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MEEREISSCHMELZE SCHWÄCHT TRANSPOLARDRIFT MIT FOLGEN FÜR ÖKOLOGISCHE PROZESSE IN DER ARKTIS

Wir alle wissen mittlerweile: Das Eis der Arktis schmilzt. Doch welche verheerenden Auswirkungen dies hat, wird erst jetzt durch verschiedene Forschungen so langsam klar. Eine aktuelle Studie des Alfred-Wegener-Instituts, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) bringt nun neue, erschreckende Erkenntnisse ans Licht: Die Transpolardrift wird mit gravierenden Folgen für ökologische Prozesse geschwächt. Denn heutzutage erreichen nur noch 20 Prozent des Meereises ‒ es entsteht in den flachen, russischen Randmeeren des Arktischen Ozeans ‒, tatsächlich die zentrale Arktis. 80 Prozent schmelzen schon vorher. Somit geht dem Nordpolarmeer ein wichtiges Transportmittel für Nährstoffe, Algen und Sedimente verloren, berichten die Wissenschaftler.

Zwei Hauptströmungen bewegen das Packeis in der Arktis weiter: der Beaufortwirbel, eine Zirkulation im Uhrzeigersinn, und die Transpolardrift, welches Meereis weiter von den flachen sibirischen Schelfen Richtung Framstrasse trägt. (Grafik: R. Botev, modifiziert durch T. Krumpen)

EIS SCHMILZT SCHON IN DER KINDERSTUBE

Die Barentssee, der Karasee, der Laptewsee und der Ostsibirischen See gelten als Kinderstube des Meereises. Hier wird es im Winter nämlich am laufenden Band produziert. Verantwortlich dafür sind extrem niedrige Lufttemperaturen von bis zu minus 40 Grad Celsius. Hinzu kommt ein starker, ablandiger Wind. Letzterer schiebt das im Flachwasserbereich gebildete junge Eis auf das Meer hinaus. Im Verlauf des Winters wird das junge Meereis dann von der Transpolardrift erfasst. Diese ist eine der zwei Hauptströmungen des Arktischen Ozeans. Sie transportiert die Eisschollen innerhalb von zwei bis drei Jahren aus dem sibirischen Teil des Nordpolarmeeres quer durch die zentrale Arktis bis in die Framstraße. Erst hier fängt das Meereis schließlich an zu schmelzen. Vor zwei Jahrzehnten noch trat rund die Hälfte des Eises die transarktische Reise aus den russischen Schelfmeeren an. Mittlerweile aber sind es nur noch 20 Prozent. Die restlichen 80 Prozent des jungen Eises schmelzen schon bevor es älter als ein Jahr ist und die zentrale Arktis erreichen konnte.

EISFREIER SOMMER IN DER ARKTIS

Zu diesem besorgniserregenden Ergebnis kommen die Wissenschaftler des AWI, nachdem sie die Wanderung des Meereises mit Hilfe von Satellitendaten für den Zeitraum von 1998 bis 2017 verfolgten und analysierten. „Unsere Studie zeigt extreme Veränderungen in der Arktis: Das Meereis in der Karasee, der Laptewsee und der Ostsibirischen See schmilzt mittlerweile so schnell und flächendeckend, dass der Eisnachschub für die Transpolardrift nachhaltig abnimmt. Jenes Eis, welches heutzutage die Framstraße erreicht, wird zum größten Teil nicht mehr in den Randmeeren gebildet, sondern stammt aus der zentralen Arktis…“

Wir werden derzeit Zeuge, wie ein wichtiger Transportstrom abreißt und die Welt einem meereisfreien Sommer in der Arktis einen großen Schritt näherkommt“

…, beschreibt Erstautor Dr. Thomas Krumpen, Meereisphysiker am Alfred-Wegener-Institut die Situation.

Bestätigt wird dieser Trend durch die Ergebnisse von Meereisdicken-Messungen in der Framstraße. Diese werden von AWI-Meereisphysikern regelmäßig durchgeführt. „Eis, das heutzutage die Arktis durch die Framstraße verlässt, ist rund 30 Prozent dünner als noch vor 15 Jahren. Gründe dafür sind zum einen die steigenden Wintertemperaturen in der Arktis sowie eine deutlich früher einsetzende Schmelzsaison. Zum anderen wurde dieses Eis eben nicht mehr in den Schelfmeeren gebildet, sondern viel weiter nördlich. Es hatte demzufolge deutlich weniger Zeit, durch die Arktis zu treiben und zu mächtigerem Packeis heranzuwachsen“, erklärt Krumpen.

KÜSTENFERNE EISSCHOLLEN MIT WENIGER PARTIKELN

Jene Eisschollen, welche die Transpolardrift heute noch bis in die Framstraße trägt, werden größtenteils auf hoher See, also in küstenfernen Regionen des Arktischen Ozeans gebildet. Im Gegensatz zum Eis aus den Schelfmeeren enthalten sie daher deutlich weniger Partikel wie zum Beispiel Algen, Schweb- und Nährstoffe. Denn Wellen, Wind und Gezeiten wirbeln in flachen Küstenzonen deutlich mehr Partikel vom Meeresboden auf als auf hoher See. Außerdem tragen Flüsse wie die Lena und der Jenissei viele Schwebstoffe und Mineralien ‒ die dann beim Gefrieren des Wassers im Eis eingeschlossen werden ‒, in den Küstenbereich ein.

Eiskerne, anhand derer sich die Menge an eingeschlossenem Material bestimmen lässt, zeigen die Folgen des sich ändernden Eis- und Stofftransports für das Ökosystem Arktis ©Alfred-Wegener-Institut / Mario Hoppmann

Transportierte das Meereis aus den Schelfmeeren diese mineralische Fracht früher bis in die Framstraße, so entlassen die schmelzenden Schollen diese heute vorab, und zwar schon auf ihrem Weg in die zentrale Arktis. In der Framstraße dagegen kommt weniger ‒ und auch anders zusammengesetztes ‒, Material an. Diese Erkenntnis resultiert unter anderem aus Sinkstoffanalysen, die AWI-Biologen seit etwa zwei Jahrzehnten in der Framstraße durchführen.

Anstelle sibirischer Mineralien landen mittlerweile mehr Überreste abgestorbener Algen und Kleinstlebewesen in unseren Sedimentfallen“

…, so Co-Autorin Eva-Maria Nöthig.

Langfristig sei zu erwarten, dass die Veränderung des Partikeltransportes durch das Meereis die biogeochemischen Kreisläufe und ökologischen Prozesse im zentralen Arktischen Ozean nachhaltig verändern werde.

WEITERE FORSCHUNGEN BEI MOSAIC-EXPEDITION

Die Entwicklung des Meereises und die ökologischen Prozesse im Arktischen Ozean sind Forschungsfragen, die neben weiteren Themen ab September auf der MOSAiC-Expedition untersucht werden sollen. Hierfür wird dann der deutsche Eisbrecher Polarstern in die Arktis aufbrechen. Ein Jahr lang planen die Wissenschaftler mit dem Forschungsschiff fest eingefroren im arktischen Eis durch das Nordpolarmeer zu driften. Insgesamt 600 Menschen aus 17 Ländern nehmen an der Expedition teil. Versorgt werden sie von weiteren Eisbrechern und Flugzeugen. Zudem wird ein Vielfaches an Wissenschaftlern mit den Daten arbeiten, um die Klima- und Ökosystemforschung auf ein neues Niveau zu heben. Geleitet wird diese übrigens größte Arktis-Forschungsexpedition aller Zeiten vom Alfred-Wegener-Institut.

DROPSTONE-IMITAT 18 JAHRE IN DER ARKTISCHEN TIEFE – KAUM BESIEDLUNG

Sie sind ein faszinierender Anblick: Unterwasseraufnahmen, in denen Haarsterne und Seelilien Ihre Tentakel rhythmisch mit der Bewegung des Wassers hin- und herwiegen. Aus der arktischen Tiefe stammen solche Bilder und Filme von ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen, die am fast unerreichbaren Meeresgrund unterwegs sind.

Die oben genannten, zu den Schwammarten gehörenden Meerestiere, sind wortwörtlich mit ihrem Lebensraum verwachsen. Sie leben auf sogenannten Dropstones. Das sind Steine oder auch ganze Felsblöcke, die an Land in einen Gletscher einfrieren und von Eisbergen ins Meer hinaus transportiert werden. Sobald das Eis schmilzt, sinken diese Steine auf den Meeresgrund. Dort bieten sie genau das harte Substrat, auf das viele der sesshaften Arten angewiesen sind. Ihre Nahrung fischen diese sich dann mit Filterapparaten oder Fangarmen aus dem Wasser.

TIEFSEEOBSERVATORIUM HAUSGARTEN

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) erforschten nun, wie lange es dauert, bis sich die ersten Siedler in der Tiefsee der Arktis niederlassen. Auch wollten sie wissen, wie sich die Lebensgemeinschaft danach weiterentwickelt. „Darüber wusste man bisher so gut wie gar nichts“, erklärt Michael Klages vom AWI. Zwar gibt es einige Studien, die solche Fragen in der Antarktis untersuchten. Doch hatten sich diese auf flache Meeresbereiche konzentriert. Hier herrschen andere Lebensbedingungen.

Aber nun gibt es neue Erkenntnisse aus dem Tiefsee-Observatorium namens Hausgarten. Es liegt in der Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland. Das AWI führt hier verschiedene ökologische Langzeituntersuchungen durch.

So stellten Michael Klages und seine Kolleginnen und Kollegen aus der Tiefseeforschungsgruppe des AWI im Juli 1999 einen schweren Metallrahmen mit sogenannten Besiedlungsplatten aus Klinkersteinen, Plexiglas und Holz auf den Meeresboden. In einer Wassertiefe von 2500 Metern sollte dieser den sesshaften Tiefseebewohnern Halt bieten. Und dann hieß es für die Forschenden abwarten, was passiert.

Zunächst statteten sie dem Dropstone-Imitat in den Jahren 2003 und 2011 per ferngesteuerter Unterwasserfahrzeuge einige Besuche ab. Ende August 2017 holten sie das Gestell schließlich wieder an die Oberfläche. Die Erstautorin der aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichung, Kirstin Meyer-Kaiser, die mittlerweile im Meeresforschungsinstitut Woods Hole Oceanographic Institution im US-Bundesstaat Massachusetts arbeitet, nahm die geborgenen Besiedlungsplatten anschließend „unter die Lupe“. Sie zählte die einzelnen Organismen, sammelte sie ab und ordnete sie taxonomisch ein, klassifizierte sie also.

Kirstin Meyer (l) und Melanie Bergmann sammeln Organismen von dem Stahlrahmen, der nach 18 Jahren am Grund der arktischen Tiefsee mit dem Forschungsschiff Polarstern wieder geborgen wurde ©Esther Horvath

BESIEDLUNG VOM EINZELLER ZUM MEHRZELLER IN ZEITLUPE

„In diesem Experiment haben wir gesehen, dass die Besiedlung solcher Habitate in der arktischen Tiefsee extrem langsam vor sich geht“, resümiert Michael Klages. Nach vier Jahren hatten sich auf den Platten nur Einzeller aus der Gruppe der Foraminiferen eingefunden. Nach zwölf Jahren war mit dem Polypen Halisiphonia arctica nur ein einziges mehrzelliges Tier dazugekommen. Und selbst nach 18 Jahren beschränkte sich die Zahl der wirbellosen Mehrzeller auf gerade einmal 13 Arten.

Aus dieser bescheidenen Ausbeute schließen die Forscher allerdings nicht, dass die natürlichen Hartsubstrate keine wichtigen Habitate wären – ganz im Gegenteil: „Ohne sie würde es etliche sesshafte Tiere in der arktischen Tiefsee gar nicht geben“, betont Michael Klages. Der in den Meeren inzwischen allgegenwärtige Zivilisationsmüll scheint dabei kein guter Ersatz zu sein. Zwar hat das AWI-Team auf den von ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen aufgenommenen Bildern durchaus schon eine Plastikflasche gesehen, auf der eine Seelilie wuchs. „So sind wir darauf gekommen, bei unserem Experiment auch Plexiglasplatten zu verwenden“, erklärt der Forscher. „Wir wollten sehen, ob diese genauso gut besiedelt werden können wie ein naturnaher Untergrund.“ Das ist offenbar nicht der Fall. Jedenfalls hatten sich nach 18 Jahren auf dem Kunststoff deutlich weniger Tiere eingefunden als auf den Klinkersteinen.

EMPFINDLICHE ÖKOSYSTEME

Auch letztere konnten allerdings bei weitem nicht mit einem benachbarten Felsenriff mithalten, wo sich immerhin 65 verschiedene Wirbellose nachweisen ließen. Möglicherweise haben also selbst fast zwei Jahrzehnte nicht genügt, um auf den Platten die theoretisch mögliche Artenvielfalt zu erreichen. Das erwähnte Riff ist dagegen deutlich älter und hatte entsprechend mehr Zeit, um eine größere Palette von Bewohnern anzulocken.

Die Ergebnisse liefern damit auch wichtige Erkenntnisse über die Empfindlichkeit von Tiefsee-Ökosystemen.

Wenn dort Störungen die sesshaften Bewohner am Meeresgrund beseitigen, dürfte es Jahrzehnte dauern, bis sich die Lebensgemeinschaft davon wieder erholt hat…“

…, warnt Michael Klages. In der Arktis können solche Störungen etwa durch Fischerei, Bohrungen nach Öl und Gas auftreten. Deutlich weitreichendere Folgen aber sind zum Beispiel in der Tiefe des Pazifiks zu erwarten, wo künftig großflächig Manganknollen abgebaut werden sollen.

Die Arbeit der Wissenschaftler wurde kürzlich in Limnology and Oceanography 2019veröffentlicht.

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Bild oben: „Dropstone“ ©ROV Kiel 6000 GEOMAR

GLETSCHERSCHMELZE IN GRÖNLAND, DER ANTARKTIS UND AM HINDUKUSCH

Gerade erst kündigte ein internationales Team an Wissenschaftlern, darunter das Deutsche Luft- und Raumfahrt Institut (DLR), eine dramatische Entwicklung am Thwaites-Gletscher in der Westantarktis an, da kommt kaum eine Woche später die nächste Veröffentlichung, diesmal vom Alfred Wegener Institut (AWI) durch Dr. Martin Rückamp und Co-Autoren: Am Petermann-Gletscher im Nordwesten Grönlands wird in nicht mehr allzu langer Zeit ein riesiger Eisberg abbrechen. Und auch vom Hindukusch gab es letzte Woche Alarm durch das Internationale Zentrum für Integrierte Gebirgsentwicklung (ICIMOD): Mindestens ein Drittel der Gletscher von Hindukusch und Himalaja werden bis zum Ende dieses Jahrhunderts verschwunden sein. Ein weiteres Forscherteam unter deutscher Leitung ist gerade auf Expedition zum 2017 abgebrochenen Eisberg A68 am Larson Schelfeis C in der östlichen Antarktis-Halbinsel unterwegs.

Während bei der Expedition das einzigartige und bisher verborgene Meeresökosystem erkundet wird, geben die aktuellen Forschungsergebnisse ziemlich zu denken. Denn oft wird der Rückgang der Gletscher als Indikator für die Klimaerwärmung gesehen. Er ist diesbezüglich in etwa vergleichbar wie Pulsschlag und Blutdruck für den Gesundheitszustandes eines Menschen.

Doch sollte man hier nicht vorschnell – ohne wissenschaftlich fundierte Untersuchung – einen direkt kausalen Zusammenhang zum Klimawandel herstellen. Deshalb fassen Rückamp und seine Co-Autoren, sie hatten beispielsweise keine Ursachenforschung in puncto Klimawandel betrieben, die Situation etwas vorsichtiger wie folgt zusammen: „Die Gletscher reagieren direkt auf Temperaturänderungen – ein Handeln, das die globale Erwärmung begrenzt, wirkt sich direkt auf Gletscher aus.“ Rückamp setzt zudem hinterher: „Ziele auf dem Papier tun das nicht.“

THWAITES-GLETSCHER LÄSST OZEANE UM 65 CM STEIGEN

DLR
TanDEMX Höhenmodell: Brüchiges Schelfeis am Thwaites Gletscher ©DLR

Bis dato machte das unaufhaltsame Abfließen des Thwaites-Gletschers in den Amundsen See rund vier Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs aus. Doch allein die verbleibenden Massen des immer schneller schmelzenden Eises könnte unsere Ozeane um 65 cm ansteigen lassen. Am Boden des Gletschers klafft ein 350 Meter großer Hohlraum. Und dieser frisst sich mit dem von unten eindringenden Meerwasser weiter in das Eis hinein. Zwar hatten die Experten schon vor Jahren den Verdacht, dass Thwaites nicht fest mit seinem Untergrund verbunden ist, doch ein solch besorgniserregendes Ergebnis hatten sie nicht erwartet. Insgesamt sind bereits 14 Milliarden Tonnen Eis ausgewaschen worden. Und das vorwiegend in den letzten drei Jahren. Dies geht aus Satellitendaten der amerikanischen, deutschen und italienischen Forschungspartner hervor.

Möglich wurden die aktuellen Forschungsergebnisse des DLR unter anderem durch die beiden deutschen Radarsatelliten TanDEM-X und TerraSAR-X. Denn diese sind in der Lage flächendeckend hochgenaue und dreidimensionale Messungen mit hoher Auflösung vorzunehmen. So konnte anhand der TanDEM-X-Höhenmodelle die Schmelzrate bestimmt werden. Auch offenbaren sie die besondere Dynamik des Gletschers: Die Hebungen und Senkungen der Eisoberfläche wurden genau vermessen und ließen damit wichtige Rückschlüsse auf die darunterliegenden Schmelzprozesse zu. Mit Aufnahmen der italienischen Cosmo-Skymed Satelliten konnte auch die Wanderung der „Aufsetzlinie“ des Gletschers – diese markiert den Übergang, an dem die Eismasse kein Festland mehr unter sich hat, also auf dem Meer schwimmt –, im Zeitverlauf genau beobachtet werden. So kamen die Wissenschaftler zu der neuen Erkenntnis, dass sich zwar die Gletscheroberfläche hebt, die Eisdicke aber insgesamt abnimmt. Die Wechselwirkungen zwischen Eismasse und eindringendem Meerwasser haben weitreichendere Folgen als bisher angenommen. Um die Auswirkungen der Gletscherschmelze auf den globalen Meeresspiegel genauer vorhersagen zu können, sind diese und weitere Erkenntnisse daher essenziell. Die Ergebnisse der von der NASA geleiteten Studie sind aktuell im „Science Advances“-Journal erschienen.

RIESIGER EISBERG ERWARTET: RISSE AM PETERMANN-GLETSCHER

AWI
Petermann-Gletscher (Grönland) nahe des Zentrums des fließenden Gletschers etwa 26 Kilometer entfernt von der Kalbungsfront ©Andreas Muenchow, University of Delaware

Auch aus dem äußersten Nordwesten Grönlands wird vermeldet: Forscher des AWI messen ein höheres Fließtempo der schwimmenden Eiszunge des Petermann-Gletschers. Diese schiebt sich derzeit über eine Strecke von etwa 70 Kilometern in den Petermann-Fjord. Zudem kündigen Risse etwa zwölf Kilometer oberhalb der bisherigen Gletscherkante – das Einzugsgebiet des Petermann-Gletschers umfasst vier Prozent des Grönländischen Eisschildes –, an, dass sich in naher Zukunft wieder ein Eisberg vom Gletscher lösen könnte. Laut AWI-Glaziologen hat sich seit einem Eisberg-Abbruch im Jahr 2012 das Fließtempo des Gletschers um durchschnittlich 10 Prozent erhöht, sodass in der Folgezeit neue Risse entstanden. Eigentlich ein durchaus natürlicher Vorgang. Modellsimulationen der Forscher zeigen jedoch auch: Sollten diese Eismassen abbrechen, wird sich der Petermann-Gletscher vermutlich weiter beschleunigen und mehr Eis ins Meer transportieren. Was wiederum entsprechende Folgen für den globalen Meeresspiegel haben wird.

Als die Wissenschaftler im Winter 2016 durch die Analyse von Satellitendaten erkannten, dass der Gletscher mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 1135 Metern pro Jahr floss, also etwa 10% schneller als im Winter 2011, erforschten sie die direkte Ursache. Sie simulierten den beobachteten Eistransport in einem Computer-Eismodell und wiesen nach, dass der Abbruch eines großen Eisberges im August 2012 die Beschleunigung des Gletschers in Gang gesetzt hatte. „Die Eismassen des Gletschers reiben auf ihrem Weg ins Meer rechts und links an Felswänden, welche den Fjord einrahmen“, so AWI-Eismodellierer und Erstautor der Studie, Martin Rückamp, „bricht nun am Ende der Gletscherzunge ein großer Eisberg ab, schrumpft die Länge der Eiszunge insgesamt und damit auch die Strecke, auf der die Eismassen die Felsen berühren. Deren Bremswirkung sinkt und der Gletscher beginnt, schneller zu fließen.“

Eine ähnliche Beschleunigung sagt das Computermodell auch für den Fall voraus, dass es zu einem erneuten Eisberg-Abbruch kommen sollte. „Wir können nicht vorhersagen, wann der Petermann-Gletscher wieder kalben wird und ob ein Abbruch tatsächlich bis zu den von uns entdeckten Rissen in der Gletscherzunge reichen wird“, so Rückamp. „Anzunehmen ist aber, dass die Gletscherzunge im Falle eines weiteren Abbruchs wieder deutlich schrumpfen und die Bremswirkung der Felsen noch weiter abnehmen wird“. Die Studie ist im „Journal of Geophysical Research: Earth Surface“ nachzulesen.

OBERFLÄCHENSCHMELZE UND WARME MEERESSTRÖMUNGEN

Der Grönländische Eisschild und die dazugehörigen Gletscher haben seit dem Jahr 2002 im Durchschnitt jährlich 286 Milliarden Tonnen Eis verloren. Diese Massenverluste sind vor allem auf die Zunahme der sommerlichen Oberflächenschmelze zurückzuführen. Das Kalben von Eisbergen hat ebenfalls zugenommen. Grönlands Gletscher verlieren heutzutage ein Viertel mehr Eis durch Eisberg-Abbrüche als im Vergleichszeitraum von 1960 bis 1990. Als mögliche Ursachen werden u.a. wärmere Meeresströmungen diskutiert, welche die schwimmenden Gletscherzungen von unten schmelzen, sowie Schmelzwasser, welches durch Spalten und Risse bis ins Gletscherbett sickert und dort wie ein Schmiermittel das Gleiten der Eisströme beschleunigt. Derzeit tragen die Eismassenverluste Grönlands jährlich etwa 0,7 Millimeter zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Dieser beträgt aktuell 3,3 Millimeter pro Jahr.

Inwieweit der beschleunigte Eistransport des Petermann-Gletschers auf verschiedene Konsequenzen der globalen Erderwärmung zurückzuführen ist, haben die Wissenschaftler bislang noch nicht tiefgreifend untersucht. „Wir wissen jetzt, dass das Fließtempo des Gletschers infolge von Eisberg-Abbrüchen steigt. Außerdem beobachten wir, dass die Häufigkeit solcher Abbrüche am Petermann-Gletscher zunimmt. Ob dafür jedoch die wärmer werdende Atmosphäre über Grönland oder aber wärmeres Meerwasser verantwortlich ist, haben wir anhand der Satellitendaten nicht untersuchen können“, so Niklas Neckel. Für die Wissenschaftler ist die Beschleunigung des Petermann-Gletschers dennoch ein Signal. Im Gegensatz zu den Gletschern im Südosten und Südwesten Grönlands haben die Gletscher im hohen Norden der Insel bislang kaum Veränderungen gezeigt. Das scheint sich nun zu ändern.

GROSSER GLETSCHERSCHWUND AM HIMALAYA UND HINDUKUSC

Als „Dritter Pol“ der Erde werden der Himalaya und die umliegenden Gebirge bezeichnet. Denn abgesehen vom Nord- und Südpol hat keine Region der Welt mehr Eis und Schnee. Von hier kamen letzte Woche ebenfalls Hiobsbotschaften: Auch wenn das ambitionierteste Ziel des Pariser Abkommens erreicht werde, werden die Gletscher dieser Region mindestens um ein Drittel schmelzen. Schafft man es nicht, rechnen die Forscher von ICIMOD mit einem Schwund von zwei Dritteln. Die Gletscher sind eine unverzichtbare Wasserquelle für rund 1,9 Milliarden Bewohner der Region – in den Bergen wie auch entlang der Flüsse. „Die globale Erderwärmung ist dabei, die eisigen, mit Gletschern bedeckten Gipfel des HKH (Hindukusch-Himalaya), die sich über acht Länder erstrecken, innerhalb von etwas weniger als einem Jahrhundert in kahle Felsen zu verwandeln“, so der leitende Herausgeber des Berichts, Philippus Wester.

Die Studie wurde nach den Maßgaben des Weltklimarats durchgeführt. Insgesamt wurde sie über fünf Jahre entwickelt und enthält Erkenntnisse von mehr als 350 Forschern, Experten aus 22 Ländern und 185 Organisationen. Mit 210 Autoren, 20 Rezensionsredakteuren und 125 externen Rezensenten bietet sie einen beispiellosen Einblick in die einzigartige Umgebung, die Menschen sowie die Tierwelt der Region rund um die bedeckten Gipfel von HKH (Hindukusch-Himlaya). Dem ICIMOD gehören die Regierungen der acht Länder aus den Gebieten der Himalaya- und Hindukusch-Gebirge an: Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, China, Indien, Myanmar, Nepal und Pakistan.

40 JAHRE WELTKLIMAKONFERENZ

Seit 40 Jahren gibt es nun schon eine weltweite Klimakonferenz: Die erste fand vom 12.-23.2.1979 in Genf statt. Zum Jubiläum gab der Jülicher Klimaforscher Prof. Andreas Wahner ein Interview. Wahner ist Leiter des Instituts für Energie- und Klimaforschung IEK-8-Troposphäre am Forschungszentrum Jülich. Sein Schlusssatz klingt ziemlich alarmierend: „Die Hoffnung auf eine Begrenzung des Temperaturzuwachses auf 1,5 bis 2 Grad zum Ende des Jahrhunderts ist immer weniger haltbar. Wir müssen uns vermutlich auf mehr einstellen, was gravierende Konsequenzen haben und uns weltweit wirtschaftlich deutlich teurer zu stehen kommen wird, als wenn wir in der Vergangenheit oder auch heute mit Entschiedenheit gehandelt hätten.“

Bild oben: Petermann-Gletscher, Grönland: Südwestlicher Rand der sogenannten Scherzone des fließenden Gletschers, etwa 10 Kilometer von der Kalbungsfront entfernt ©Andreas Muenchow, University of Delaware

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Dieser Artikel erschien am 12.2.2019 in der Innovation Origins.

ANTARKTIS: FORSCHERTEAM ERKUNDET LEBEN UNTER EISBERG A68

Am 9. Februar startet unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ein internationales Forscherteam eine Expedition zum abgelegenen Larsen-C-Schelfeis. Das Ziel: Die Forscher möchten das bisher unter dem Schelfeis verborgene Meeresökosystem erkunden. Im Juli 2017 kalbte ein riesiger Eisberg mit einer Größe von der siebenfachen Fläche Berlins vom antarktischen Larsen-Schelfeis ab. Durch den Abbruch des Eisberges namens A68 wurde eine Fläche von etwa 5.800 Quadratkilometern von der hunderte Meter dicken Schelfeisschicht befreit. Eine Welt, über die die Menschheit nichts weiß, da sie bisher unter dem dicken Eis im Verborgenen lag. Nun planen die Forscher nochmals – zwei Expeditionen mussten frühzeitig abgebrochen werden –, per Schiff von Punta Arenas (Chile) in die Region östlich der antarktischen Halbinsel zu fahren, um dort Proben vom Meeresboden zu nehmen. Insgesamt neun Wochen werden sie mit dem Eisbrecher Polarstern unterwegs sein. Per Satellitenaufnahmen soll die schwierige Navigation durch das Meereis unterstützt werden.

Forscherteam
Teilausschnitt der Abbruchkante des Larsen-B-Schelfeises an der Antarktischen Halbinsel/Polarstern-Expedition ANTXXIII/8, Weddellmeer 2006/07 ©Gauthier Chapelle

EILIGE MISSION

Die Mission eilt: Das wahrscheinlich seit mehreren tausend Jahren vom Eis bedeckte Ökosystem könnte sich mit dem jetzt einfallenden Licht rasch verändern. „Die Expedition zum Larsen-C-Schelfeis ist eine einmalige Gelegenheit für die internationale Forschungsgemeinschaft, um in dieser vom Klimawandel betroffenen Region interdisziplinäre Forschung durchzuführen“, so der wissenschaftliche Fahrtleiter der Expedition, Dr. Boris Dorschel. Da Larsen C weit im Süden liegt, ist selbst in Zeiten minimaler Meereisbedeckung in der Antarktis noch viel Eis vorhanden. Nichtdestotrotz sollte die Expedition zum jetzigen Zeitpunkt stattfinden. So können die Forscher noch Einblicke in die erst kürzlich vom Schelfeis befreite Welt erhoffen und das ein oder andere Geheimnis des Eisschelfs und des Eisbergs A68 lüften. Unter anderem sollen auch die Strukturen am Meeresboden erforscht werden. Für die Forschungszwecke sollen zudem hochauflösende Satellitendaten sowie der Bordhelikopter der Polarstern genutzt werden.

Polarstern
Das Forschungsschiff Polarstern während einer Eisstation im Weddellmeer ©Mario Hoppmann

DRAMATISCHER ÖKOLOGISCHER WANDEL

„Das Kalben von A68 ist eine einmalige Gelegenheit, Meereslebewesen zu untersuchen, die einem dramatischen ökologischen Wandel ausgesetzt sind“, so der Meeresbiologe Dr. Huw Griffiths vom British Antarctic Survey (BAS). Er leitet eines der Projekte zur Erforschung der Biologie am Meeresboden. Da das Gebiet Jahrtausende ohne Sonnenlicht war, gehen die Forscher davon aus, dass sich hier eine Artengemeinschaft entwickelt hat, die sich speziell an ein Leben mit sehr wenig verfügbarer Nahrung angepasste. Griffiths ergänzt: „Der Abbruch dieses riesigen Eisbergs wirkt so, also nehme man plötzlich die Decke von einer Höhle. Erstmals seit tausenden von Jahren können durch das einfallende Sonnenlicht an der Wasseroberfläche Mikroalgen wachsen, was das gesamte Nahrungsnetz verändert, so dass sich andere Arten ansiedeln.“

Seesterne ©Griffiths, Huw J.

Das Expeditionsteam wird Tiere, Mikroorganismen, Plankton, Meeressedimente und Wasserproben untersuchen. Dabei kommen verschiedenste Geräte zum Einsatz wie Unterwasser-Videokameras sowie ein Schlitten, der am Meeresboden kleine Tiere sammelt. Der Meeresboden wird zudem mithilfe von Sonarsystemen detailliert vermessen.

HINTERGRUND

Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 19 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft. Sie ist die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Bild oben: Das deutsche Forschungsschiff Polarstern während einer Eisstation im Weddellmeer©Mario Hoppmann

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Dieser Artikel erschien am 7.2.2019 in der Innovation Origins.