude und Belohnung beteiligt und damit auch für Motivation und Lebensqualität von Bedeutung.

DEUTLICHE LINDERUNG NACH KURZER ZEIT

Im monatlichen Rhythmus bewerteten die Ärzte die Wirkung der Therapie mit Hilfe der etablierten Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS). Bereits in der ersten Woche fiel der MADRS-Wert bei zehn Probanden deutlich ab und hielt sich auf niedrigem Niveau. Im Laufe der Studie reagierten alle Probanden auf die Stimulation. Acht der 16 Patienten hatten zu Studienende einen MADRS-Wert von unter 10 Punkten. Sie galten damit als nicht depressiv.

„Unsere Patienten haben jahrelang mit schwersten Depressionen gekämpft und nichts hat Besserung gebracht. Die Tiefe Hirnstimulation führte bei den meisten innerhalb von Tagen zu einer deutlichen Linderung, die dann auch durchgehend anhielt“,

freut sich Prof. Schläpfer und er ergänzt: „Andere Therapieformen wie Medikamente oder Psychotherapie verlieren oft im Laufe der Zeit ihre Wirksamkeit. Das absolut Sensationelle an den Daten ist, dass der Effekt der Therapie anhaltend zu sein scheint, die positiven Effekte halten über Jahre an.“ Schon in einer Pilotstudie hatten die Wissenschaftler herausgefunden, dass die Stimulation des medialen Vorderhirnbündels sehr vielversprechend ist. Nun sind sie froh, wieder die gleichen deutlichen Effekte festzustellen.

HOFFNUNG AUF EUROPÄISCHE ZULASSUNG DES VERFAHRENS

Aufbauend auf den Ergebnissen der jetzt publizierten Studie begannen die Freiburger Forscher bereits im Oktober 2018 mit ihrer dritten Studie (FORESEE-III). Darin sollen 50 schwerstdepressive Patienten behandelt werden. 15 Patienten wurden bereits operiert. „Wenn die Folgestudie genauso erfolgreich ist wie die aktuelle, besteht große Hoffnung auf eine europäische Zulassung des Verfahrens“, sagt Prof. Schläpfer. Die Studie ist am Donnerstag, 14. März 2019 vorab online im Nature-Fachmagazin Neuropsychopharmacology erschienen.

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Bild oben: Mit zwei Elektroden stimulierten die Freiburger Ärzte bei schwerstdepressiven Patienten das mediale Vorderhirnbündel (blau), das an der Wahrnehmung von Freude und Belohnung beteiligt ist. © Universitätsklinikum Freiburg

STRESSHORMONE FÖRDERN DIE METASTASIERUNG VON BRUSTKREBS

Es gibt viele Faktoren, bei denen vermutet wird, dass sie zum Krebswachstum beitragen. Stress ist einer davon. Doch Stress ist subjektiv, also schwer zu messen. Bis jetzt beriefen sich Studien, die den Zusammenhang von Stress und Krebs herstellten, auf empirische Daten. Ein exakter wissenschaftlicher Beweis blieb offen. Denn eine große Herausforderung in der Erforschung wie auch in der Behandlung von metastasierendem Brustkrebs ist die Tumorheterogenität. Im Verlauf der Erkrankung wird der Tumor nämlich vielfältiger. Somit können die wachsenden Unterschiede zwischen den einzelnen Krebszellen zu einem unzureichenden Therapieerfolg führen. Unbekannt waren dabei bis dato die zu Grunde liegenden Mechanismen dieses Phänomens.

FORSCHUNG ANHAND VON MAUS-KREBSMODELL

Forschende der Universität Basel sowie des Universitätsspitals Basel deckten kürzlich die molekularen Mechanismen auf, die Brustkrebsmetastasen mit erhöhten Stresshormonen verbinden. Für ihre Studien untersuchten die Wissenschaftler rund um Prof. Mohamed Bentires-Alj die Form des sogenannten dreifach negativen Brustkrebses. Er ist eine besonders aggressive Krebsart, dessen Name sich durch die bei ihm nicht vorhandenen Rezeptoren ‒ also dem Östrogenrezeptor, Progesteronrezeptor oder HER-2-Rezeptor ‒, anhand derer die Oberfläche der Krebszellen eingeteilt wird, ableitet. Der dreifach negative Krebs ist resistent gegen Standardtherapien und bietet für die Patientinnen weniger Behandlungsmöglichkeiten.

Ihre Forschungen nahmen die Wissenschaftler an einem Maus-Krebsmodell vor. Um hier die Heterogenität zwischen Tumoren und Metastasen zu untersuchen, erforschten sie die Aktivität von Genen. Dabei stellten sie fest, dass Metastasen eine erhöhte Aktivität bei den sogenannten Glukokortikoid-Rezeptoren (GR) verzeichnen. Diese binden Stresshormone wie etwa Cortisol.

Mäuse mit Metastasen hatten höhere Konzentrationen von Stresshormonen als Mäuse ohne Metastasen. Die Studie zeigt, dass erhöhte Stresshormonlevels die GR aktivieren. Dies führt wiederum zu einer verstärkten Kolonisierung und Heterogenität der Krebszellen. Was letztendlich eine verkürzte Lebensdauer mit sich bringt.

NEUE THERAPIEN DENKBAR

Die GR binden auch synthetische Derivate von Cortisol. Dazu gehören zum Beispiel der Entzündungshemmer Dexamethason, der oft eingesetzt wird, um die Nebenwirkungen der Chemotherapie zu lindern. Die Forschungsergebnisse zeigten, dass Dexamethason die Wirksamkeit des Medikaments Paclitaxel, welches vielfach in der Chemotherapie Verwendung findet, beeinträchtigen kann.

Die Ergebnisse der Baseler Forschungsgruppe weisen darauf hin, dass bei der Verschreibung von Glukokortikoid-Hormonen an Patientinnen mit Brustkrebs Vorsicht geboten ist. Auch macht die Studie deutlich, dass die Blockierung der GR von Vorteil sein kann. Sie könnte zudem zur Entwicklung neuer Therapien für die Bekämpfung der Metastasierung von Brustkrebs führen.

„Die Tumorheterogenität ist ein großes Hindernis bei der Behandlung“

…, betont Prof. Bentires-Alj. Und er fährt fort: „Die Bedeutung von Stressmanagement kann nicht überbetont werden – insbesondere bei Patientinnen mit dreifach negativem Brustkrebs.“ Er empfiehlt betroffenen Patientinnen deshalb ein moderates Bewegungstraining sowie Entspannungstechniken. Nicht nur laut Bentires-Alj ist dies nachweislich mit einer verbesserten Lebensqualität und erhöhten Lebenserwartung verbunden.

Die Studie wurde kürzlich im International Journal of Science Nature veröffentlicht. Prof. Bentires-Alj ist übrigens zusammen mit Prof. Walter Paul Weber, Chefarzt der Abteilung für Brustchirurgie am Universitätsspital Basel, Gründer des Brustkonsortiums Basel.

Bild oben: Gezieltes Stressmanagement in Verbindung mit einem moderaten Bewegungstraining und Entspannungstechniken sind nachweislich mit einer verbesserten Lebensqualität und erhöhter Lebenserwartung der Patientinnen verbunden ©yogakalyanii by Pixabay

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ICE-ROAD-TRUCKS IM VISIER VON TANDEM-X: RASER VERURSACHEN WELLEN

Unter der strengen Beobachtung des deutschen TanDEM-X-Radarsatelliten stellten Forschende vom Canada Centre for Mapping and Earth Observation (CCMEO) fest, dass schnell fahrende Ice Road Trucks wellenförmige Hebungen und Senkungen der Eisdecke verursachen. Doch ging es bei der Studie nicht um Geschwindigkeitsmessungen, sondern die Frage, inwieweit der DLR Radarsatellit TanDEM-X zur Unterstützung des Eisstraßenmanagements einsetzbar ist.

WINTERSTRASSE TIBBITT-TO-CONTWOYTO IM FOKU

Aus Film und Fernsehen sind die wagemutigen Eis-Trucker, die mit ihren tonnenschweren LKW´s Waren über die zugefrorenen Seen Kanadas bringen, mittlerweile auch in Deutschland bekannt. Über diese nur in wenigen Wochen des Jahres existierenden Highways werden abgelegene Gemeinden und Industrien mit schwer transportierbarem Material versorgt. Das spart Zeit und Geld. Ist aber auch höchst riskant. Zudem verstärkt der Klimawandel die Schwierigkeiten der Eisstraßenbetreiber.

Aus der aus TanDEM-X-Daten hergeleiteten Hebungs- und Senkungskarte (nur über Eisflächen auf dem See) lassen die großflächigen Hebungen und Senkungen der Eisdecke auf schnell fahrende Fahrzeuge schließen, kleinere (unten im Bild) auf langsame ©DLR

Die Studie des CCMEO konzentrierte sich auf die Winterstraße Tibbitt-to-Contwoyto in den nordwestlichen Territorien Kanadas. Auf dem Radarbild wird eines der Ergebnisse sichtbar: Schnell fahrende Fahrzeuge führen zu wellenförmigen Hebungen und Senkungen der Eisdecke. Vor allem in flachen Gewässern kann dies zu gefürchteten Eisdurchbrüchen führen, also den sicheren Verkehr gefährden.

Die Abbildung wurde – unter Verwendung der Methode der differentiellen SAR-Interferometrie – aus zwei TanDEM-X-Datensätzen, die im Abstand von zehn Sekunden aufgenommen wurden, erzeugt. Durch den Zeitabstand ist es möglich, vertikale Verschiebungen der Eisbedeckung, die durch den Verkehr verursacht werden, im Zentimetermaßstab mit einer hohen Detaildichte und -genauigkeit zu erkennen. Dies wird bis jetzt von keiner anderen Technologie erreicht.

Somit ist klar: Radarsatelliten wie TanDEM-X sind nützliche Werkzeuge zur Sammlung von Informationen. Sie unterstützen also das Eisstraßenmanagement durch ihre Fähigkeit, die Eisstraßen in der Dunkelheit des Winters und unter widrigen Wetterbedingungen bildlich hochgenau zu erfassen. Zudem erlaubt es die Radartechnik die Daten wetterunabhängig zu erheben. Denn Schneefall, Regen sowie Dunkelheit spielen ‒ da sie nicht von der optischen Erkennbarkeit abhängig sind ‒, für Radaraufnahmen keine Rolle. Auch ermöglichen es die relativ langen Wellenlänge der Radarsatelliten, in das Eis hineinzuschauen. Sie können somit Aussagen über die Qualität und Beschaffenheit der Eisbedeckung machen. Eine sehr nützliche Information, um das sogenannte Moving Vehicle Problem, also das Einbrechen der Lastwägen, zu verhindern.

EXPERTISE AUS DEUTSCHLAND

Die Wissenschaftler des Instituts für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sind für ihre speziellen Radartechnologien und Analyseverfahren, die eine hochgenaue Beobachtung von Permafrost ermöglichen, bekannt. Schon im Herbst 2018 kooperierten die Deutschen mit einem kanadischen Team, um den Permafrost in der Antarktis anhand neuester Radartechnologien zu beobachten. Im März 2019 startet nun die DLR-Winterkampagne PermASAR (Permafrost Airborne SAR). Diese soll im Norden Kanadas einen hochmodernen Radar-Datensatz im X-, C- und L-(Frequenz-)Band zur Erdbeobachtung liefern und das Eisstraßenmanagement damit unterstützen.

Auch hat das DLR schon eine mögliche Nachfolgemission zu TanDEM-X entworfen. So sind bei dem Tandem-L-Missionskonzept zwei Radarsatelliten vorgesehen. Sie arbeiten im L-Band (23,6 Zentimeter Wellenlänge) und erfassen dynamische Prozesse auf der Erdoberfläche global und systematisch.

Ziel von Tandem-L ist es, im Wochenrhythmus die Landmasse der Erde vollständig abzubilden. Bislang benötigt TanDEM-X ein ganzes Jahr dafür. Die Entwickler des DLR sind davon überzeugt, dass die Mission neue Maßstäbe in der Erdbeobachtung setzen wird. Sie werden dann vor allem in der Lage sein, den globalen Wandel mit einer neuen Qualität zu beobachten. Dies wiederum ermöglicht wichtige Handlungsempfehlungen. Mit der neuen Technologie könnten die dreidimensionalen Strukturen von Vegetations- und Eisgebieten erfasst sowie Deformationen großflächig mit Millimetergenauigkeit vermessen werden.

Bild oben: Nur für eine kurze Zeit gibt es in Kanadas Wintern die sogenannten „Ice Highways“ – hier der Weg von Inuvik nach Tuktoyaktuk über den Mackenzie River – ©Ronne Heming-NWT Tourism

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QUALITÄTSSICHERUNG FÜR DAS TANKEN VON WASSERSTOFF

Der Energieträger Wasserstoff gilt in Verbindung mit einer Brennstoffzelle als besonders saubere Alternative in der Mobilität der Zukunft. Doch schon kleinste Verunreinigungen des geruchs- und farblosen Gases können dem Fahrspaß ein jähes Ende bereiten. „Es kann zu einer Vergiftung der Brennstoffzelle kommen“, erklärt Sensor-Experte Andreas Schütze von der Universität des Saarlandes.

Dementsprechend gilt bei Brennstoffzellen wie bei anderen Treibstoffen auch: Stimmen Qualität und Reinheit nicht, wirkt sich das auf das Auto aus. So können Schwefelkomponenten, Ammoniak oder Kohlenwasserstoffe schon während der Produktion, auf dem Weg zur Tankstelle wie auch beim Pressen in die Tanks in den Wasserstoff gelangen. Bereits bei kleinen Verunreinigungen können die Zellmembranen Schaden nehmen. Als Folge produziert die Brennstoffzelle weniger Strom, bringt weniger Leistung und weniger Kilometer auf die Straße. Kommt es hart auf hart, bleibt das Auto sogar mit dauerhaftem Schaden stehen.

ENTWICKLUNG VON INFRAROT-MESSZELLE

Grund genug also für die Wissenschaftler der Universität des Saarlandes sowie dem Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und dem Unternehmen Hydac Electronic eine Infrarot-Messzelle zu entwickeln, die die Qualität und Reinheit des Wasserstoffs direkt beim Tanken überprüft. Denn nur so ist garantiert, dass die Brennstoffzelle guten Treibstoff erhält, so dass dieser dem per Wasserstoff betriebenen Auto eine lange Lebensdauer ermöglicht.

Dazu Schütze: „Die Herausforderungen hierbei liegen zum einen in der erforderlichen Genauigkeit und zum anderen in den Bedingungen, unter denen das Messsystem messen soll. Geballte 700 bis 900 bar Druck lassen die Tanknadel nach weniger als drei Minuten am Anschlag stehen.“

Das von den Forschenden entwickelte Verfahren soll deshalb auch unter diesen extremen Bedingungen verlässlich und exakt arbeiten. Den hohen Druck nutzen sie sogar dazu, um die Empfindlichkeit ihres Systems weiter zu steigern. Für Öl und Flüssigkeiten haben Andreas Schütze und sein Team solche Messzellen bereits zur Marktreife gebracht. Hier aber betreten die Wissenschaftler Neuland. „Bislang gibt es keine Erfahrungen mit Messungen bei derart hohem Druck. Normalerweise erfolgen solche Messungen bei einem Druck von allenfalls 40 oder 50 bar“, so Andreas Schütze. Die Messzelle für das Gas wird direkt in der Tankleitung untergebracht: Der Wasserstoff strömt dabei durch ein Röhrchen. „Hier durchleuchten wir das Gas mit einer Infrarot-Quelle und fangen die Strahlen auf der gegenüberliegenden Seite auf. Wenn sich das Gas chemisch verändert, ändert sich auch das empfangene Lichtspektrum. Hieraus können wir Rückschlüsse auf Beimengungen und Verunreinigungen ziehen“, erklärt Schütze.

ERSTER TEST IM HERBST

Universität des Saarlandes
Ingenieur Marco Schott zeigt den Hochdruck-Prüfstand, der auf der Hannover Messe zu sehen sein wird ©Oliver Dietze

Derzeit führen die Wissenschaftler Experimente durch und ordnen die Messwerte den verschiedenen Verunreinigungen zu. Dabei ergründen sie, welche Wellenlängen des Infrarot-Lichts sich am besten eignen. Zudem kalibrieren sie ihr System. Dies alles sind Vorarbeiten für das Sensorsystem, das diesen Herbst erstmals in der Test-Zapfsäule am ISE in Betrieb gehen soll. „Wir erforschen, ob und wie die Messwerte des Infrarot-Spektrums sich abhängig vom Druck verändern. Das System muss sehr unterschiedliche Verunreinigungen sicher erkennen, die zudem deutlich geringer sind als etwa bei Öl“, erläutert Ingenieur Marco Schott, der als Doktorand an der Wasserstoff-Messzelle arbeitet. Zu sehen ist der Hochdruck-Prüfstand vom 1. bis 5. April auf der Hannover Messe am saarländischen Forschungsstand B46 in Halle 2. Bis das neue Sensor-System auf den Markt kommt, wird Wasserstoff übrigens noch aufwändig und punktuell durch Stichproben und Analysen in Laboren untersucht.

Bild oben: An den Wasserstoff-Tankstellen des Fraunhofer ISE soll der Infrarot-Sensor zur Qualitätskontrolle des Gases getestet werden ©Fraunhofer ISE

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KI UNTER DER LUPE: KLUGER HANS ODER KLEVERE ENTSCHEIDUNG?

Forschende der Technischen Universität Berlin (TU Berlin), des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts (HHI) und der Singapore University of Technology and Design untersuchten kürzlich, wie verschiedene KI-Systeme zu ihren Ergebnissen kommen. Denn bislang war es der Wissenschaft meist verborgen, ob es sich wirklich um eine intelligente Lösung oder nur um einen statistisch erfolgreichen Weg handelte. Unter dem Aspekt, dass KI nicht nur als digitaler Sprachassistent oder Übersetzer genutzt wird, sondern sie auch im Bereich der medizinischen Diagnostik sowie des autonomen Fahrens eingesetzt wird, ist ein Blick auf die Funktionsweise der Lernalgorithmen ein relevanter Faktor.

EXPLAINABLE AI

Für ihre Arbeit entwickelten die Forscher ein Verfahren, anhand dessen sie KI Systeme analysieren und quantifizieren können. „Diese sogenannte ‚explainable AI‘ [erklärbare Künstliche Intelligenz] ist einer der wichtigsten Schritte für die praktische Anwendung und Verbreitung von KI“, so Dr. Klaus-Robert Müller, Professor für Maschinelles Lernen an der TU Berlin: „Insbesondere in der medizinischen Diagnostik oder in sicherheitskritischen Systemen dürfen wir keine KI-Algorithmen mit unsicheren Problemlösungsstrategien oder sonstige KI-Schummel-Kandidaten einführen.“

Wichtigste Voraussetzung für diese spezielle, automatisierte Technologie ist eine von der TU Berlin und dem HHI entwickelte Technik namens „Layer-wise Relevance Propagation“ (LRP). Diese macht sichtbar, aufgrund welcher Kriterien KI-Systeme Entscheidungen treffen.

Als Weiterentwicklung der LRP-Technologie gilt die „Spectral Relevance Analysis“ (SpRAy). Erst mit ihr wird das breite Spektrum der erlernten Entscheidungsverhalten identifiziert und quantifiziert. Ob naive Problemlösung, Schummel-Strategie oder hochelaborierte, intelligente und strategische Entscheidung – die Wissenschaftler stellten verschiedene KI-Algorithmen auf die Probe. So konnten auch bei sehr großen Datensätzen unerwünschte Lösungen ausgemacht werden.

Dazu Dr. Wojciech Samek, Gruppenleiter am Fraunhofer HHI: „Wir waren sehr erstaunt über die große Bandbreite der gelernten Problemlösungsstrategien. Selbst moderne KI-Systeme haben nicht immer einen aus menschlicher Perspektive sinnvollen Lösungsweg gefunden, sondern nutzten bisweilen sogenannte ‚Clever-Hans-Strategien‘.“

Der Kluge Hans (Clever Hans) war ein Pferd des Schulmeisters und Mathematiklehrer Wilhelm von Osten, das angeblich rechnen und zählen konnte. In den Jahren um 1900 galt Hans als wissenschaftliche Sensation. Denn in 90 Prozent der Fälle beantwortete der feinfühlige Orlow-Traber durch das Klopfen mit einem Huf oder durch Nicken beziehungsweise Schütteln des Kopfes zum Beispiel arithmetische Aufgaben richtig. Später stellte sich heraus, dass Hans zwar nicht rechnen konnte, aber er seine richtige Antwort aus der Körperreaktion des Fragestellers ableitete.

Diese Heatmap zeigt: Der Algorithmus trifft die Entscheidung Zug oder nicht Zug anhand der Schienen-Bildpunkte und nicht anhand derer, die den Zug ausmachen.
©Nature Communications/CC BY

Lösungsstrategien, die denen des kleveren Hans entsprechen, konnten die Forscher um Klaus-Robert Müller und Wojciech Samek auch bei KI-Systemen finden. So verfolgte zum Beispiel eines, das sogar vor einigen Jahren mehrere internationale Wettbewerbe zur Klassifikation von Bildern gewonnen hatte, eine aus menschlicher Sicht naive Lösungsstrategie: Es klassifizierte Bilder vorwiegend anhand des Kontextes. Dabei wurden zum Beispiel Bilder der Kategorie „Schiff“ zugeordnet, wenn viel Wasser im Bild zu sehen war. Andere Bilder wurden als „Zug“ klassifiziert, wenn Schienen vorhanden waren. Wieder andere Bilder wurden anhand des Copyright-Schriftzuges der richtigen Kategorie zugeordnet. Die eigentliche Aufgabe, nämlich Schiffe oder Züge zu erkennen, hat dieses KI-System nicht gelöst. Doch immerhin: die Mehrzahl der Bilder konnte es im Endeffekt korrekt klassifizieren.

Auch die sogenannten „tiefen neuronalen Netzwerke“ nutzen diese Art der fehlerhaften Lösungsstrategie. Denn sie stützen ihre Klassifikations-Entscheidung zum Teil auf Artefakte, die während der Präparation von Bildern entstanden, aber mit dem eigentlichen Bildinhalt gar nichts zu tun haben.

NAIVE KI FÜR DIE PRAXIS UNBRAUCHBAR

„Solche KI-Systeme sind für den praktischen Einsatz völlig unbrauchbar. Ihr Einsatz in der medizinischen Diagnostik oder in sicherheitskritischen Bereichen birgt sogar enorme Gefahren“, warnt Klaus-Robert Müller: „Es ist durchaus denkbar, dass ungefähr die Hälfte der aktuell eingesetzten KI-Systeme implizit oder explizit solche ‚Clever Hans‘-Strategien nutzen. Es ist Zeit, das systematisch zu überprüfen, damit sichere KI-Systeme entwickelt werden können.“

Mit der neuen Technik konnten aber auch KI-Algorithmen identifiziert werden, die unerwartet „intelligente“ Strategien anwandten. Dazu gehören Systeme, die zum Beispiel in der Lage sind, die Atari-Spiele „Breakout“ – hier wird mit einem virtuellen Schläger der Ball so gelenkt, dass er die am oberen Bildschirmrand erscheinenden Bauklötze wegschießt –, und „Pinball“ (virtuelles Flipperspiel) zu spielen.

„Hier haben die KI-Systeme ganz klar das Konzept des Spiels ‚verstanden‘ und einen intelligenten Weg gefunden, zielgerichtet und risikoarm sehr viele Punkte zu sammeln. Dabei schlägt das System bisweilen Wege ein, die ein echter Spieler nicht nutzen würde“, so Wojciech Samek.

Die automatisierte Technik steht als Open Source allen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zur Verfügung. „Wir sehen unsere Arbeit als einen wichtigen ersten Schritt, KI-Systeme in Zukunft robuster, erklärbar und sicher zu machen. Denn das ist die wesentliche Voraussetzung für den Einsatz von KI überhaupt“, so Klaus-Robert Müller.

Bild oben: Die Heatmap zeigt: Allein aufgrund der vorhandenen Wasser-Bildpunkte – also anhand des Kontextes -, vermutet der Algorithmus, dass das Gebilde ein Schiff ist – er nutzt nicht die Bildpunkte, die das Schiff ausmachen. ©Nature Communications/CC BY

Dieser Artikel erschien am 11. März in der Innovation Origins.

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EXPEDITION ZUM LARSEN-C-SCHELFEIS ABGEBROCHEN

Nun ist es beschlossene Sache: Das Larsen-C-Schelfeis bewahrt vorerst sein Geheimnis. Die aktuelle Meeressituation verhindert derzeit ein Weiterkommen des AWI-Forschungseisbrechers Polarstern. Denn das dichte Meereis hat sich mittlerweile zu einem bis zu zehn Meter dicken Presseisrücken übereinandergeschoben. Dazu Polarstern-Kapitän Thomas Wunderlich: „Wir haben sieben Tage versucht, uns einen Weg durch das Eis zu brechen, mussten aber einsehen, dass die Eisbedingungen keine andere Entscheidung zuließen, als weiter im Norden bessere Meereis- und Arbeitsbedingungen zu suchen.“

Zwar hatte die Meereisausdehung in der Antarktis Ende Dezember mit 4,94 Millionen Quadratkilometern den für diesen Monat niedrigsten Wert seit Beginn der kontinuierlichen Satellitenmessungen inne. Doch konnte die Expedition tief im Süden des westlichen Weddell-Meeres nicht davon profitieren.

Das Forschungsteam war am 9. Februar zum Abbruchgebiet des Eisberges A68 aufgebrochen, um hier das bisher unter dem Schelfeis verborgene Meeresökosystem erkunden.

ALTERNATIV WIRD IM NORDWESTLICHEN WEDDELL-MEER GEFORSCHT

Nun steuert das Schiff neue Untersuchungsgebiete weiter nördlich an. „Die vorab definierten alternativen Arbeitsregionen Larsen A- und Larsen-B-Schelfeisgebiet kamen nicht in Frage, denn dort hätten wir genauso in der Mausefalle gesteckt wie im eigentlichen Zielgebiet Larsen-C“, so Dr. Boris Dorschel vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Dorschel leitet die Expedition. Nach ausführlichen Gesprächen mit allen Forschungsteams an Bord legten die Wissenschaftler fest, ihre Arbeiten auf eine Region im nordwestlichen Weddell-Meer zu konzentrieren. Entlang eines Transekts, also einer ganzen Reihe von Beprobungsstationen, wollen die Forscher nun untersuchen, wie sich unterschiedliche Umweltbedingungen auf die Ökosysteme am Meeresboden und in der Wassersäule auswirken. So nehmen sie beispielsweise die Meereisbedeckung und die biologische Produktivität in den oberen Wasserschichten unter die Lupe. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sollen unter anderem dazu beitragen, die Reaktionen des antarktischen Ökosystems auf den Klimawandel besser zu verstehen. „Mittlerweile konnten wir etliche Probennahmegeräte in der Wassersäule und am Meeresboden einsetzen, so dass die Labore voller Wissenschaftler sind, die eifrig die Mikroalgen sowie die am Boden und in der Wassersäule lebenden Tiere untersuchen“, freut sich Expeditonsleiter Dorschel.

Zudem wird das Expeditionsteam versuchen, entstehende Kanäle im Meereis zu nutzen, um im Weddell-Meer weiter nach Osten vorzustoßen. Denn jenseits des Kontinentalschelfs fällt der Meeresboden rasch von etwa 400 Meter auf rund 3000 Meter ab. „Wenn sich ein Fenster ergibt, wollen wir Gebiete ansteuern, da dort der Meeresboden wie in vielen anderen Bereichen des Südozeans noch weitgehend unkartiert ist“, erläutert Dorschel. Neben diesen bathymetrischen Arbeiten, also der Erstellung des Tiefenprofils, sind die Ozeanographen auch daran interessiert, hier Wassermassen und Strömungsverhältnisse zu untersuchen. Denn die in diesem Meeresbereich stattfindenden Umwälzprozesse treiben die globalen Ozeanströmungen an. So werden ‒ auch wenn das Larsen-C-Schelfeisgebiet außer Reichweite bleibt ‒, durch die Expedition PS118 viele spannende Forschungsfragen beantwortet.

Foto oben: Luftaufnahme: Das Expeditionsschiff Polarstern bei einer Fahrt durch antarktisches Meereis, Weddell-Meer ©Mario Hoppmann

Dieser Artikel erschien am 8. März in der Innovation Origins

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NIEDERLANDE UND DEUTSCHLAND: WISSENSCHAFTSKOOPERATION ZU KÜSTEN-, MEERES- UND POLARFORSCHUNG UNTERZEICHNET

Im Rahmen eines Besuchs des niederländischen Königspaares mit seiner Majestät König Willem-Alexander und ihrer Majestät Königin Máxima unterzeichneten niederländische und deutsche Wissenschaftler eine Erklärung zur Wissenschaftskooperation im Bereich der Küsten-, Meeres- und Polarforschung. Fokus liegt dabei auf den Themen Klimawandel, Artenvielfalt und Naturschutz. Zuvor hatten niederländische und deutsche Wissenschaftler in einem Symposium diese Themen ausgiebig diskutiert. Dazu Antje Boetius, Direktorin des AWI: „Als Küstenanrainer und international wichtige Akteure in der Meeresforschung stehen beide Länder vor großen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt – für die Wissenschaft wie für die Gesellschaft insgesamt.“ Boetius ergänzt: „So beschäftigen uns der Meeresspiegelanstieg und die Erwärmung und Versauerung der Ozeane sowie die Auswirkungen des Wandels auf das Leben im Meer. Gemeinsam sind wir besonders stark im Verständnis der Rolle des Ozeans und der Polarregionen für die Erde und den Menschen.“

SYMPOSIUM ZU UMWELT- UND KLIMATHEMEN

An dem Symposium des Alfred Wegener Instituts nahmen insgesamt über 50 Forschende von der Royal Netherlands Organisation for Scientific Research (NWO), der Universität Utrecht, dem Institute for Sea Research (NIOZ), dem MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen und dem Alfred-Wegener-Institut teil. Während der Veranstaltung diskutierten die Wissenschaftler Themenfelder wie „Wandel in Arktis und Antarktis“, „unsere Küsten“ sowie „der globale Kohlenstoffkreislauf und das Klima“.

AWI-Biogeologe und Organisator des Symposiums Jelle Bijma freut sich über das gelungene deutsch-niederländische Zusammentreffen: „Im Symposium hatten wir die Chance, ‚out-of-the-box‘ zu denken. So trugen wir beispielsweise zusammen, welche Veränderungen wir zukünftig im System Erde erwarten. Dazu gehören Themen wie: Was bedeutet es für die Meeresökosysteme, wie schnell ändert sich der Meeresspiegel und welche Teile des Klimasystems gehen unwiderruflich verloren, wenn die globale Erwärmung ungebremst voranschreitet, sodass wir bis Ende des Jahrhunderts einen Temperaturanstieg von 4-6°C haben?“

Zudem diskutierten die Wissenschaftler die Frage, welche Funktionen im Vergleich dazu erhalten werden könnten, wenn das 2°C-Ziel eingehalten wird oder wir es sogar schaffen, den Anstieg auf 1,5 °C zu begrenzen. Auch wurden die Bekämpfung von Mikroplastik in unserer Umwelt und das Überfischen der Meere sowie die wissenschaftlichen Möglichkeiten, die ein besserer Zugang zur Nordpolregion eröffnen kann, besprochen. Nicht zuletzt betrachteten die Wissenschaftler auch eventuelle politische Auswirkungen, die sich aufgrund von Klima- und Umweltveränderungen ergeben könnten.

JÄHRLICHER BESUCH DES KÖNIGSPAARES

Das niederländische Königspaar besucht übrigens jedes Jahr ein oder zwei deutsche Bundesländer. Dabei gilt das besondere Augenmerk den Wirtschaftsbeziehungen. Der Besuch in Bremen soll dazu beitragen, die Möglichkeiten für wirtschaftliche Kooperation, auch im internationalen Rahmen, zu erweitern. Die Themenfelder Raumfahrt, Windenergie sowie Polar- und Meeresforschung bieten dafür gute Anknüpfungspunkte.

Der ehemalige deutsche ESA Astronaut Thomas Reiter berichtet dem Königspaar von der Arbeit in der Raumstation ISS ©Airbus

Neben der Wissenschaftskooperation stand auch der Besuch des Airbus Defence & Space Bremen auf dem royalen Programm. Themen waren hier die Bedeutung der Raumfahrttechnologie für die Wissensökonomien beider Länder. So ging es beispielsweise um die gemeinsame Nutzung von Satellitendaten, die bei der Suche nach Lösungen für grenzüberschreitende gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel und Luftqualität helfen können. Auch besuchte das Königspaar das europäische Modul der Raumstation ISS. Hier berichtete der ehemalige deutsche Astronaut Thomas Reiter von der Arbeit in der Raumstation.

Majestät König Willem-Alexander und Ihre Majestät Königin Máxima zu Besuch im IWES; von links nach rechts: Institutsleiter Prof. Andreas Reuter, Bremerhavens Stadtverordnetenvorsteherin Brigitte Lückert, OB Melf Grantz, das niederländische Königspaar, Bremens Bürgermeister Carsten Sieling mit seiner Gattin Alexia Sieling ©Martina Buchholz

Deutsche und niederländische Unternehmen gelten übrigens als Vorreiter bei der Entwicklung von kosteneffizienten Off-Shore-Windenergiesystemen für die europäische Energiewende. Grund genug für das Königspaar, das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) in Bremerhaven zu besuchen. Denn das IWES verfügt über eine der größten Testanlagen für Rotorblätter weltweit. Zudem fand hier der deutsch-niederländische Kongress „Market Place: Offshore Wind in the Netherlands and Germany“ statt. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem niederländischen Wind-Network NNOW und dem deutschen Branchennetzwerk WAB e.V. unterzeichnet.

Bild oben: Unterzeichnung der Wissenschaftskooperation im Beisein von König Willem-Alexander und Königin Máxima der Niederlande, Karsten Sieling und Alexia Sieling (stehend); Zeichnende: Niek Lopes-Cardozo (Royal Netherlands Organisation for Scientific Research – NWO), Henk Brinkhuis (Institute for Sea Research – NIOZ), Anton Pijpers (Universität Utrecht), Michael Schulz (MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen) und Antje Boetius (AWI) ©Esther Horvath

Dieser Artikel erschien am 7. März in der Innovation Origins.

EVOLUTIONSBIOLOGIE UNTER NEUER PERSPEKTIVE

Anhand von farbenfrohen Hamletbarschen erforschten Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und des Smithsonian Tropical Research Institute in Panamaeine der grundlegenden Fragen der Evolutionsbiologie: „Wie können neue Arten im Meer entstehen?“ Dies ist besonders unter dem Aspekt interessant, dass die karibischen Riffbarsche eigentlich nahe beieinander leben und sich auch weiterhin miteinander fortpflanzen können.

Die Forschenden entdeckten bei ihren Untersuchungen, wie die natürliche Selektion auf die Weiterentwicklung von Genen im Bereich der visuellen Wahrnehmung und damit einhergehend der Ausprägung von Farbmustern wirkt. So ist es zumindest bei den Hamlets der Fall, dass die blaue Fischart meistens blaue Partner bevorzugt, während die rote Art eher auf rote Partner anspricht. Das heißt, die einzigartige Farbgebung bedingt auch die Vorliebe für die Ausprägung dieser Farbeigenschaft bei der Partnerwahl.

Dies ist einer der Gründe, warum die Forschung lange vermutete, dass sich neue Arten nur in absoluter Isolation und ohne Kreuzung entwickeln können. Sofern sich in diesem Falle beide Arten untereinander vermischten, ging man davon aus, dass hier die codierten Merkmale zwischen Farb- und Paarungsvorlieben, die sogenannte Kopplung, durch die sexuelle Rekombination – die Neuanordnung von genetischem Material in den Zellen –, zerstört wird. In Folge dessen hätten rote Individuen eine Präferenz für blaue Partner und umgekehrt.

VERWANDTE ARTEN MIT DEUTLICHEN CHARAKTERISTIKA

Ein gestreifter Hamletbarsch (Hypoplectrus puella) vor der Küste Panamas ©Kosmas Hench/GEOMAR

Doch stellten die Wissenschaftler um Oscar Puebla, Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen am Smithsonian Tropical Research Institute (STRI), fest, dass bei der natürlichen Selektion miteinander verwandter Arten codierte Merkmale für Farbmuster und Paarungspräferenzen eben nicht neu kombiniert werden.

Für ihre Untersuchungen hatten die Wissenschaftler einige Hürden zu meistern: „Die erste Herausforderung unserer Studie bestand darin, eine Tiergruppe zu finden, in der sich erst vor kurzer Zeit neue Arten entwickelt haben, die aber deutliche Charakteristika aufweisen“, so Puebla. Genau so eine Gruppe bilden die Hamletbarsche. Mehrere eng verwandte Arten von ihnen leben an den Riffen der gesamten Karibik. Die einzelnen Arten sind genetisch sehr ähnlich. Ihr Hauptunterschied ist das jeweilige Farbmuster, während die Präferenz für verschiedene Farbmuster bei der Paarung die Arten getrennt hält.

IDENTIFIZIERUNG DER GENE

Für die Forschenden galt es zudem, die Gene zu identifizieren, die den Unterschied zwischen den Arten und den Paarungspräferenzen ausmachen. Hierfür sequenzierten die Wissenschaftler zunächst das gesamte Genom von 110 Riffbarschen aus Panama, Belize und Honduras. Im Anschluss untersuchten sie bei den Fischen, worin sich das Genom unterscheidet. Denn alle drei untersuchten Arten leben zusammen in denselben Riffen.

„Dieser umfassende Datensatz ermöglichte es uns, vier eng begrenzte Regionen des Genoms zu identifizieren, die bei allen Arten deutliche Unterschiede aufzeigten, während der Rest des Genoms bei allen Arten kaum Differenzierung zeigte“, erklärt Kosmas Hench, Doktorand am GEOMAR und Erstautor der Studie. Denn genau diese vier Regionen beinhalten die Gene, die die visuelle Wahrnehmung sowie die Farbmuster der Fische beeinflussen.

Obwohl sich die Arten untereinander paaren, zeigen die Daten, dass die Konstellationen der Seh- und Farbmustergene sich nicht verändern. Die entsprechenden Gene sind also gekoppelt (haben codierte Merkmale) und sind so vor sexueller Rekombination (Neuordnung von genetischem Material) geschützt. Das Besondere an dem Ergebnis ist zudem, dass sich die Gene im Fall der Hamletbarsche auf drei verschiedenen Chromosomen befinden. Bisher kannte man solche Gen-Koppelungen nur, wenn die Gen-Sätze auf einem Chromosom sehr nahe beieinander lagen. So konnte das Team zeigen, wie die natürliche Selektion zur Entstehung neuer Formen in einer sehr frühen Phase der Artenbildung beitragen kann.

WEITERE FORSCHUNGEN

Die Wissenschaftler vermuten, dass ihre Ergebnisse auch noch auf andere Arten übertragbar sind. Doch dafür bedarf es zusätzlicher Untersuchungen, weshalb als nächster Schritt weitere der bisher 19 beschriebenen Hamlet-Arten erforscht werden sollen. Damit wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob sich das gefundene Muster allgemein durch die Familie der Hamletbarsche zieht, oder ob es einen Spezialfall der drei untersuchten Arten darstellt.

Grundsätzlich ist übrigens denkbar, dass die natürliche Selektion auch bei anderen Faktoren, die der Partnerwahl dienen, funktioniert. So ist es möglich, dass hier eventuell auch Geruch, Größe oder das Verhalten wirken. Die Studie erschien Anfang März in der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution.

Bild oben: Professor Oscar Puebla bei Feldarbeiten im Lebensraum der Hamletbarsche vor Puerto Rico ©Kosmas Hench/GEOMAR

Dieser Artikel erschien am 5. März in der Innovation Origins.