DATENBRILLE IN FEUERWEHRMASKE GIBT (ÜBER-)LEBENSWICHTIGE INFOS

Man kann ihnen nicht oft genug danken, den Feuerwehrmännern: Unter Einsatz ihres Lebens wagen sie sich zum Beispiel in verrauchte Gebäude, um Menschenleben zu retten. Nun soll ihre Orientierung vor Ort, der Selbstschutz in Bezug auf die eigene Konstitution sowie auch die Informationen durch die Einsatzleitung durch AR sicherer gemacht werden. Forschende der Fakultät für Elektrotechnik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau (WHZ) entwickelten hierfür eigens eine Feuerwehrmaske mit integrierter Datenbrille und Raumlokalisierungselektronik. Dadurch wird die Navigation in brennenden und verrauchten Räumen erheblich vereinfacht.

…Rettungskräfte können sich somit in dunklen oder verrauchten Gebäuden mit schlechter Sicht bewegen und bekommen ins Sichtfeld wichtige Informationen wie ein Gebäude- und Fluchtplan, Anweisungen vom Truppführer oder eigene Vitalwerte angezeigt“, erklärt WHZ-Professor Dr. Rigo Herold die neue Entwicklung.

Für die Navigation werden in der Feuerwehr-Schutzkleidung drei leichtgewichtige Ultrabreitband (UWB)-Funkknoten integriert. So können mittels einer neuartigen Kombination aus Ankunftswinkel- und Distanzbestimmung drei notwendige, individuelle Signale analysiert werden. Hieraus ist wiederum eine relative Position berechenbar. Gleichzeitig steht durch die geplante ad-hoc Lokalisierung auch die relative Position der Rettungskräfte untereinander zur Verfügung. Dies bringt nicht nur in der Ausbildung, sondern vor allem auch im realen Einsatzszenario einen erheblichen Vorteil.

ROBUSTE TECHNIK FÜR RAUE UMGEBUNG

Die Anwendung unter diesen extremen Bedingungen stellt sehr hohe Anforderungen an die Technik, besonders aber auch an die komplette Optik. So sollten beispielsweise Elektronik und Stromversorgung in die Atemschutzmaske integriert werden, ohne den Träger dabei im Sichtfeld zu beeinträchtigen. Nach außen hin musste die gesamte Technik der Maske zudem luftdicht integriert sein. Zu guter Letzt ging es auch darum, das System hitzebeständig und mechanisch sehr stabil zu konstruieren. Glücklicherweise konnten die Forschenden der WHZ bei ihrer Entwicklung auf das Know-how von vorherigen Forschungsprojekten zu Datenbrillen, unter anderem in Stahlwerken sowie bei Druckereien, zurückgreifen.

Die Datenanzeige ist direkt in die Atemschutzmaske integriert ©WHZ

Zunächst wird das System im Brandhaus des Feuerwehr-Instituts für Feuerwehr und Rettungstechnologie (IFR) – einer Ausbildungs- und Forschungseinrichtung für die Feuerwehr der Stadt Dortmund –, getestet. Da in dem IFR realistische Szenarien wie brennende Räume nachgestellt werden können, soll auch die Ad-hoc-Lokalisierung in dem Gebäude installiert werden. So kann unter realitätsnahen Bedingungen die Kombination aus Feuerwehrmaske mit Datenbrille und UWB-Empfänger evaluiert und optimiert werden.

STANDARDS FÜR GEBÄUDETECHNIK

Basierend auf den Ergebnissen sollen dann Standards geschaffen werden, um neue Gebäude neben der Brandmeldetechnik auch mit einer Navigationstechnik für Rettungskräfte auszustatten. Somit können die bisher verwendeten Laufkarten durch digitale Gebäudepläne ersetzt werden, da diese dann automatisch im System der Rettungskräfte eingespielt werden. Die Generierung der Daten kann zukünftig über Projektierungs- und Building Information Modeling (BIM) Systeme automatisiert erfolgen.

Das neuartige System entsteht im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojektes CELIDON und wird innerhalb einer Forschungskooperation mit der Stadt Dortmund, dem Feuerwehr–Institut für Feuerwehr- und Rettungstechnologie (IFR) und der TU Dortmund – Lehrstuhl für Kommunikationsnetze entwickelt. Die TU Dortmund wird innerhalb des Projektes an der Integration einer drahtlosen Funklokalisierung für eine sichere und effiziente Ausbildung im Brandhaus der Feuerwehr der Stadt Dortmund arbeiten.

SICHERHEIT FÜR RETTUNGSKRÄFTE

Menschenrettung in stark verrauchten Gebäuden ist stets mit Gefahren verbunden. Eine davon ist beispielsweise, dass die Rettungskräfte den Kontakt zueinander verlieren. Trotz umfangreicher Ausbildung und regelmäßigem Training, ereignen sich immer wieder Unfälle mit tödlichem Ausgang für die Einsatzkräfte. Denn in vielen Einsätzen müssen die Rettungskräfte Gebäude betreten, in denen die Orientierung durch Rauchbildung stark erschwert oder unmöglich ist. Dann wird in der Regel ein standardisiertes, eingeübtes Suchverfahren nach hilfsbedürftigen Menschen durchgeführt. Hierfür führen Trupps aus je zwei Rettungskräften die Suche nach Betroffenen taktil durch. Doch leider treten immer wieder Situationen auf, in denen sich die Trupp-Partner separieren. Oft fällt ihnen der Kontaktverlust dabei nicht sofort auf. Und schließlich tun die besonderen Bedingungen im Einsatz – wie nicht vorhandener Sichtkontakt, Atemmaske, Stress, Panik und eventuell störende Geräusche –, ihr übriges. Sie erschweren ein Wiederauffinden des Partners.

Die neu entwickelte Atemschutzmaske mit AR-Funktion könnte bei diesem lebensbedrohlichen Problem Abhilfe schaffen. Ein erster Prototyp des Systems wird von Rigo Herold, Professor für Digitale Systeme und seinem Team auf der Hannover Messe in Halle 2, Stand A38 (Forschung für die Zukunft) ausgestellt.

Bild oben: ©WHZ

FORSCHUNGSPROJEKT: DIGITALISIERUNG VON ABBRUCHARBEITEN FÜR SORTENREINEN BAUSCHUTT

Die Baubranche boomt – und immer öfter muss Altes Neuem weichen. In alten Gebäuden stecken jedoch zum Teil wertvolle Ressourcen, die durchaus wiederverwertet werden könnten. Und – vor allem auch in Anbetracht von mangelndem Deponieraum – auch wiederverwendet werden sollten. Zudem gibt es Problemabfälle, die gesondert entsorgt werden müssen. Grund genug für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TH Köln gemeinsam mit zwei Partnern aus der Industrie an einem Verfahren zum optimierten Abbruch von baulichen Anlagen (VopAbA) zu forschen. Ihr Ziel ist es, sortenreinen Bauschutt, eine bessere Logistik sowie mehr Sicherheit bei Abbrucharbeiten zu fördern, um somit die Recyclingquote zu erhöhen.

VERBESSERUNG VON VORSORTIERUNG

„Bauabfälle sind ein bundesweites Problem. Alleine 2014 fielen rund 200 Millionen Tonnen an, wie der Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden in einem Monitoring festgestellt hat. Darunter gut 55 Millionen Tonnen Bauschutt aus dem Abbruch von Gebäuden“, so Dirk Niederberghaus, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kölner Labor für Baumaschinen der TH Köln. Der anfallende Bauschutt, der vor allem aus mineralischen Abfällen besteht, kann zurzeit zu etwa zwei Dritteln recycelt werden. Er findet vor allem als Fahrbahnunterbau Verwendung.

Doch es geht noch mehr: durch die Vorsortierung des Bauschuttes auf der Abbruchstelle könnte die Quote erheblich verbessert werden. Dazu macht es Sinn, schon im Vorfeld zu wissen, wo sich Materialien, die den Bauschutt kontaminieren würden, befinden. Um diese kritischen Abfälle zu ermitteln, möchten die Forschenden per stationärer Scan-Einrichtung das Gebäude schon vor dem Abbruch digital erfassen. Ein Verfahren, das übrigens aus der Vermessungsbranche bereits bekannt ist. Die Ergebnisse werden in einer Punktewolke zusammengetragen, aus der ein Gebäudeplan errechnet wird. Die problematischen Bereiche sind entsprechend gekennzeichnet. Mit diesem Wissen ließen sich die Arbeitsschritte sowie auch die Logistik auf der Baustelle optimieren.

Durch die Digitalisierung der Prozesse soll der Abbruch baulicher Anlagen optimiert werden ©TH Köln

„Während des Abbruchs tasten robuste 3D-Scanner an der Spitze des Hydraulikbaggers permanent das Gebäude ab. Die Ergebnisse werden dann mit den digitalen Plänen abgeglichen und es entsteht ein Modell, an dem man den Abbruch in Echtzeit verfolgen kann“, so Niederberghaus.

Per Display im Führerhaus wird der Maschinenführer angewiesen, in welcher Reihenfolge die einzelnen Teile abzureißen sind. So kommt ein möglichst sortenreiner Bauschutt zustande, der einer höchsten Güteklasse entsprechen soll.

Da das Gebäude im Vorfeld gescannt und erfasst wurde, können wir auch errechnen, wie viele Tonnen bestimmter Materialen anfallen und zu welchem Zeitpunkt sie voraussichtlich abtransportiert werden müssen…“

…, erläutert Niederberghaus. „Das erleichtert zusätzlich die Logistik und spart Kosten.“

MEHR SICHERHEIT AUF DER BAUSTELLE

Nicht zuletzt wird das geplante System auch die Sicherheit auf der Baustelle erhöhen. Denn in der Simulation des Gebäudes und seiner Umgebung, die der Baggerführer auf seinem Display sieht, kann auch der Trümmerschatten angezeigt werden. Er sieht also den von herabfallendem Material bedrohten Bereich. „Im Sinne einer Augmented Reality können wir auf dem Display den Bereich einzeichnen, in den der Bagger bedenkenlos fahren kann und verhindern so Unfälle“, erklärt Niederberghaus.

Das Kölner Labor für Baumaschinen (KLB) von Prof. Dr. Alfred Ulrich führt das Forschungs- und Entwicklungsprojekt VopAbA in Kooperation mit der MOBA Construction Solutions GmbH und die TPA GmbH Gesellschaft für Qualitätssicherung und Innovation (TPAQI) durch. Das Labor ist Teil des Instituts für Bau- und Landmaschinentechnik der TH Köln. Das Projekt wird über drei Jahre im Programm Leitmarktwettbewerb Produktion.NRW gefördert.

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Bild oben: Bauschutt @Pixabay

GRÜNER AMMONIAK – KRAFTSTOFF UND ENERGIESPEICHER FÜR EINE EMISSIONSFREIE SCHIFFFAHRT

Das Bündnis Campfire – es forscht an der dezentralen Herstellung grünen Ammoniaks aus erneuerbaren Energien – erhielt nun von einer Expertenjury positive Nachrichten: Es wird in den nächsten fünf Jahren durch das Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) mit acht Millionen Euro gefördert. Diese wird es nutzen, um ihre Vision von der emissionsfreien Schifffahrt voranzutreiben und eine grüne Ammoniak-Technologie zu etablieren. Elementarer Baustein des neuen Verfahrens sind keramische Dünnschichtmembranen, die eine hohe Effizienz und Lebensdauer aufweisen. Dank ihrer Eigenschaften ermöglichen sie ein effizientes Festkörper-Elektrolyseverfahren (SOEC) für die Wasserstoffsynthese aus Wasserdampf.

„Wir freuen uns, dass sich die Jury für unser Konzept entschieden hat, an dem wir mehr als sieben Monate intensiv gearbeitet haben und eine breite Wissensallianz schaffen konnten“, kommentiert Projektleiterin Dr. Angela Kruth vom Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald die Neuigkeiten nicht ohne Stolz. Das Know-how bezüglich innovativer Energietechnologien sowie aus dem maritimen und chemischen Bereich ist in der Region – sie erstreckt sich von Rostock bis ins polnische Stettin ‒, seit vielen Jahren vorhanden. Nun wird es erstmals im Bündnis Campfire zu einem neuen Technologiepfad zusammengeführt. Das Bündnis verfolgt das Ziel, durch die Entwicklung innovativer Energietechnologien und der Verflechtung der lokalen Energiebranche mit der maritimen und chemischen Industrie einen neuen, zukunftsträchtigen Wirtschaftszweig in der Projektregion Nord-Ost zu etablieren. Die Erarbeitung des Konzepts wurde vom Leibnizer INP sowie dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) und der Hochschule Stralsund (HOST)koordiniert. Wichtige Impulse setzten auch die externen Partner wie beispielsweise das Zentrum für Brennstoffzellentechnik (ZBT) sowie das Institut für Kompetenz in der Automobilität (IKAM).

Inzwischen zählen 31 Partner zu Campfire. Dazu gehören erfolgreiche Unternehmen im Spezialschiffbau und der Energieerzeugung. Zudem sind auch große Reedereien und Düngemittel-Produzenten vertreten. Die beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen machen etwa ein Drittel der Projektpartner aus. Sie erforschen unter anderem Nanotechnologien und Brennstoffzellen für den Energiesektor.

CO2-NEUTRALES AMMONIAK AUS LUFT UND WASSER

Schwerpunkt des Innovationskonzepts ist die dezentrale Herstellung von grünem – also CO2-neutralen – Ammoniak aus Luft und Wasser. Die dafür notwendige Energie soll ausschließlich aus Wind- und Solaranlagen stammen. Herzstück dieses neuen Verfahrens sind – da sie eine hohe Effizienz und Lebensdauer aufweisen –, keramische Dünnschichtmembranen mit kubischen Perowskitstrukturen. Perowskite überzeugen mit ihrem Vorteil in Bezug auf Betriebstemperaturen, mechanischer Belastbarkeit sowie der physikalisch-chemischen Eigenschaften und Temperaturbeständigkeit als Hochtemperatur-Elektrolytmaterialien. Zudem können sie Sauerstoffionen, Protonen und Elektronen leiten. Für die Nutzung von Ammoniak als Energieträger spricht, dass das Gas – bei Normaldruck bei -33°C –,  bar verflüssigbar ist. Von daher kann es leicht gespeichert und transportiert werden. Ammoniak ist wasserstoffreich und enthält Energiemengen, die mit Dieselkraftstoff vergleichbar sind. Zudem könnte das Gas auch in konventionellen Verbrennungsmotoren genutzt werden. Die Endprodukte sind nur Wasser und Stickstoff. Letzterer kann gefahrlos an die Luft zurückgegeben werden. Im Rahmen von Campfire sollen durch die hohe Prozesseffizienz und niedrigen Kosten für die Ammoniaksynthese aus regenerativem Strom die Produktionsprozesse erstmals wirtschaftlich darstellbar werden.

ENTWICKLUNGSARBEIT STEHT BEVOR

Allerdings steht die Entwicklung dieser Materialien als erstes Forschungsvorhaben von Campfire noch bevor. Parallel dazu erarbeiten die ostdeutschen Experten technologisch-ökonomische Studien für die nachhaltige Produktion von Ammoniak und dessen Nutzung als Kraftstoff. Ebenso müssen rechtliche Rahmenbedingungen angepasst und aufwändige Genehmigungsverfahren vorbereitet werden. Das Bündnis setzt sich auch für einen nachhaltigen Politikrahmen ein. Dieser soll die wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Projekt schaffen. „Es braucht eine realistische CO2-Bepreisung, die auch langfristige Klimakosten widerspiegelt. Statt fossile Brennstoffe zu subventionieren müssen klimaneutrale Kraftstoffe wirtschaftlich werden. Da hilft ein angemessener CO2-Preis“, betont IKEM-Geschäftsführer Simon Schäfer-Stradowsky. Je höher dieser ausfalle, desto schneller vollziehe sich der Umstieg auf neue Technologien.

Die Erfahrungen in der Ammoniakproduktion – bis jetzt werden dafür große Mengen fossiler Energieträger benötigt –, reichen bereits 150 Jahre zurück. Die Verbindung von Stickstoff und Wasserstoff ist eine der meistproduzierten Chemikalien und Ausgangsstoff unter anderem für Düngemittel.

Grün gewonnenes Ammoniak könnte nicht nur wertvoll für den Einsatz in Zero-Emission-Antrieben, die in den kommenden Jahren für die Schifffahrt entwickelt werden, sein. Ebenso lässt sich daraus nachhaltiger Dünger herstellen, was zur Sicherung der globalen Nahrungsmittelproduktion beiträgt. CO2-neutrales Ammoniak auf Basis von elektrochemischen Verfahren könnte aber auch in stationäre Energieversorgungssysteme eingespeist werden. „Die neuen Ammoniak-Technologien sind ein Schlüssel für die Bewältigung der künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen“, so Kruth. Ein weiteres Ziel sei, die in der Region entstehenden High-Tech-Lösungen weltweit zu exportieren.

HINTERGRUND ZUR FÖRDERUNG

Schon im Jahr 2017 startete das BMBF unter dem Namen „Wir! – Wandel durch Innovationen in der Region“ die ostdeutsche Innovationsinitiative. Ab dem 1. April 2019 werden insgesamt 20 ostdeutsche Bündnisse mit innovativen Ansätzen den Strukturwandel in ihren Regionen vorantreiben. Dafür entwarfen die Akteure der interdisziplinären Zusammenschlüsse im vergangenen Jahr verschiedene Innovationskonzepte für ihre Region. Die Innovationsfelder reichen dabei von der Bioökonomie über neue Materialien und Rohstoffeffizienz bis hin zur Gesundheitsversorgung in ländlichen Räumen. Von den 100 Initiativen wurden nun 20 von einer Expertenjury ausgewählt. Sie werden in den nächsten fünf Jahren mit insgesamt 200 Millionen Euro vom Bund unterstützt.

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Bild oben: Grüne Energie ©Pixabay

DROPSTONE-IMITAT 18 JAHRE IN DER ARKTISCHEN TIEFE – KAUM BESIEDLUNG

Sie sind ein faszinierender Anblick: Unterwasseraufnahmen, in denen Haarsterne und Seelilien Ihre Tentakel rhythmisch mit der Bewegung des Wassers hin- und herwiegen. Aus der arktischen Tiefe stammen solche Bilder und Filme von ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen, die am fast unerreichbaren Meeresgrund unterwegs sind.

Die oben genannten, zu den Schwammarten gehörenden Meerestiere, sind wortwörtlich mit ihrem Lebensraum verwachsen. Sie leben auf sogenannten Dropstones. Das sind Steine oder auch ganze Felsblöcke, die an Land in einen Gletscher einfrieren und von Eisbergen ins Meer hinaus transportiert werden. Sobald das Eis schmilzt, sinken diese Steine auf den Meeresgrund. Dort bieten sie genau das harte Substrat, auf das viele der sesshaften Arten angewiesen sind. Ihre Nahrung fischen diese sich dann mit Filterapparaten oder Fangarmen aus dem Wasser.

TIEFSEEOBSERVATORIUM HAUSGARTEN

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) erforschten nun, wie lange es dauert, bis sich die ersten Siedler in der Tiefsee der Arktis niederlassen. Auch wollten sie wissen, wie sich die Lebensgemeinschaft danach weiterentwickelt. „Darüber wusste man bisher so gut wie gar nichts“, erklärt Michael Klages vom AWI. Zwar gibt es einige Studien, die solche Fragen in der Antarktis untersuchten. Doch hatten sich diese auf flache Meeresbereiche konzentriert. Hier herrschen andere Lebensbedingungen.

Aber nun gibt es neue Erkenntnisse aus dem Tiefsee-Observatorium namens Hausgarten. Es liegt in der Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland. Das AWI führt hier verschiedene ökologische Langzeituntersuchungen durch.

So stellten Michael Klages und seine Kolleginnen und Kollegen aus der Tiefseeforschungsgruppe des AWI im Juli 1999 einen schweren Metallrahmen mit sogenannten Besiedlungsplatten aus Klinkersteinen, Plexiglas und Holz auf den Meeresboden. In einer Wassertiefe von 2500 Metern sollte dieser den sesshaften Tiefseebewohnern Halt bieten. Und dann hieß es für die Forschenden abwarten, was passiert.

Zunächst statteten sie dem Dropstone-Imitat in den Jahren 2003 und 2011 per ferngesteuerter Unterwasserfahrzeuge einige Besuche ab. Ende August 2017 holten sie das Gestell schließlich wieder an die Oberfläche. Die Erstautorin der aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichung, Kirstin Meyer-Kaiser, die mittlerweile im Meeresforschungsinstitut Woods Hole Oceanographic Institution im US-Bundesstaat Massachusetts arbeitet, nahm die geborgenen Besiedlungsplatten anschließend „unter die Lupe“. Sie zählte die einzelnen Organismen, sammelte sie ab und ordnete sie taxonomisch ein, klassifizierte sie also.

Kirstin Meyer (l) und Melanie Bergmann sammeln Organismen von dem Stahlrahmen, der nach 18 Jahren am Grund der arktischen Tiefsee mit dem Forschungsschiff Polarstern wieder geborgen wurde ©Esther Horvath

BESIEDLUNG VOM EINZELLER ZUM MEHRZELLER IN ZEITLUPE

„In diesem Experiment haben wir gesehen, dass die Besiedlung solcher Habitate in der arktischen Tiefsee extrem langsam vor sich geht“, resümiert Michael Klages. Nach vier Jahren hatten sich auf den Platten nur Einzeller aus der Gruppe der Foraminiferen eingefunden. Nach zwölf Jahren war mit dem Polypen Halisiphonia arctica nur ein einziges mehrzelliges Tier dazugekommen. Und selbst nach 18 Jahren beschränkte sich die Zahl der wirbellosen Mehrzeller auf gerade einmal 13 Arten.

Aus dieser bescheidenen Ausbeute schließen die Forscher allerdings nicht, dass die natürlichen Hartsubstrate keine wichtigen Habitate wären – ganz im Gegenteil: „Ohne sie würde es etliche sesshafte Tiere in der arktischen Tiefsee gar nicht geben“, betont Michael Klages. Der in den Meeren inzwischen allgegenwärtige Zivilisationsmüll scheint dabei kein guter Ersatz zu sein. Zwar hat das AWI-Team auf den von ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen aufgenommenen Bildern durchaus schon eine Plastikflasche gesehen, auf der eine Seelilie wuchs. „So sind wir darauf gekommen, bei unserem Experiment auch Plexiglasplatten zu verwenden“, erklärt der Forscher. „Wir wollten sehen, ob diese genauso gut besiedelt werden können wie ein naturnaher Untergrund.“ Das ist offenbar nicht der Fall. Jedenfalls hatten sich nach 18 Jahren auf dem Kunststoff deutlich weniger Tiere eingefunden als auf den Klinkersteinen.

EMPFINDLICHE ÖKOSYSTEME

Auch letztere konnten allerdings bei weitem nicht mit einem benachbarten Felsenriff mithalten, wo sich immerhin 65 verschiedene Wirbellose nachweisen ließen. Möglicherweise haben also selbst fast zwei Jahrzehnte nicht genügt, um auf den Platten die theoretisch mögliche Artenvielfalt zu erreichen. Das erwähnte Riff ist dagegen deutlich älter und hatte entsprechend mehr Zeit, um eine größere Palette von Bewohnern anzulocken.

Die Ergebnisse liefern damit auch wichtige Erkenntnisse über die Empfindlichkeit von Tiefsee-Ökosystemen.

Wenn dort Störungen die sesshaften Bewohner am Meeresgrund beseitigen, dürfte es Jahrzehnte dauern, bis sich die Lebensgemeinschaft davon wieder erholt hat…“

…, warnt Michael Klages. In der Arktis können solche Störungen etwa durch Fischerei, Bohrungen nach Öl und Gas auftreten. Deutlich weitreichendere Folgen aber sind zum Beispiel in der Tiefe des Pazifiks zu erwarten, wo künftig großflächig Manganknollen abgebaut werden sollen.

Die Arbeit der Wissenschaftler wurde kürzlich in Limnology and Oceanography 2019veröffentlicht.

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Bild oben: „Dropstone“ ©ROV Kiel 6000 GEOMAR

UMWANDLUNG VON ÖLPALMPLANTAGEN IN GESCHÜTZTEN REGENWALD

Günstiges Palm-Öl ist gefragt: Es steckt in der Tiefkühlpizza genauso wie in Lippenstiften und Waschmitteln. Doch zum Wachsen bevorzugt die Ölpalme tropisches Klima, also genau das Klima, welches auch Regenwälder benötigen. Kein Wunder also, dass Länder, die in diesen Breitengraden liegen, Regenwald abholzen, um durch den Anbau von Ölpalmplantagen den weltweiten Bedarf an dem neutralen Pflanzenfett zu decken. So gehören beispielsweise Indonesien und Malaysia mit knapp 90 Prozent des gehandelten Öls (Stand 2018) zu den größten Palmölherstellern der Welt – mit verheerenden Folgen für die Natur.

Doch immerhin: Schon 2015 unterzeichnete der malaysische Bundesstaat Sabah ein Abkommen mit dem Rhino and Forest Fund e.V. (RFF) zur Wiederaufforstung des Regenwaldes. Dies soll jetzt in die Tat umgesetzt werden. Borneos Forstbehörden planen unter Federführung des RFF und gemeinsam mit Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) eine Fläche von etwa 15,5 Hektar Ölpalmplantage wieder in Regenwald umzuwandeln. So soll der dringend benötigte Wildtierkorridor für Borneos bedrohte Tierwelt wiedergeschaffen werden. Ein Forschungsteam des Leibniz Instituts und Umweltexperten aus Zürich werden diesen Prozess wissenschaftlich begleiten. Denn bisher mangelt es bezüglich der Aufforstung an wissenschaftlichen Forschungen aus der Praxis. Mit dem Modellprojekt möchte der RFF diese Wissenslücke schließen. Gleichzeitig sollen die gewonnenen Erkenntnisse als Blaupause für zukünftige Aufforstungsprojekte dienen.

KAUF VON LANDVERBINDUNGEN ZWISCHEN WILDTIERRESERVATEN

Der erste Schritt zur Verwirklichung der Ziele war der Kauf von Ölpalmplantagen zwischen den isolierten Wildtierreservaten Tabin und Kulamba im Osten des malaysischen Bundesstaates Sabah. Beide Schutzgebiete sind von zentraler Bedeutung für den Erhalt hochbedrohter und bedrohter Arten wie beispielsweise Haarnasenotter, Borneo-Orang-Utan, Sunda-Nebelparder, Borneo-Elefant und Borneo-Banteng. Dazu Robert Risch, Vorstandsmitglied des RFF und Mitarbeiter am Leibniz-IZW: „Mit der Unterzeichnung eines Kaufabkommens auf der aktuellen Heart-of-Borneo-Konferenz in Kota Kinabalu in Malaysia wird ein Durchbruch bei der Schaffung eines bedeutsamen Wildtierkorridors besiegelt.“ Risch ergänzt: „Um ein massives Artensterben zu verhindern, müssen isolierte Waldgebiete zeitnah wieder vernetzt werden. Dazu sind der kostspielige Erwerb bestimmter Ölpalmplantagenflächen und deren Umwandlung in Schutzgebiete unverzichtbar. Es ist sehr verwunderlich, dass dies zuvor noch niemand gemacht hat.“

FORSCHUNGEN ZU BODENBESCHAFFENHEIT UND WIEDERBESIEDLUNG

Die vom RFF durch Spendengelder erworbenen Flächen werden von der Regierung Sabahs zunächst in Schutzgebiete umgewandelt. Anschließend werden sie durch den RFF wieder mit naturnahem Regenwald aufgeforstet, so dass die zerstückelten Regenwaldgebiete wieder zusammengeführt werden. „Die Herausforderung besteht in der Erforschung der optimalen Umwandlung von Ölpalmplantagen und ihren degradierten Böden in naturnahen Regenwald“, erläutert Dr. Philippe Saner, Experte für Umweltstudien aus der Schweiz und Gründungsmitglied des RFF, „die hieraus gewonnenen Erkenntnisse, ermöglichen es uns, Aussagen über eine zukünftige optimale Flächenrückführung zu treffen.“

Doch auch andere Forschungsthemen, wie die Wiederbesiedlung der artenarmen Flächen durch Wildtiere, sollen unter die Lupe genommen werden. „Bisher wird hauptsächlich der Verlust der Biodiversität untersucht“, erklärt Dr. Petra Kretschmar, Ökologin am Leibniz-IZW und Vorstandsmitglied im RFF, „Wir möchten jedoch herausfinden, wie lange es dauert, bis artenarme Ölpalmplantagenflächen nach einer Renaturierung wieder ihre ursprüngliche Artenvielfalt erreicht haben.“ So soll die wissenschaftliche Begleitung des gesamten Umwandlungsprozesses genutzt werden, um Empfehlungen für eine zukünftige nachhaltige Umwandlung von Agrarlandflächen in naturnahen Regenwald geben zu können.

FÖRDERMITTEL UND SPONSOREN GESUCHT

Durch weitere Zukäufe – die sich ebenfalls aus Spendengeldern finanzieren – soll der Wildtierkorridor in den nächsten Jahren kontinuierlich ausgebaut werden. Derzeit sind die Wissenschaftler auf der Suche nach Fördermitteln aus staatlichen Quellen. Doch Steven Seet, Leiter der Wissenschaftskommunikation am Leibniz-IZW und Vorstandsmitglied des RFF betont: „Aber auch für Wirtschaftsunternehmen bietet sich hier eine große Gelegenheit, einen nachhaltigen Beitrag für die Natur zu leisten und für zukünftige Generationen die Weichen zu stellen.“

Das Pilotprojekt trägt übrigens mit seinen Aktivitäten zur Umsetzung der Aichi-Biodiversitätsziele des internationalen Umweltabkommens „Convention on Biological Diversity (CBD)“ bei. Zeitgleich erfüllt es auch die auf dem UN-Klimagipfel 2014 beschlossenen Klimaziele. Dort wurde vereinbart, bis zum Jahr 2030 350 Million Hektar Wald aufzuforsten und degradiertes Land zu renaturieren.

HINTERGRUND ZUM RFF

Der in Deutschland ansässige RFF ist seit 2010 auf Borneo aktiv. Er überführte gemeinsam mit dem Sabah Forestry Department und mit Unterstützung des Sabah Wildlife Departments bereits über 2.000 Hektar bedrohte Waldgebiete in streng geschütztes Habitat. Zudem forstete er bisher 24 Hektar zerstörte Regenwaldgebiete wieder auf. Für seine Leistungen im Habitatschutz erhielt der Verein heute von der malaysischen Regierung aus Sabah auf der Heart-of-Borneo-Konferenz eine Auszeichnung. „Wir sind [auch] sehr stolz darauf, dass die Regierung von Sabah den RFF heute offiziell für seine bisherigen Leistungen im Habitatschutz auszeichnet und bedanken uns für die großartige und langjährige Unterstützung durch die lokalen Behörden“, freute sich Risch. Der RFF ist übrigens eine Ausgründung des Leibniz-IZW und wird seit seiner Gründung im Jahr 2009 vom Zoo Leipzig gefördert.

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Bild oben: Tabin-Kulamba in Sabah ©Robert Risch, Rhino and Forest Fund e.V. (RFF)

KNOTENPUNKT HANDEL: REALES FORSCHUNGSPROJEKT INNOREDUX WILL PLASTIK IM EINKAUFSKORB REDUZIEREN

Ob Lebensmittel, Bekleidung oder Kosmetika – fast jedes Produkt ist in Plastik verpackt. Und noch viel schlimmer: Der Verpackungsmüll hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sogar verdoppelt. So wurden nach Daten des Umweltbundesamtes beispielsweise im Jahre 2015 von den in Deutschland verarbeiteten Kunststoffen 35 Prozent für die Herstellung von Verpackungen verwendet. Insgesamt landeten in Deutschland zuletzt jährlich rund drei Millionen Tonnen Kunststoffverpackungen im Müll. Und eher selten hat der Kunde die Möglichkeit, Ware unverpackt zu kaufen. Nun stellt sich natürlich zunächst die Frage, muss eine Verpackung überhaupt sein? Und wenn ja, gibt es eventuell alternative Verpackungslösungen?

Genau diesem Thema will das Forschungsprojekt Innoredux der gemeinnützigen Forschungsinstitute Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) auf den Grund gehen. Ziel der Wissenschaftler unter Leitung von Dr. Frieder Rubik ist es, Wege aufzuzeigen, durch innovative Geschäftsmodelle im Handel den Plastikmüll entlang der Wertschöpfungskette zu reduzieren.

PLASTIKREDUKTION ALS WETTBEWERBSVORTEIL

„Dringend sind innovative Maßnahmen gefragt, um Kunststoffeinträge in die Umwelt zu mindern. Damit diese sich in der Praxis durchsetzen, schauen wir in unserem Projekt insbesondere nach Ansätzen, die für die Unternehmen gleichzeitig Wettbewerbsvorteile schaffen“, so Projektleiter Dr. Frieder Rubik vom IÖW über die Herangehensweise des Projektes Innoredux. Hierfür arbeiten die Wissenschaftler in einem Reallabor, also gemeinsam mit realen Unternehmen aus dem Online- sowie dem stationären Handel, an innovativen Verpackungslösungen. Zunächst geht es um den Verzicht auf Umverpackungen, Einweg-Serviceverpackungen wie Obst- und Gemüsebeutel oder Verpackungsfolien an der Fleisch- und Käsetheke. Ist dies nicht machbar, wird eine mögliche Substitution durch ökologisch verträglichere Materialien erforscht.

Oberstes Ziel des Projektes ist es, Geschäftsmodelle zu erproben, um Produkte so in den Umlauf zu bringen, dass deutlich weniger Verpackungsabfälle entlang der gesamten Lieferkette entstehen oder noch besser, dass wo immer möglich ganz auf Einweg-Verpackungen verzichtet wird. Der Fokus liegt dabei vor allem im Einzelhandel. Denn dieser hat eine Schlüsselrolle zwischen der Produktion und dem Konsumenten inne. Das Forschungsprojekt nimmt für seine Untersuchungen mehrere Warengruppen unter die Lupe. Dazu gehören Lebensmittel, Büroartikel, Textilien sowie Kosmetika, Hygiene-, Wasch- und Reinigungsmittel.

Aus dem stationären Handel arbeiten zum Beispiel der Drogeriemarkt dm und der Biohändler Alnatura bei dem Forschungsprojekt mit. Aus dem Versandhandel sind Memo, Zalando und der Avocadostore dabei. Diese Unternehmen beschäftigten sich auch in der Vergangenheit schon mit der Entwicklung nachhaltigerer Verpackungslösungen. Beispielsweise hat dm Verpackungen mit einem möglichst hohen Rezyklatanteil, also wiederverwerteten Kunststoffen, bei flüssigen Produkten wie Spülmittel und Cremes im Einsatz. Alnatura erreichte mit der Verwendung eines sogenannten 3-Komponenten Jogurtbechers eine Reduktion des Kunststoffanteils von 8,2 auf 3 Gramm. Generell sind diesen Unternehmen nachhaltige Verpackungen wichtig. So heißt es zum Beispiel auf  der Webseite von Alnatura: „Wir verfolgen sehr aufmerksam aktuelle Entwicklungen im Bereich der Verpackungstechnologie. Wenn es hier neue Erkenntnisse gibt, berücksichtigen wir diese in der Produktentwicklung.“

Während des Projektes ist angedacht, auch die Konsumenten in die Forschung miteinzubeziehen. Dies könnte zum Beispiel über Fokusgruppen oder Befragungen geschehen. Möglicherweise erhalten die Kunden auch die Chance, Anregungen und Vorschläge über die Webseite des Projektes weiterzugeben.

UMSETZUNG DER PLASTIKREDUKTION WEITERDENKEN

Im Rahmen des Forschungsvorhabens sollen obengenannte Ansätze zur Plastikreduktion verfestigt und neue, weiterreichende Ideen entwickelt werden. Dazu wird zunächst untersucht, wie erfolgsversprechend diese Geschäftsmodelle unter Berücksichtigung sämtlicher am Prozess beteiligter Personen und Unternehmen sind. Dazu gehören unter anderem die Bedingungen zum Beispiel in der Verpackungsentwicklung oder Lieferlogistik bei Vorlieferanden sowie die Erfordernisse im Einzelhandel wie Produktschutz, Produkthaltbarkeit und rechtliche Vorgaben. Doch auch Verbraucherwünsche wie unterschiedliche Präferenzen, Bequemlichkeit versus Suffizienz werden unter die Lupe genommen. Alle diese Faktoren sollen im Reallabor erprobt und getestet werden.

Als nächsten Schritt soll dann ‒ basierend auf den Erfahrungen aus dem Reallabor des Raumes Heidelberg ‒, eine Strategie entwickelt werden, wie Kommunen und Unternehmen allgemein dazu beitragen können, Plastikmüll zu reduzieren. Ziel ist es, insgesamt die praktische Umsetzung von alternativen Verpackungslösungen zu erleichtern. Das Projekt wird vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) begleitet. Auch bringen der Heidelberger Einzelhändler „Annas Unverpacktes“ und der Verband der Unverpackt-Läden ihre Erfahrungen im Handel mit nicht verpackten Lebensmitteln und Kosmetikartikeln in das Projekt mit ein.

Das Forschungsprojekt startete im Februar in Heidelberg und wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Forschungsschwerpunkts „Plastik in der Umwelt – Quellen, Senken, Lösungsansätze“finanziert. In diesem gehen 20 Verbundprojekte mit rund 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden, Kommunen und Praxis grundlegenden Fragen zur Produktion, Anwendung und Entsorgung von Kunststoffen nach. Der Forschungsschwerpunkt gehört zum BMBF-Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA).

Bild oben: Verpackte Früchte ©pixabay

GRUNDWASSERENTNAHMEN UND TROCKENPERIODEN BEDROHEN EUROPÄISCHE AUENWÄLDER

Auch wenn man es sich in einem Schnee- bzw. regenreichen Winter wie diesen nicht vorstellen kann: Die europäischen Auenwälder sind langfristig aufgrund der durch den Klimawandel bedingten, langen Trockenperioden bedroht. Doch nicht nur das: Grundwasserentnahmen für Industrie und Haushalte verstärken diese Situation um einiges. Dieses alarmierende Forschungsergebnis wurde kürzlich von einem Team des Instituts für Forstwissenschaften der Universität Freiburg in der Fachzeitschrift Frontiers In Forests And Global Change veröffentlicht. Die Untersuchung zeigt sogar deutlich, dass die Grundwasserentnahmen die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die von Eichen dominierten Auenwälder noch verstärkt. Somit gehören diese zu den gefährdetsten Wäldern Europas.

Hinzu kommt, dass die Auenwälder durch Umwandlung zu Acker- und Grünland sowie als Siedlungsfläche schon lange einen Großteil ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets eingebüßt haben. Flussbegradigungen und Entwässerungen veränderten den natürlichen Wasserhaushalt ebenfalls. Nicht zuletzt dezimieren auch eingeschleppte Schädlinge sowie Krankheiten weitere natürliche Baumarten wie Ulmen und Eschen. Und das, obwohl unsere Wälder unter anderem in Bezug auf die Regulation von Hochwassern sowie den Schutz der Biodiversität eine wichtige Funktion innehaben.

ANALYSE VON JAHRRINGBREITEN UND KLIMADATEN

Ausgangspunkt der Freiburger Studie war die Beobachtung, dass die Vitalität alter Bäume in den Eichenwäldern des Rheintals deutlich abgenommen hatte. Parallel dazu schien die Mortalität deutlich zugenommen zu haben. Daraufhin untersuchte die Forschungsgruppe um den Waldökologen Prof. Dr. Jürgen Bauhus, ob diese Trends sich auch anhand der Wachstumsverläufe der Bäume erkennen ließen. Ebenfalls betrachteten sie, ob diese mit der vielerorts stattfindenden Grundwasserentnahme für Industrie und Haushalte zusammenhingen. Das Abpumpen von Wasser kann den Grundwasserspiegel so tief absenken, dass es selbst für tiefwurzelnde Eichen nicht mehr erreichbar ist.

Die Forstwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler untersuchten zu diesem Zweck die Jahrringe von jungen und alten Bäumen auf Standorten ohne sowie auch mit deutlicher Grundwasserentnahme. Das Untersuchungsgebiet reichte von drei Stieleichenwäldern des Rheintals vom Freiburger Mooswald bis hin zum Hessischen Ried bei Lampertheim. Anhand der Analyse von statistischen Zusammenhängen zwischen Jahrringbreiten und Klimadaten zeigte sich, dass das jährliche Stammwachstum der Eichen negativ von der Sommertrockenheit beeinflusst wurde. Bei allen untersuchten Standorten liegt der Beginn der Grundwassergewinnung übrigens schon mindestens 49 Jahre zurück. Entsprechend stellte sich heraus, dass diese Eichen in ihrem Wachstum deutlich gegenüber der Sommertrockenheit empfindlicher waren. Im Gegensatz dazu blieb die Empfindlichkeit des Jahrringwachstums bei Eichen auf nicht beeinträchtigten Standorten im Laufe der Zeit relativ stabil. Einen weiteren Unterschied zwischen Standorten mit und ohne Grundwasserentnahme benennt Georgios Skiadaresis, Doktorand und Hauptautor der Studie: „Eichen mit Grundwasserkontakt können sich in Phasen mit günstiger Witterung besser erholen, wie man an einem erhöhten Jahrringwachstum erkennen kann. Bei Eichen ohne Grundwasseranschluss ist das deutlich weniger der Fall.“ Das heißt also, unsere nassen Winter unterstützen zwar die Eichen, die nicht in der Nähe von Grundwasserentnahmen stehen im Wachstum. Doch da es sich eher um kurzfristige nasse Witterungen handelt, können diese das Grundwasser in Verbindung mit dem Trend zu längeren Tockenperioden bei gleichzeitiger Grundwasserentnahme nicht auf den Normalspiegel bringen.

Eine weitere Vermutung der Forschenden, dass junge Eichen weniger von Grundwasserabsenkungen betroffen sind, weil ihr Wurzelsystem möglicherweise anpassungsfähiger als das von alten Eichen ist, bestätigte sich in der Studie nicht.

GRUNDWASSERENTNAHME SOLLTE REDUZIERT WERDEN

Angesichts ihrer Ergebnisse empfehlen die Autorinnen und Autoren in Trockenperioden die Grundwasserentnahme aus Auenwäldern zu reduzieren, statt zu erhöhen. Nur so kann die Vitalität der Bäume in diesen Ökosystemen langfristig erhalten bleiben. Besser wäre es die Anpassungsstrategien in anderen Sektoren, etwa die Bewässerung in der Landwirtschaft, nicht auf Kosten der Gesundheit dieser Wälder vorzunehmen.

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WAS IST IM VAKUUM? – FORSCHUNGSGRUPPE GEHT DEM „NICHTS“ AUF DIE SPUR

Das Vakuum ist leer, oder? Oder doch nicht? Zumindest nicht für Quantenphysiker. Denn diese gehen davon aus, dass selbst hier noch Teilchen und Anti-Teilchen fluktuieren. Bisher gibt es für diese Annahme noch keinen eindeutigen Beweis. Doch schon die deutschen Physiker Werner Heisenberg und Hans Euler vermuteten Lichtinteraktionsprozesse im vermeintlichen Nichts. Nun haben sich Forschungsgruppen der Universität Jena, des Helmholtz-Instituts Jena (HIJ), der Universität Düsseldorf und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zum Ziel gesetzt, physikalische Prozesse im Quantenvakuum erstmals experimentell nachzuweisen.

LICHT MACHT PHÄNOMENE IM „LEEREN RAUM“ SICHTBAR

„Starke Felder bringen die Quanten zum Wackeln.“ So in etwa beschreiben die Experten ihr Forschungsziel für nicht-Physiker. Genauer gesagt wollen sie Quantenvakuumprozesse, die den Grundzustand der Natur bilden, mit Hochintensitätslasern nachweisen. „Das Besondere an unserem Team ist das enge Zusammenspiel von fundamentaler Theorie und hoher Experimentierkunst“, erläutert Dr. Felix Karbstein, Theoretiker am HIJ. Karbstein arbeitet an der genauen Vorhersage für Messgrößen, in denen die im Vakuum extrem kurz entstehenden Teilchen und ihre Anti-Teilchen ihre Spuren hinterlassen.

Prof. Dr. Holger Gies (r.) und Dr. Felix Karbstein wollen gemeinsam mit ihrer neuen Forschungsgruppe kleinste Teilchen im „leeren Raum“ aufspüren ©Jan-Peter Kasper/FSU

Die Jenaer Experimentalphysiker sowie die Kollegen an der LMU forschen derweil an einer Methodik, um den praktischen Nachweis zu erbringen. Dazu entwickeln und kombinieren sie leistungsstarke Laser mit neuartigen, präzisen Messverfahren. So sollen die flüchtigen Prozesse im Vakuum gemessen werden können. Denn bislang existierten keine Lichtquellen, die für eine experimentelle Überprüfung leistungsfähig genug waren. Die modernen Hochintensitätslaser, die bei den Versuchen zum Einsatz kommen, nähern sich inzwischen der notwendigen Laserleistung. Daher werden die Experimente nicht nur in Jena und München, sondern auch am Europäischen Röntgenlaser bei DESY in Hamburg durchgeführt.

Die moderne Physik sieht die Phänomene des Quantenvakuums, die Gies und sein Team beweisen wollen, als fundamental und exotisch zugleich an. Dazu zählen beispielsweise die multiphotonische Erzeugung von Teilchenpaaren aus dem Vakuum sowie Streuphänomene des Lichts, wie die sogenannte Quantenreflexion. Diesen schwer zu fassenden Ereignissen ist jedoch nicht nur die Jenaer Forschungsgruppe auf der Spur. „Wir befinden uns in einem internationalen Wettbewerb“, weiß Prof. Dr. Holger Gies, Quantentheoretiker und Leiter der Forschungsgruppe. Der Physiker hofft ‒ da er von den Fähigkeiten seiner experimentellen Kollegen überzeugt ist ‒, dass die Forschungsgruppe aufgrund der besonderen Nähe von Theorie und Praxis den Nachweis als erstes führen kann.

EIGENSCHAFTEN DES VAKUUMS ALS BAUSTEINE NUTZEN

Nicht nur für die Quantenphysik selbst ist der Nachweis und das Verständnis der Vakuumphänomene von Bedeutung. Die Ergebnisse könnten in Zukunft bei der Entwicklung von Geräten helfen, die die Eigenschaften des Vakuums als Bausteine nutzen. So sind beispielsweise moderne Hochleistungslaser und präzise Messmethoden auch aus der Medizin, den Lebenswissenschaften und der Materialforschung nicht mehr wegzudenken. „Bei der Erforschung des Quantenvakuums kommen wir Grundlagenforscher einer konkreten Anwendung somit vergleichsweise nahe“, so Gies. Andererseits bestehe sogar die Möglichkeit, Hinweise auf Kandidaten für die rätselhafte Dunkle Materie zu finden. Diese wiederum ist für die Strukturbildung im Universum verantwortlich. Sie könnte aber auch im Quantenvakuum Spuren hinterlassen. Doch nun gilt es erst einmal die erhofften Ergebnisse zu realisieren. Also nachzuweisen, dass es selbst im Zustand niedrigster Energie physikalische Prozesse gibt.

Das Forschungsprojekt namens „Probing the Quantum Vacuum at the High-intensity Frontier“ ist auf sechs Jahre angelegt. Wobei die erste, dreijährige Phase von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund zwei Millionen Euro und insgesamt neun Doktorandenstellen finanziert wird.

Bild oben: Annika Schmitt und Benjamin Grabiger von der Universität Jena arbeiten hier an einem Polarimeter, um die benötigten Präzisionsmessverfahren zu verbessern. ©Jan-Peter Kasper/FSU

SCHWERSTE DEPRESSIONEN DURCH TIEFE HIRNSTIMULATION GELINDERT

Eine gemeinsame Studie des Universitätsklinikums Freiburg und des Universitätsklinikums Bonnwies nun nach: Schwerste Depressionen können durch Tiefe Hirnstimulation deutlich gelindert werden. An dieser weltweit größten Studie nahmen 16 Probanden teil. Deren Beschwerden wurden schon nach kurzer Zeit deutlich verbessert.

„Die Studie ist in Patientenzahl und erzielter Wirkung weltweit einmalig. Wir konnten erstmals in einer großen Studie zeigen, dass die Tiefe Hirnstimulation eine ernsthafte Option für Patienten mit schwerster Depression ist“

…, so Studienleiter Prof. Dr. Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.

Bei den Patientinnen und Patienten wurde mittels hauchdünner Elektroden ein Teil des Belohnungssystems im Gehirn stimuliert, was bei allen Patienten eine deutliche Besserung der Beschwerden brachte. Im Schnitt halbierte sich die Schwere der Depression. Die Hälfte der Probanden lag sogar unterhalb des Werts, ab dem man von einer behandlungsbedürftigen Depression spricht. Zudem reagierten die meisten Patienten bereits in der ersten Woche auf die Stimulation. Besonders freut es die Wissenschaftler, dass die positiven Effekte während der einjährigen Studie anhielten. Demnach können Menschen mit schwerster, behandlungsresistenter Depression nicht nur akut, sondern auch langfristig von einer Tiefen Hirnstimulation profitieren.

ALTERNATIVE THERAPIEOPTION

Schätzungen gehen davon aus, dass zehn bis 30 Prozent aller Menschen mit wiederkehrender Depression nicht auf zugelassene Therapien ansprechen. Für einige dieser Menschen könnte die Tiefe Hirnstimulation eine Therapieoption sein. Die 16 Studienteilnehmer der FORSEE-II-Studie litten zwischen 8 und 22 Jahren an einer schwersten Depression. Im Schnitt hatten sie zuvor erfolglos 18 medikamentöse Therapien, 20 Elektrokrampftherapien und 70 Stunden Psychotherapie durchlitten.

Prof. Dr. Volker A. Coenen, Erstautor der Studie und Leiter der Abteilung Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg, implantierte mit seinem Team den Patienten die hauchdünnen Elektroden. Sie stimulierten damit das mediale Vorderhirnbündel. Dieser Hirnbereich ist an der Regulation der Wahrnehmung von Freude und Belohnung beteiligt und damit auch für Motivation und Lebensqualität von Bedeutung.

DEUTLICHE LINDERUNG NACH KURZER ZEIT

Im monatlichen Rhythmus bewerteten die Ärzte die Wirkung der Therapie mit Hilfe der etablierten Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS). Bereits in der ersten Woche fiel der MADRS-Wert bei zehn Probanden deutlich ab und hielt sich auf niedrigem Niveau. Im Laufe der Studie reagierten alle Probanden auf die Stimulation. Acht der 16 Patienten hatten zu Studienende einen MADRS-Wert von unter 10 Punkten. Sie galten damit als nicht depressiv.

„Unsere Patienten haben jahrelang mit schwersten Depressionen gekämpft und nichts hat Besserung gebracht. Die Tiefe Hirnstimulation führte bei den meisten innerhalb von Tagen zu einer deutlichen Linderung, die dann auch durchgehend anhielt“,

freut sich Prof. Schläpfer und er ergänzt: „Andere Therapieformen wie Medikamente oder Psychotherapie verlieren oft im Laufe der Zeit ihre Wirksamkeit. Das absolut Sensationelle an den Daten ist, dass der Effekt der Therapie anhaltend zu sein scheint, die positiven Effekte halten über Jahre an.“ Schon in einer Pilotstudie hatten die Wissenschaftler herausgefunden, dass die Stimulation des medialen Vorderhirnbündels sehr vielversprechend ist. Nun sind sie froh, wieder die gleichen deutlichen Effekte festzustellen.

HOFFNUNG AUF EUROPÄISCHE ZULASSUNG DES VERFAHRENS

Aufbauend auf den Ergebnissen der jetzt publizierten Studie begannen die Freiburger Forscher bereits im Oktober 2018 mit ihrer dritten Studie (FORESEE-III). Darin sollen 50 schwerstdepressive Patienten behandelt werden. 15 Patienten wurden bereits operiert. „Wenn die Folgestudie genauso erfolgreich ist wie die aktuelle, besteht große Hoffnung auf eine europäische Zulassung des Verfahrens“, sagt Prof. Schläpfer. Die Studie ist am Donnerstag, 14. März 2019 vorab online im Nature-Fachmagazin Neuropsychopharmacology erschienen.

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Bild oben: Mit zwei Elektroden stimulierten die Freiburger Ärzte bei schwerstdepressiven Patienten das mediale Vorderhirnbündel (blau), das an der Wahrnehmung von Freude und Belohnung beteiligt ist. © Universitätsklinikum Freiburg

CO2-AUFNAHME DER OZEANE BESTIMMT

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik der ETH-Zürich, war über ein Jahrzehnt (von 2003 bis 2013) in den Weltmeeren zur Erforschung der maritimen CO2-Aufnahme unterwegs. Mitte März 2019 veröffentlichte es nun seine Ergebnisse: Die Ozeane nahmen in der Zeit zwischen 1994 bis 2007 etwa 31 Prozent der menschengemachten Treibhausgase auf. Im ersten Moment mag der Zeitraum den Laien erstaunen: Warum gibt es keine aktuelleren Ergebnisse? Dazu der Leiter der Forschung: „Der Grund warum wir die Senke nur bis 2007 bestimmen können liegt daran, dass wir pro Jahr nur wenige Fahrten machen können, d.h. wir müssen alle Daten auf das mittlere Jahr der Messkampagne zurückführen, und das ist das Jahr 2007.“ Nichtsdestotrotz gibt es zumindest Abschätzungen der maritimen Kohlenstoffsenke auf der Basis von Oberflächendaten bis 2017. Doch um gehaltvolle Informationen zu liefern, werden die Daten von Konzentrationsmessungen im Innern mit einer früheren Studie, die ungefähr zwischen 1985 und 1997 durchgeführt wurde, verglichen.

KOHLENSTOFFSENKE IN ZWEI SCHRITTEN

Meere nehmen CO2 übrigens in zwei Schritten auf: Zuerst löst sich das CO2 im Oberflächenwasser. Dann wird es von sogenannten maritimen Umwälzpumpen verteilt. Denn Meeresströmungen und Mischungsprozesse verfrachten das gelöste CO2 von der Oberfläche bis tief in die Ozeanbecken, wo es sich über die Zeit anreichert. Die maritimen Umwälzpumpen sind also die treibende Kraft hinter der Kohlenstoffsenke im Ozean.

Die Karte zeigt die Zunahme des menschengemachten CO2 (Säule bis 3000 Meter Tiefe) in den Weltmeeren zwischen 1994 und 2007. Gebiete mit einer hohen Zunahme sind gelb eingefärbt. ©Grafik: aus Gruber et al., Science, 2019

Und genau deshalb sind auch die Weltenmeere für den atmosphärischen CO2-Haushalt nicht unbedeutend. Immerhin nahmen sie zwischen 1994 und 2007 rund 31 Prozent, also insgesamt etwa 34 Giga-Tonnen, menschengemachten Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf.

Interessant bei diesem Ergebnis ist, dass sich der prozentuale Anteil der CO2-Aufnahme nicht von den vorherigen rund 200 Jahren seit der Industrialisierung unterscheidet. Die absolute Menge aber schon: Denn solange die atmosphärische Konzentration von CO2 ansteigt, entwickelt sich die Senkenleistung der Meere ungefähr proportional dazu. Das heißt also, je höher der CO2-Gehalt in der Luft ist, desto mehr wird er vom Meer absorbiert.

Doch das geht nicht ewig so weiter: Irgendwann wird das Meer gesättigt sein.

Noch scheint dies aber nicht der Fall: „Der globale Ozean hat im untersuchten Zeitraum weiterhin menschengemachtes CO2 aufgenommen, und zwar mit einer Rate, wie sie aufgrund des Anstiegs des atmosphärischen CO2 zu erwarten ist“, so Gruber.

Die neuen datengestützten Befunde unterstützen übrigens verschiedene frühere Schätzungen der marinen Senkenleistung anhand von Modellen. „Das ist eine wichtige Erkenntnis, die uns nun Gewissheit gibt, dass die unterschiedlichen Ansätze stimmen“, bestätigt Gruber. Die Resultate erlaubten zudem Rückschlüsse auf die CO2-Senkenleistung der Land-Ökosysteme, die generell schwieriger zu erfassen sei.

REGIONAL UNTERSCHIEDLICHE AUFNAHMERATE

Doch während die Resultate insgesamt auf eine anhaltend starke Speicherfunktion der Meere im globalen Kohlenstoffhaushalt hindeuten, stellten die Forschenden erhebliche Unterschiede in der Speicherrate verschiedener Meeresregionen fest. So nahm der Nordatlantik zwischen 1994 und 2007 rund 20 Prozent weniger CO2 auf, als er eigentlich sollte. Gruber erklärt:

„Das liegt wahrscheinlich an der schwächelnden nordatlantischen Umwälzpumpe Ende der 90er Jahre, die ihrerseits durch Klimaschwankungen verursacht wurde.“

Die niedrigere Senkenleistung im Nordatlantik ging derweil mit einer deutlich höheren Aufnahme im Südatlantik einher, so dass sich die gesamtatlantische Zunahme von menschgemachten CO2 insgesamt wie erwartet entwickelte.

Ähnliche Schwankungen dokumentierten die Forschenden auch im Südpolarmeer, im Pazifik und im Indischen Ozean. „Die Ozeansenke reagiert somit keineswegs nur auf die Zunahme des atmosphärischen CO2 – die Sensitivität bezüglich klimatischen Schwankungen zeigt uns, dass hier auch größere Rückkoppelungen mit dem Klimasystem möglich sind“, betont der Umweltwissenschaftler.

BILANZ DANK ZWEIER BESTANDSAUFNAHMEN

Voraussetzung für diese Forschungsarbeit waren aufwändige Messungen der CO2-Konzentration und anderer chemischer und physikalischer Größen in den verschiedenen Meeren. Dabei wurde nicht nur die Oberfläche, sondern auch der Meeresboden in teils bis zu sechs Kilometer Tiefe untersucht. An diesem international koordinierten Programm waren ab 2003 für mehr als ein Jahrzehnt Wissenschaftler aus sieben Nationen beteiligt. Während dieser Zeit tätigten sie über 50 Forschungsfahrten durch die Weltmeere.

Für die Analyse der Daten verwendeten die Forschenden eine statistische Methode, die Gruber und sein ehemaliger Doktorand Dominic Clement eigens entwickelt hatten. Sie erlaubt es, in der Gesamtkonzentration an gelöstem CO2 den gesuchten menschengemachten Anteil vom natürlichen CO2 zu unterscheiden. Als natürliches CO2 wird der Kohlenstoffanteil bezeichnet, der im Ozeansystem schon zu vorindustriellen Zeiten existierte.

Bereits um die Jahrtausendwende war Gruber an einer ähnlichen Studie beteiligt. Diese schätzte anhand früherer CO2-Messungen in den Meeren deren Aufnahme von menschengemachtem CO2 seit Beginn der Industrialisierung um 1800 bis 1994 auf 118 Giga-Tonnen Kohlenstoff. Diese Analyse bis 1994 wurde nun durch die aktuellen Forschungsergebnisse bis zum Jahr 2007 erweitert. Die beiden Bestandsaufnahmen von 1994 und 2007 machten es erstmals möglich, die Zunahme der ozeanischen Konzentration von menschengemachtem CO2 in dieser Periode zu bestimmen und die Senkenleistung zu überprüfen.

STEIGENDER CO2-GEHALT VERSAUERT MEERESHABITATE

Einen wesentlicher Punkt in Bezug auf die Leistung als ozeanische Kohlenstoffsenke gilt es stets im Auge zu behalten: Das im Meer gelöste CO2 macht das Wasser saurer.

„Unsere Daten zeigen, dass die Versauerung teils bis über 3000 Meter tief ins Innere der Weltmeere reicht“, gibt Gruber zu bedenken.

Das kann schwere Folgen für viele Meereslebewesen haben: So löst sich Kalk im angesäuerten Milieu spontan auf. Das wiederum gefährdet Muscheln oder Korallen, die Schalen oder Skelette aus Kalziumkarbonat bilden. Andererseits kann die veränderte Ozeanchemie physiologische Prozesse wie die Atmung von Fischen beeinträchtigen. „Nicht zuletzt um solche Vorgänge zu verstehen, ist eine genaue Dokumentation des menschlichen Einflusses in den Meeren so wichtig“, ist Gruber überzeugt. Die gesamte Studie ist im Magazin Science (vom 15. März 2019) nachzulesen.

Bild oben: Messrosette mit Probenflaschen zur Bestimmung der CO2-Konzentration im Meer ©Nicolas Gruber / ETH Zürich

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