HOLZBRILLE: NACHHALTIG UND EXKLUSIV

Eine Brille aus Massivholz? Geht das überhaupt? – Na klar, denn „geht nicht gibt´s nicht“ dachten sich findige Designer aus Freising in Oberbayern. In Zusammenarbeit mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf sowie dank des Know-hows des Traditionsunternehmens Frank Instrumentenbau entwickelte das Start-up Freisicht Eyewear die sogenannte Woodflex-Technologie zur Modifikation von Holz. Sie schafften somit die Basis zum Design einer eleganten Holzbrille.

Durch das zum Patent angemeldete Verfahren ist es erstmals möglich, eine Brille aus einem einzigen Stück Massivholz individuell zu gestalten. Es werden weder Schichtholz noch Materialmischungen verwendet. Der Optiker erwärmt letztendlich das Brillengestell mittels Ventilette – ein in der augenoptischen Werkstatt übliches Heißluftgerät – und passt es ergonomisch auf die Gesichtsgeometrie des Kunden an. Denn das erwärmte Holz erreicht durch die Hitze eine gewisse Teigigkeit, lässt sich dadurch verformen und erstarrt nach dem Erkalten wieder. Damit auch die Verglasung risikofrei bleibt, ist ein Schließblock in das Gestell eingearbeitet. Dieser wird per Schlitzschraubendreher geöffnet, so dass die Gläser eingesetzt werden können. Sobald die Schrauben wieder zugedreht sind, ist der feine Spalt kaum mehr zu sehen.

EIGENSCHAFTEN WIE JEDES BRILLENGESTELL

Holzbrille von Freisicht hat ähnliche Eigenschaften wie eine herkömmliche Brille aus Acetat oder Metall ©Freisicht-Eyewear
Dank der Woodflex-Technologie lässt sich das Holz verformen – nach dem Erkalten erstarrt es wieder ©Freisicht-Eyewear

Die Holzbrille von Freisicht hat ähnliche Eigenschaften wie eine herkömmliche Brille aus Acetat oder Metall. Doch sie überzeugt zudem durch ihren exklusiven Charakter sowie durch ihre Nachhaltigkeit. Denn die Fassungen werden in reinster Handarbeit direkt vor Ort in Freising hergestellt. Zudem nutzen die Brillen-Pioniere ausschließlich heimische Holzarten wie Walnuss und Ahorn. Die Holzoberfläche wird so behandelt, dass eine einfache Verschmutzung leicht abzuputzen ist. Auch sind die Brillen vor Schweiß und Feuchtigkeit geschützt. Individuelle Maserungen und Patina zaubern aus jedem Stück ein Unikat. Passend dazu werden die Brillen mit edlen Brillenetuis aus Eichenholz geliefert. Sie geben dem Designerstück nicht nur einen perfekten Schutz, sondern sie glänzen auch mit allerhöchsten Qualitätsansprüchen. Besonders schön: Die Etuis werden in den Steinhöringer-Werkstätten für Menschen mit Behinderung gefertigt.

AUSZEICHNUNG

Übrigens wurden die Freisinger Holzbrillendesigner Ende Januar beim bayerischen Gründerwettbewerb PlanB mit dem ersten Platz gekürt. Hier werden insbesondere Geschäftsideen für die biobasierte Wirtschaft ausgezeichnet. Mit dem Sieg sicherte sich das Start-up ein Preisgeld von 5.500 Euro und eine Startereinheit im Straubinger Gründerzentrum BioCubator. „Wir werden das Preisgeld für die Weiterentwicklung des Unternehmens einsetzen“, freut sich Wittmann über die Auszeichnung, „das ist eine wunderbare Chance für uns, noch mehr Menschen von den Möglichkeiten des Werkstoffs Holz zu überzeugen und auch viele weitere Kunden und Fans zu gewinnen.“

Bild oben: Mit der Holzbrille zum Erfolg: Das Freisinger Start-up Freisicht-Eyewear wurde beim Gründerwettbewerb Plan B mit dem ersten Platz gekürt. Von li. nach re: Sebastian Wittmann, Founder & CEO; Thomas Winter, Design; Linus Frank, Founder & CTO ©Freisicht-Eyewear

Dieser Artikel erschien am 28.2.2019 in der Innovation Origins.

FESTKÖRPERBATTERIE MIT HOHER ENERGIEDICHTE DANK LITHIUM-ANODE

Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entwickelten eine neue Festkörperbatterie. Das Besondere: Sie verfügt über eine Anode aus reinem Lithium. Das Alkalimetall gilt als ideales Elektrodenmaterial, da sich mit ihm die höchsten Energiedichten erreichen lassen. Doch da das Metall sehr reaktiv ist, wurde es bisher nicht als Anode verwendet. Die Forschenden tricksten diese Eigenschaft jedoch durch den Einsatz von zwei zusätzlichen Lagen aus einem neuartigen Polymer aus. Diese schützen den keramischen Elektrolyten der Batterie und verhindern somit, dass sich das Metall auf zerstörerische Weise ablagert. In Labortests waren über Hunderte von Ladezyklen möglich, ohne dass die Zellen deutlich an Kapazität verloren.

BEDEUTENDE ZUKUNFT ERWARTET

Feststoffbatterien gelten übrigens als eine bedeutende Entwicklung für die Zukunft. Ihr besonderer Vorteil: Festkörperakkus enthalten keine Flüssigkeiten, die auslaufen oder in Brand geraten können. Aus dem Grund sind sie deutlich sicherer, zuverlässiger und langlebiger als aktuelle Lithium-Ionen-Batterien mit flüssigem Elektrolyt. Gleichzeitig besitzen Festkörperbatterien das Potenzial, mehr Energie auf demselben Raum bei geringerem Gewicht zu speichern. Entsprechend wird erwartet, dass diese Technologie verschiedenen Bereichen zum Durchbruch verhelfen könnte. Mögliche Einsatzszenarien sind die Elektromobilität, aber auch Nischenanwendungen in der Medizin- sowie Raumfahrttechnik sind denkbar.

„Ziel war es, unser Konzept für eine Festkörperbatterie so zu erweitern, dass der stabile Betrieb mit einer Lithium-Anode möglich wird, und das haben wir geschafft“, freut sich Dr. Hermann Tempel vom Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-9) über die aktuellen Ergebnisse. Lithium als Anode gilt als Material der Wahl, wenn es darum geht, möglichst hohe Energiedichten zu erzielen. Denn das leichteste Metall ist gleichzeitig auch das elektronegativste aller chemischen Elemente.

Die neue Festkörperbatterie kommt bezogen auf beide Elektroden auf eine Energiedichte von 460 Wh/kg. Im Vergleich mit aktuellen Lithium-Ionen-Batterien ist das ein sehr guter Wert. Hinzu kommen weitere Vorteile, die die Bauweise mit sich bringt. So sind Festkörperbatterien deutlich weniger temperaturempfindlich als herkömmliche Lithium-Ionen-Batterien mit Flüssigelektrolyt. Daher benötigen sie keine Vorrichtungen für das Temperaturmanagement, wie sie bislang in Elektroautos verbaut werden, was zusätzlich Gewicht einsparen dürfte.

POLYMERFOLIE ALS SCHUTZSCHICHT

Aufbau einer Festkörperbatterie mit Hybridelektrolyt ©S. Yu et al., J. Mater. Chem. A, 2019, Advance Article, DOI: 10.1039/C8TA11259B with slight modification (CC BY 3.0)

Möglich wurde die Verwendung einer Anode aus reinem Lithium durch den Einbau einer Polymerfolie zwischen Anode und Elektrolyt. Reines Lithium neigt dazu, beim Laden unkontrollierte Auswüchse auszubilden. Diese sogenannten Dendriten können die Zelle kurzschließen oder sie mechanisch zerstören. In der Anode heutiger Lithium-Ionen-Akkus werden Lithium-Atome daher in einem Speichermedium, meist Graphit, eingelagert. Das Gewicht der Elektrode und der gesamten Batterie erhöht sich dadurch um ein Vielfaches.

„Das Polymer funktioniert wie eine Schutzschicht, die die Verwendung einer Lithium-Anode überhaupt erst möglich macht“, erklärt Tempel. „Sie verhindert, dass der keramische Elektrolyt in direkten Kontakt mit dem metallischen Lithium an der Anode kommt. So werden schädliche Prozesse wie die Dendritenbildung und chemische Veränderungen des keramischen Elektrolyten unterbunden, die die Funktion der Batterie beeinträchtigen.“ Erste Tests im Labor verliefen bereits sehr erfolgreich. Über 500 Lade- und Entladezyklen hinweg ließen sich kaum Performanceeinbußen feststellen.

„Das Besondere an der Zelle ist, dass sie trotz der moderat leitenden Polymere funktioniert; in mancher Hinsicht sogar besser als ohne“, konstatiert Professor Hans-Dieter Wiemhöfer vom Helmholtz-Institut Münster (HI MS), der das spezielle Polymer, das zu der Klasse der Polyphosphazene zählt, entwickelt hat. Wiemhöfer koordiniert das BMBF-Verbundprojekt MEET-HiEnD II, aus dem die neue Batterie hervorgegangen ist.

Die Polymerschicht wird bei der Herstellung flüssig aufgetragen. Sie dringt dabei tief in den porösen keramischen Elektrolyten ein. Das verbessert den Kontakt zwischen dem festen Elektrolyt und der festen Elektrode – bei Festkörperakkus ein häufiges Problem. Mit diesem Verfahren wird kein stabiles und entsprechend schweres Gehäuse benötigt, das die verschiedenen Komponenten mechanisch zusammenpresst und dadurch für eine gute Verbindung sorgt. Das spart ebenfalls Gewicht und trägt dazu bei, die Energiedichte zu erhöhen.

DOPPELTE ENERGIEDICHTE ABER LÄNGERE LADEZEIT

Als zusätzliche Barriere zwischen den einzelnen Komponenten wirken sich die Polymerschichten jedoch auch nachteilig auf die Performance der Batterie aus, insbesondere auf den Stromfluss. Im letzten Jahr hatten Jülicher Wissenschaftler eine gut funktionierende, schnellladefähige Festkörperbatterie vorgestellt, die innerhalb einer halben Stunde ge- und entladen werden kann. Mittels Lithium-Anode und Hybridelektrolyt ist es ihnen nun zwar gelungen, die theoretische Energiedichte zu verdoppeln. Die Ladezeit verlängerte sich dadurch jedoch auf zwei Stunden. Für Festkörperbatterien ist das immer noch ein guter Wert.

Auch andere Aspekte zeigen: Die Batterie ist noch in einem frühen Entwicklungsstadium und nur begrenzt reif für die Praxis. So muss die Zelle im Betrieb momentan auf einer Mindesttemperatur von 50 Grad Celsius gehalten werden, damit der hybride Elektrolyt für Ladungsträger durchlässig bleibt. „Für niedrigpreisige Anwendungen ist das Herstellungsverfahren bis jetzt auch noch zu aufwendig. Die funktionierende Zelle zeigt aber, dass es der Hybridelektrolyt ermöglicht, typische Probleme an den Grenzflächen von Festkörperbatterien zu umgehen“, erklärt Professor Rüdiger-A. Eichel, Institutsleiter am Forschungszentrum Jülich (IEK-9). Für Nischenanwendungen, bei denen Kosten eine nicht so große Rolle spielen, ist die inhärent sichere Batterie mit der hohen Energiedichte möglicherweise jetzt schon interessant. „Aber auch für kostenkritische Anwendungen wie die Elektromobilität birgt der Ansatz großes Potenzial.“

Die Arbeit entstand im BMBF-Verbundprojekt MEET-HiEnD II, in dem die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, das Forschungszentrum Jülich und die RWTH Aachen zusammenarbeiten. Die Originalpublikation wurde in der Ausgabe 8/2019 im Journal of Materials Chemistry Averöffentlicht.

Bild oben: Die Komponenten der Lithium-Festkörperbatterie mit Hybridelektrolyt noch im Laborstadium ©Forschungszentrum Jülich / T.Schlößer

Dieser Artikel erschien am 27.2.2019 in der Innovation Origins.

DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN

Europa setzt bei der Batterieproduktion auf Nachhaltigkeit

Eierschalen als Elektrode für Energiespeicher

Designprinzipien sollen Smartphoneakkus sicherer machen

CO2-AUFNAHME BEI JUNGEN WÄLDERN UM 25 PROZENT ERHÖHT

Ein internationales Forscherteam, darunter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), stellt unsere bisherigen Annahmen zur CO2-Aufnahme von Wäldern auf den Kopf: Nicht die Photosynthese allein ist für die Kohlenstoffsenken verantwortlich, sondern auch das Alter des Waldes.

Kohlenstoffsenken sind Ökosysteme, die große Mengen an Kohlenstoff binden und so die CO2-Ansammlung in der Atmosphäre – und damit den Klimawandel – verlangsamen.  So gilt der Wald diesbezüglich als ein bedeutender Filter für unsere Erde. Er reinigt die Luft von Staubpartikeln. Er produziert Sauerstoff. Er ist sozusagen unsere grüne Lunge.

KOHLENSTOFFSENKEN BEGRENZT

Bisher ging man davon aus, dass der hauptsächliche Prozess für die CO2-Aufnahme ein Verstärken der Photosynthese ist. Dieser begründet sich wiederum durch den Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Demnach sind die Senken dynamisch. Ihre Kapazität kann regional wachsen, aber auch schrumpfen. Dichte tropische Wälder in der Nähe des Äquators beispielsweise nehmen große Mengen COauf. Deshalb sprach man bis dato insbesondere dem Regenwald die elementare Aufgabe der Kohlenstoffdioxid-Reduktion zu.

Doch die Umweltforschenden fanden nun heraus, dass sich die weltweit größten Kohlenstoffsenken in jungen, nachwachsenden Wäldern befinden. Und zwar in Wäldern, die jünger als 140 Jahre sind.

„Diese Senken, die vom Waldwachstum abhängen, sind grundsätzlich begrenzt. Erreichen die Wälder ein bestimmtes Alter, sinkt ihre CO2-Aufnahme und die so wichtigen Kohlenstoffsenken verschwinden – außer es kommt zu einer weiteren Aufforstung“, so Professorin Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU), Campus Alpin des KIT. „Die Ergebnisse der Studie sind ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des Klimasystems und helfen uns gleichzeitig, fundierte Entscheidungen über die Forstwirtschaft zu treffen.“ Denn sie zeigen, wie viel CO2 nachwachsende Wälder in Zukunft binden könnten. „Allerdings ist die Menge an Kohlendioxid, die Wälder generell aus der Atmosphäre entfernen können, begrenzt. Deshalb müssen wir unsere Emissionen durch fossile Brennstoffe unbedingt reduzieren“, betont die Professorin.

ERGEBNIS BASIERT AUF VERGLEICH VON DATENSÄTZEN

Für seine bahnbrechenden Erkenntnisse analysierte ein internationales Forschungsteam, darunter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), eine Kombination aus Daten- und Computermodellen von globalen Wäldern neu. Mit dem Blick auf die Datensätze zum Alter der Wälder konnten die Experten nachvollziehen, wie viel CO2 etablierte Waldflächen, mit einem Alter von mindestens 140 Jahren, zwischen den Jahren 2001 bis 2010 aufnahmen. Der Vergleich mit jüngeren Wäldern ‒ die zum Beispiel auf vorherigen landwirtschaftlich genutzten oder abgeholzten Flächen nachwachsen ‒ zeigte: der Alterseffekt macht rund 25 Prozent der CO2-Aufnahme von Wäldern aus. Denn die Gebiete nehmen nicht nur aufgrund der erhöhten Photosynthese große Mengen CO2 aus der Atmosphäre auf, sondern vor allem aufgrund ihres jungen Bestehens. Dies trifft insbesondere auf die Wälder mittlerer und hoher Breiten zu. Dazu gehören beispielsweise Landflächen in den östlichen Bundesstaaten der USA, die Siedler bis Ende des 19. Jahrhunderts als Ackerland nutzten, oder Wälder in Kanada, Russland und Europa, die beispielsweise durch Waldbrände zerstört wurden. Aber auch große Aufforstungsprogramme in China leisten einen wichtigen Beitrag zu dieser Kohlenstoffsenke.

Finanziert wurde diese interessante Forschung von der Europäischen Kommission. Die Ergebnisse sind aktuell in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) nachzulesen.

Dieser Artikel erschien am 26.2.2019 in der Innovation Origins.

FORSCHUNGSPROJEKT: MARKTREIFE FÜR LASERBASIERTE OBERFLÄCHENBEARBEITUNG

Unter dem Namen LAMPAS (High throughput Laser structuring with Multiscale Periodic feature sizes for Advanced Surface Functionalities) forscht derzeit ein internationales Expertenteam der TU Dresden an laserbasierter Oberflächenbearbeitung. Das Ziel: Das vielversprechende, neue Verfahren soll zur Marktreife gebracht werden. Zudem wollen die Wissenschaftler der Fakultät Maschinenwesen einen Weltrekord in der Fertigungsgeschwindigkeit aufstellen. „Wir sind sicher, dass die Ergebnisse wegweisend für verschiedene Industrien sein werden und freuen uns daher sehr, dass wir europaweit die führenden Partner für das Forschungsvorhaben gewinnen konnten“, so Professor Andrés Fabian Lasagni, Koordinator des Forschungsprojektes und Inhaber der Professur für Laserbasierte Methoden der großflächigen Oberflächenstrukturierung. Mögliche Anwendungsbereiche sehen die Forschenden in der Medizintechnik, Automobilindustrie sowie Energieforschung.

VORBILD LOTOSEFFEKT

Lotoseffekt des Schmetterlingsflügels als Vorbild für die Forschungsarbeiten ©Pixabay

Inspiriert wurden die Wissenschaftler von der Natur. Der selbstreinigende Lotoseffekt, den man auch vom Schmetterlingsflügel her kennt, basiert auf einer mikro- beziehungsweise nanostrukturierten Oberfläche. Entsprechend möchten die Laserexperten durch großflächige, filigrane Gravuren per Laser die Funktionalisierung von unterschiedlichen Oberflächen erreichen und somit eine echte Alternative zu bisherigen Verbundwerkstoffen oder zur Beschichtung von Oberflächen schaffen. Industrielle Anwendungsfelder könnten beispielsweise die Erstellung von antibakteriellen oder leichtreinigenden Oberflächen oder auch eine Anti-Fingerprint-Beschichtung sein.

Das Forscherteam plant, in den nächsten drei Jahren ein laserinterferenzbasiertes Verfahren zu entwickeln, das kostengünstig großflächige Mikro- und Nanostrukturen auf verschiedene Oberflächen bringen kann. Die Herausforderung des Projekts besteht in der Größe der Mikrostrukturen. Sie sind kleiner als ein menschliches Haar. Damit das Verfahren auch für den breiten Markt nutzbar ist, gilt es gleichzeitig die Fertigungsgeschwindigkeit solcher Strukturen zu erhöhen. Dafür wird im Rahmen des Projektes eine neue Laserstrahlquelle entwickelt, die eine Ausgangsleistung von 1.5 Kilowatt besitzt und ultrakurze Laserpulse erzeugt.

EU FORSCHUNGSPROJEKT „HORIZON2020“

Das Forscherteam um den Laseringenieur Lasagni zählte beim EU-Forschungswettbewerb „Horizon2020“ in der Kategorie Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT-04-2018, Förderkennzeichen 825132) zu den besten Teilnehmern. Deshalb wird das Projekt im Rahmen des Horizon 2020-Programms mit mehr als 5,1 Mio. Euro von der Europäischen Union (EU) gefördert. In den nächsten drei Jahren forschen die Wissenschaftler der TU Dresden zusammen mit internationalen Partnern aus Industrie und Forschung, u.a. Bosch, Trumpf, Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH), Next Scan Technology, Near Infrared Technologies (NIT), Lasea und European Photonics Industry Consortium (EPIC) an dem Projekt.

Bild oben: Die Mikrostrukturen – hier ein Beispiel einer mit einem Laser bearbeiteten Metalloberfläche für selbstreinigende Oberflächen –  sind eine große Herausforderung. Der Abstand der einzelnen Strukturelemente (Abstand „Berg“ zu „Berg“) beträgt 10 Mikrometer. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von 50-80 Mikrometern ©TU Dresden

Dieser Artikel erschien am 25.2.2019 in der Innovation Origins.

FLÜSSIGES ERDGAS ALS ANTRIEB IM TRANSPORTVERKEHR

Diese Woche verkündete die EU-Kommission demnächst neue CO2-Vorgaben für den Transportverkehr einführen zu wollen. So soll zukünftig der durchschnittliche Kohlendioxid-Ausstoß neuer Fahrzeuge von 2030 an um 30 Prozent niedriger liegen, als derzeitig der Fall. Bis 2025 sollte der Wert um 15 Prozent sinken. Zudem möchte Brüssel Anreize für den Einsatz emissionsfreier oder zumindest emissionsarmer Fahrzeuge schaffen. Um das umsetzen zu können, hieße es für alle Beteiligten einiges in die Wege zu leiten. Welche Rolle zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen der alternative Kraftstoff LNG im Straßengüterverkehr und in der maritimen Schifffahrt spielen könnte, untersucht eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie der TU Hamburg (TU HH), die in dieser Woche veröffentlicht wurde. Sie könnte Anhaltspunkte für die Umsetzung der angepeilten Pläne bieten. Denn die Wissenschaftler erforschten das Potenzial von flüssigem Erdgas bzw. LNG (Liquefied Natural Gas) als zukünftigen Antrieb für Lkw‘s und Schiffe. Demnach können im Jahr 2040 im europäischen Straßengüterfernverkehr bis zu 4,7 Millionen Tonnen und im weltweiten Schiffsverkehr etwa 132 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen per Jahr eingespart werden. Zwar ist auch der Einsatz von Erdgas nicht unumstritten, doch ist der Blick in die Studie durchaus interessant.

PRO-LNG-SZENARIO

Die Forscher entwickelten für ihre Studie ein Pro-LNG-Szenario. Dieses zeigt auf, wie sich der Kraftstoff LNG bei Seeschiffen (weltweit) und schweren Lkw (innerhalb Europa) bis zum Jahr 2040 im Gütertransportmarkt etablieren könnte. Die berechneten Einsparungen von Treibhausgas-Emissionen beziehen sich dabei auf die gesamte Produktionskette (Well-to-Wheel oder WtW). So berechneten die DLR-Wissenschaftler vom Institut für Verkehrsforschung, dass bis 2040 etwa 17 Prozent der schweren Lkw im europäischen Fernverkehr mit LNG angetrieben werden könnten. Die Forscher nahmen unter anderem an, dass der spezifische Kraftstoffbedarf eines neuen LNG-Lkw im Jahr 2040 infolge von Technologieentwicklungen noch um mehr als 30 Prozent effizienter werden könnte. Um die Emissionen weiter zu senken, könnte zudem das Erdgas Biomethan oder Methan, das aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, beigemischt werden. Somit würden, wenn dem fossilen LNG zudem 30 Prozent erneuerbares LNG aus Biomasse oder Reststoffen beigemischt wird, im Szenariojahr 2040 insgesamt etwa 10 Millionen Tonnen Emissionen jährlich eingespart werden. „Neben den Anstrengungen zur Optimierung der Dieseltechnik müssen wir künftig auch einen Fokus auf die Nutzung von alternativen Antrieben und Kraftstoffen sowie erneuerbaren Energien legen. Nur so kann der Straßengüterverkehr dazu beitragen, Treibhausgas-Emissionen einzusparen“, so DLR-Projektleiter Andreas Lischke.

TECHNOLOGIEENTWICKLUNG ABGESCHLOSSEN

Lischke ergänzt: „Die Vorteile von LNG sind, dass die erforderliche Technologieentwicklung bereits abgeschlossen ist, heute schon Serien-Lkw angeboten werden und die notwendige LNG-Infrastruktur aufgebaut werden kann.“ Im Gegensatz zu Technologien wie Brennstoffzellen oder Elektromobilität könnten demnach Erfolge mit dem Einsatz von LNG im Straßengüterfernverkehr schneller und kostengünstiger erzielt werden. Einen weiteren Vorteil, so heißt es in einer Pressemitteilung, böten die leiseren Motoren. So ist es beispielsweise in den Niederlanden schon erlaubt, dass Lkw mit LNG-Antrieb auch nachts in bewohnten Gebieten Lieferfahrten durchführen dürfen.

INFRASTRUKTUR MUSS AUFGEBAUT WERDEN

„Obwohl bereits drei europäische Fahrzeughersteller LNG-Lkw anbieten und obwohl der Tankstellen-Bestand in einigen EU-Mitgliedsländern wächst, bedarf es weiterer Anstrengungen seitens Industrie und Politik, um die Verfügbarkeit von LNG so zu gestalten, dass es eine attraktive, flächendeckende Alternative für die Nutzer wird“, erläutert Lischke den aktuellen Stand. Derzeitige Spitzenreiter sind Spanien mit 37 LNG-Tankstellen, Italien mit 31 und Frankreich mit 27. In Deutschland bieten lediglich drei öffentliche Tankstellen flüssiges Erdgas an. Die EU-Rahmenrichtlinie gibt den Aufbau der Kraftstoffinfrastruktur für alternative Kraftstoffe bis 2025 vor. Zwei Initiativen haben den Aufbau von LNG-Tankstellen in Deutschland angekündigt.

LNG ALS KRAFTSTOFF FÜR SCHIFFE

Für die Schifffahrt zeigen die Ergebnisse der Studie den Einsatz von LNG-Motoren als eine zeitnahe Alternative zum Diesel-Motor auf. Das International Transport Forum (ITF)  ermittelte, dass die Schifffahrt im Jahre 2015 etwa 71 Prozent der globalen Güterverkehrsleistung erbrachte. Diese Transportleistung soll sich bis zum Jahr 2050 noch verdreifachen. Aufgrund ständig steigender Auflagen für die Luftschadstoffemissionen rücken deshalb alternative Kraftstoffe für Schiffe zunehmend in den Fokus.

Derzeit müssen die Abgase von Diesel-Motoren bei Schiffen nur in wenigen Meeresgebieten Schadstoffgrenzwerte erfüllen. So unterliegen auch deren Treibhausgas-Emissionen keiner Regulierung. Doch es wird an Veränderungen durch weitere Regulierungen gearbeitet. LNG als Schiffskraftstoff setzt bei der Verbrennung deutlich weniger Luftschadstoffe wie Stickstoffoxide und kaum Feinstaub-Partikel, aber auch weniger Treibhausgas-Emissionen frei. LNG kann sich im Schiffsverkehr unter entsprechenden Rahmenbedingungen vor allem bei Containerschiffen, Kreuzfahrtschiffen und Fähren sowie bei Tankern durchsetzen. Bis Ende des Jahres 2018 verkehrten weltweit 125 mit LNG angetriebene Seeschiffe sowie 230 große LNG-Transportschiffe. Bis Mitte der 2020er Jahre erwarten die Forscher einen LNG-Schiffsbestand von etwa 400 Schiffen. Im Szenariojahr 2040 halten sie etwa 6000 Schiffe für möglich.

HINTERGRUND

Über ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen der EU im Verkehr werden durch schwere Lkw verursacht. Diese Bilanz konnte in den vergangenen Jahren kaum gesenkt werden. Die Schifffahrt verursacht aktuell etwa drei Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Auch sie muss umweltverträglicher werden, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Dieselmotoren sind immer noch der Standardantrieb für Schiffe und Lkw. Als potenziell umweltfreundlichere Kraftstoffalternative gilt verflüssigtes Erdgas. In Zukunft könnte durch LNG im Schiffsverkehr sowie Straßengüterfernverkehr gesamt jährlich bis zu 136,7 Millionen Tonnen direkter Treibhausgas-Emissionen eingespart werden. Dies zeigen die Ergebnisse einer Studie zum Einsatz von LNG im Fernverkehr bei Lkw und Schiffen. Die Studie wurde im Auftrag von Shell in Zusammenarbeit mit dem DLR sowie der TU HH durchgeführt und gerade veröffentlicht. Die vollständige Studie ist hiernachzulesen.

Bild oben: Über ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen der EU im Verkehr werden durch schwere Lkw verursacht © Pixabay

Dieser Artikel erschien am 24.2.2019 in der Innovation Origins.

FORSCHUNG: 3D-TECHNOLOGIEN ZUM DRUCK VON NANO- BIS MAKROSTRUKTUREN

m Exzellenzcluster „3D Matter Made to Order” (3DMM2O) wollen Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Heidelberg der additiven Fertigung völlig neue Impulse geben: Ziel ist die Entwicklung von 3D-Technologien, die einen flexiblen, digitalen Druck ermöglichen. Zudem sollen mit neuartigen Tischgeräten das Erstellen von Strukturen von der molekularen bis hin zur makroskopischen Ebene umgesetzt werden. Denn mit additiven Verfahren ist inzwischen fast jede beliebige Struktur umsetzbar. Diese könnten zum Beispiel im Nanobereich ‒ je nach verwendeter „Tinte“ ‒, unterschiedlichste Funktionen erfüllen. Beispiele wären hier hybride, optische Chips oder auch Biogerüste für Zellgewebe.

„Der 3D-Druck bietet gerade im Mikro- und Nanobereich enorme Möglichkeiten. Die Herausforderungen, um diese zu erschließen, sind jedoch ebenso gewaltig“, so Martin Wegener, Professor am Institut für Angewandte Physik und Direktor am Institut für Nanotechnologie des KIT sowie Sprecher des Exzellenzclusters 3DMM2O. Gefragt sind vor allem Technologien und Verfahren, die auf der Basis digitaler Konstruktionsdaten bereits kleinste Strukturen schnell und qualitativ hochwertig umsetzen können. „Hier setzen wir mit unserem Cluster an. Wir wollen die 3D-Fertigung und Materialverarbeitung vom Molekül bis zur Makrostruktur vollständig digitalisieren und neue Fertigungstechnologien für konkrete Anwendungsfelder entwickeln.“

„Ohne neuartige Tinten und Photolacke aus der Chemie heraus wird dies nicht gehen. Anwendungen in der Biologie erfordern beispielsweise Materialien, die gleichsam auf Knopfdruck wieder abbaubar sind unter physiologischen Bedingungen, wie auch elektrisch leitfähige Materialien, die in 3D mit Nanometerpräzision verdruckbar sind“, ergänzt Uwe Bunz, Professor für Organische Chemie an der Universität Heidelberg, Mitglied des dortigen Centre for Advanced Materials CAM und ebenfalls Sprecher von 3DMM2O.

ZUSAMMENARBEIT VON DREI FORSCHUNGSBEREICHEN

Die additiven Prozesse und Technologien, die Anwendungen in den Bereichen Material- und Lebenswissenschaften ermöglichen, sollen zukünftig feiner, schneller und vielfältiger sein. Um dies zu erreichen setzen die Forschenden aus Natur- und Ingenieurwissenschaften in drei ineinandergreifenden Forschungsfeldern an. So entstehen im Feld „Technologien“ neuartige Werkzeuge. Diese sollen Strukturen bis zu zehn Nanometer fertigen. Auch wird mit ihnen ein schnellerer, präziserer Druck mit unterschiedlichen Tinten und Photolacken angepeilt. Diese wiederum werden von den Wissenschaftlern aus dem Bereich „Molekulare Materialien” entwickelt. Die so maßgeschneiderten, künstlichen Materialien sollen ein breites Spektrum an Eigenschaften aufweisen und sich kombinieren lassen. Das Forschungsfeld „Applikationen“ bringt die Forschung schließlich in die Anwendung. Hier liegt der Fokus auf den Bereichen Optik und Photonik, Material- sowie Lebenswissenschaften. So können beispielsweise die gedruckten 3D-Strukturen die Leistung optischer Chips für die Informationsverarbeitung verbessern oder in künstlichen Retinae zum Einsatz kommen.

„Unser Ansatz besteht darin, digitale Informationen in maßgeschneiderte, funktionale Materialien, Geräte und Systeme zu übersetzen“, so Wegener. Langfristiges Ziel von 3DMM2O ist es, eine Art Tischgerät zu bauen, das keine besonderen räumlichen Voraussetzungen, wie etwa eine große Produktionshalle, Vakuum oder bestimmte Temperaturen, erfordert. „Wir wollen bisher unzugängliche wissenschaftliche Anwendungen quasi für zu Hause erschließen und den 3D-Druck auf Knopfdruck ermöglichen“, erklärt Wegener.

HINTERGRUND

3DMM2O konnte sich 2018 in der Förderlinie „Exzellenzcluster“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) durchsetzen. Insgesamt stehen für diese Förderlinie jährlich rund 385 Millionen Euro zur Verfügung. Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert das Cluster zusätzlich über sechs Jahre hinweg mit acht Millionen Euro. Diese Mittel fließen in ein Doktoranden-Stipendienprogramm, eine neue Professur am CAM, ein neues Nutzerlabor am KIT und in eine begleitende „Vision Assessment“-Studie, welche die gesellschaftlichen und ethischen Implikationen der Visionen von 3DMM2O erforschen soll.

HEIKA GRADUIERTENSCHULE „FUNCTIONAL MATERIALS“

Ein zentrales Strukturelement des Clusters ist die HEiKA (Heidelberg Karlsruhe Strategic Partnership) Graduiertenschule mit dem Forschungsbereich „Functional Materials“. Diese umfasst alle gemeinsamen bilateralen Aktivitäten des KIT und der Universität Heidelberg. Die Graduiertenschule bindet Masterstudierende, Doktorandinnen und Doktoranden in das stark interdisziplinäre Forschungsgebiet ein. Hierbei spielt ein breites Modulprogramm eine wichtige Rolle. Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert jährlich bis zu vier Masterstudierende, die eine Promotion im Forschungsumfeld von 3DMM2O anstreben. Zusätzlich unterstützt die Stiftung bis zu 20 Doktorandinnen und Doktoranden bei ihrer Dissertation in den Themenbereichen des Clusters.

MATERIALMIX UND BEWEGLICHE MIKROSTRUKTUREN

Die Forschenden des KIT und der Carl Zeiss AG entwickelten gemeinsam ein System, mit dem sie mehrfarbig fluoreszierende Sicherheitsmerkmale dreidimensional additiv herstellen können. Damit lassen sich beispielsweise Geldscheine, Pässe und Markenprodukte vor Fälschung schützen. Grundlage ist die 3D-Laserlithografie, bei der ein Laserstrahl computergesteuert einen flüssigen Fotolack durchfährt und das Material nur am Fokuspunkt des Laserstrahls aushärtet. Die Wissenschaftler bauten dafür eine selbst entwickelte, mikrofluidische Kammer in das Lithografiegerät. Mit dieser können sie nun verschiedenste Materialien verdrucken. So setzt ein einziges Gerät dreidimensionale Mikro- und Nanostrukturen aus mehreren Materialien in einem Prozessschritt um.

Das direkte Laserschreiben ermöglicht bereits jetzt routinemäßig präzise Strukturen auf der Mikroskala. Für Anwendungen in der Biomedizin wäre es jedoch vorteilhaft, wenn die gedruckten Objekte nicht starr sind, sondern bewegliche Systeme wären, die nach dem 3D-Druck schaltbar sind. Forschende des KIT konnten nun dreidimensionale Strukturen aus Hydrogelen erstellen, die durch den Einfluss von Temperatur oder Licht ihre Form stark verändern. Diese sind in wässriger Umgebung funktionsfähig und damit ideal für Anwendungen in Biologie und Biomedizin.

Bild oben: Der 3D-Druck ermöglicht viele große und sehr kleine Anwendungen: Mit spezieller Tinte können etwa Biogerüste für Zellgewebe entstehen ©Martin Bastmeyer, KIT

Dieser Artikel erschien am 22.2.2019 in der Innovation Origins.

DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN:

Erfolgreicher Test von Raketentriebwerk aus 3D-Druck

BLUTTEST ZUR DIAGNOSE VON BRUSTKREBS

Brustkrebs gehört in Deutschland zu den häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen. Ungefähr 70.000 sind im Jahr 2018 neu erkrankt. Das sind etwa 30 Prozent der Krebsneuerkrankungen insgesamt. Doch bei einer frühzeitigen Erkennung besteht mit 95 Prozent eine sehr hohe Heilungschance. Zur Früherkennung wurden bis jetzt das Mammographie-Screening, MRT, die Tast- und Selbstuntersuchung der Brust sowie Ultraschall eingesetzt. Forscher des Universitäts-Frauenklinikums Heidelberg stellten heute ein neues Verfahren in der Brustkrebsdiagnostik vor: Mit Hilfe eines Bluttests soll diese deutlich verbessert werden.

„Der von unserem Forscherteam entwickelte Bluttest ist eine neue, revolutionäre Möglichkeit, eine Krebserkrankung in der Brust nicht-invasiv und schnell anhand von Biomarkern im Blut zu erkennen“, so Prof. Dr. Christof Sohn, Geschäftsführender Ärztlicher Direktor der Heidelberger Uni-Klinik.

Prof. Dr. Sarah Schott, Sektionsleiterin Translationale Frauenheilkunde und Leiterin für Familiäre Krebserkrankungen der Klinik, verantwortete das Projekt gemeinsam mit Prof. Dr. Sohn. Sie ergänzt: „Das neue blutbasierte Verfahren ist deutlich weniger belastend für Frauen, weil es weder schmerzhaft ist noch mit einer Strahlenbelastung einhergeht.“

LIQUID BIOPSY

Denn auf Basis der sogenannten „Liquid Biopsy“ ist es nun möglich, die Erkrankung anhand von Biomarkern zu diagnostizieren. So können Informationen über eine Erkrankung aus Körperflüssigkeiten wie beispielsweise Blut, Urin oder Speichel gewonnen werden. Hierfür werden Botenstoffe von Tumorzellen in der Flüssigkeitsprobe untersucht. Für den aktuellen Test sind nur wenige Milliliter Blut notwendig. In diesem können von an Brustkrebs erkrankten Frauen 15 verschiedene Biomarker (miRNA und Methylierungsmarker) identifiziert werden. Mit deren Hilfe sind wiederum auch kleine Tumore nachweisbar. Die Durchführung des Tests ist in jedem Labor möglich. Er erweitert das Diagnosespektrum der bislang durchgeführten, optischen Verfahren.

Durchführbar ist der Test bei Frauen aller Altersgruppen. Doch besonders profitieren jüngere Frauen unter 50 Jahren davon. Aber auch für Frauen mit familiärer Hochrisikosituation für eine Brustkrebserkrankung, bei denen eine Mammografie beispielsweise aufgrund des dichten Brustdrüsengewebes wenig Aussage liefert oder aufgrund anderer Risikofaktoren herkömmliche bildgebende Verfahren kontraindiziert sind, ist er eine gute Alternative. Hier konnte eine Sensitivität von 80 bis 90 Prozent erreicht werden. Die Sensitivität gibt an, zu welchem Prozentsatz erkrankte Patientinnen durch den Test tatsächlich erkannt werden.

DIAGNOSE VON WEITEREN KREBSARTEN WIRD ERFORSCHT

Das Universitätsklinikum Heidelberg gilt als eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland. Insbesondere ist es auch für seine Krebsforschung und -therapie bekannt. Schon seit Jahren wird am Klinikum im Bereich Liquid Biopsy geforscht. Im Jahr 2016 meldeten die Wissenschaftler das dem Test zugrunde liegende Verfahren als Patent an. So wurden erste Fördermittel gewonnen. Seitdem arbeiteten die Forscher daran das Verfahren zu verfestigen und weiterzuentwickeln sowie die Genauigkeit in diversen Untersuchungen zu bestätigen.

Untersucht wurde in den letzten 12 Monaten eine Kohorte von über 900 Frauen mit über 500 Brustkrebspatientinnen und 400 gesunden Frauen. Die Studie ist auf eine Teilnehmerzahl von 2.000 ausgelegt und wird als Multizenterstudie fortgeführt. Aktuelle Ergebnisse zeigen bei den 500 Brustkrebspatientinnen insgesamt eine Sensitivität von 75 Prozent. Wobei hier altersabhängige Unterschiede festgestellt wurden: bei den unter 50‑jährigen zeigte sich eine Sensitivität von 86 Prozent bzw. bei den über 50-jährigen von 60 Prozent.

Ziel der fortlaufenden Studie ist es, die Aussagekraft, Sensitivität und Einsatzmöglichkeit durch zukünftige Analysen weiter zu spezifizieren und zu verbessern. Auch wird der Einsatz bei weiteren Krebsarten, so z. B. Eierstockkrebs, erforscht. Die derzeitigen Zwischenergebnisse erreichen eine Sensitivität von bis zu 80 Prozent bei den rund 200 untersuchten Patientinnen.

PERSONALISIERTE CHEMOTHERAPIE MÖGLICH

Neben der Erkennung einer Krebserkrankung kann der Bluttest zur Analyse weiterer Daten dienen. So soll zukünftig anhand von Biomarkern auch eine Metastasenbildung oder ein Rezidiv frühzeitiger erkannt werden. Auch soll der Test bei der Langzeitüberwachung eingesetzt werden. Daneben dienen die gewonnenen Informationen auch der Therapie: Die Biomarker können Auskunft darüber geben, ob eine Behandlung anspricht oder eine Therapieresistenz eintritt. Die ersten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das individuelle Ansprechen auf eine Chemotherapie über Liquid Biopsy überwacht werden kann und so eine langfristig personalisiertere Chemotherapiebehandlung möglich wird.

Um die notwendigen Zertifizierungen voranzutreiben und die Marktreife sicherzustellen, gründeten die Wissenschaftler nun eine Gesellschaft mit dem Namen HeiScreen GmbH. Die Gesellschaft soll die Markteinführung des Verfahrens voranbringen und Vertriebskanäle entwickeln. Die CE-Zertifizierung hat bereits begonnen, um den Bluttest noch in diesem Jahr in die klinische Anwendung zu bringen.

Bild oben: Prof. Dr. Sarah Schott und Prof. Dr. Christof Sohn von der Universitäts-Frauenklinik ©Universitätsklinikum Heidelberg

Dieser Artikel erschien am 21.2.2019 in der Innovation Origins.

ERFOLGREICHER TEST VON RAKETENTRIEBWERK AUS 3D-DRUCK

Diese Woche erreichte die Europäische Weltraumorganisation ESA in punkto Raketentriebwerk einen wichtigen Meilenstein. Denn am Prüfstand P8 in Lampoldshausen absolvierte das BERTA-Triebwerk am 18.2.2018 erfolgreich seinen ersten Testlauf. BERTA (Biergoler Raumtransportantrieb) wurde ganze 560 Sekunden mit einem auf 2,45 Kilonewton ausgelegten Referenzschub getestet. Die Besonderheit: Der Raketenmotor wurde Ende 2018 vollständig im 3D-Druckverfahren gefertigt.

WETTBEWERBSFÄHIGKEIT EUROPÄISCHER TRÄGERSYSTEME

Der 3D-Druck ‒ auch additive Fertigung genannt ‒ liefert für den Triebwerksbau verschiedene Vorteile. So lassen sich die Produktionszeiten signifikant verringern. Derzeit werden zum Beispiel Brennkammern in Europa zuerst gegossen und geschmiedet. Dann werden Kühlkanäle ausgefräst, die schließlich mittels galvanischer Prozesse abgedeckt werden. Übliche Lieferzeiten betragen bis zu eineinhalb Jahre.

Mittels additiver Fertigung dagegen können vollständige Triebwerke innerhalb weniger Wochen geliefert werden. Bei BERTA wurde sowohl der Einspritzkopf ‒ er besteht aus einer korrosionsbeständigen Nickelbasislegierung ‒, sowie auch die Brennkammer aus Edelstahl durch selektives Laserschmelzen hergestellt. Durch den Einsatz eines Lasers wurde das finale Bauteil schichtweise durch Aufschmelzen des Werkstoffes in Pulverform auf einer Grundplatte aufgebracht. Im 3D-Druck-Verfahren sind komplexere Strukturen möglich, die sich in konventionellen Verfahren nicht herstellen lassen. So enthält BERTA ein komplexes Design für die Kühlkanäle, welches ein verbessertes Kühlverhalten der Brennkammer sicherstellen soll. Durch die optimierte Kühlung können Brennkammern zukünftig kompakter gebaut werden. Das spart Material ein. „Die additive Fertigung eröffnet Europa neue Wege, Triebwerke zu fertigen“, so Lysan Pfützenreuter, Projektleiterin beim DLR Raumfahrtmanagement. „Mit dem erfolgreichen Nachweis der Technologie wird ein wichtiger Schritt in Richtung einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit europäischer Trägersysteme gegangen.“ Somit kommt die Europäische Weltraumorganisation ESA dem Bau von neuen, wirtschaftlicheren Raketen deutlich näher.

P8 IN LAMPOLDSHAUSEN

Prüfstand P8 in Lampoldshausen ©DLR

Der P8 ist ein Forschungs- und Entwicklungsprüfstand beim DLR (Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt) in Lampoldshausen, der gemeinschaftlich vom DLR, der französischen Raumfahrtagentur CNES und dem industriellen Partner ArianeGroup genutzt wird. Die Verantwortung für den Betrieb und die Durchführung der Tests liegt bei dem Prüfstandteam des DLR. „Der Prüfstand P8 bietet umfangreiche Möglichkeiten, Demonstratoren von Komponenten über Baugruppen bis hin zu kleinen Triebwerken zu testen. Ziele der aktuellen Tests sind, das Strömungsverhalten und den Wärmeübergang bei gedruckten Oberflächen zu untersuchen. Diese neue Technologie kann derzeit europaweit nur am Prüfstand 8 in Lampoldshausen getestet werden“, erläutert Gerd Brümmer, DLR-Ingenieur und Leiter des Prüfstands P8.

MISSIONEN ÜBER ERDORBIT HINAUS

BERTA ist für den Betrieb mit lagerfähigen Treibstoffen ausgelegt. Das bedeutet, dass die Treibstoffe bei Raumtemperatur gelagert werden können. Triebwerke dieser Art sind sehr zuverlässig und können mehrfach gezündet werden. Sie eignen sich somit für längere Missionen. Damit kann dieses Triebwerk nicht nur für den erdnahen Bereich auf kleinen bis mittleren Raketen eingesetzt werden, sondern auch für Missionen über den Erdorbit hinaus. Übliche lagerfähige Treibstoffe sind jedoch hochgiftig. Für die Testläufe im Prüfstand werden daher kryogene Treibstoffe verwendet.

Entwickelt wurde das Triebwerk im Rahmen der Forschungen für zukünftige europäische Trägersysteme (Future Launcher Preparatory Programme/FLPP) der ESA. Deutschland ist seit Jahren größter Beitragszahler im FLPP-Kernprogramm. Das DLR Raumfahrtmanagement steuert die Verwendung der Mittel innerhalb von FLPP und berät die ESA bei der Durchführung einzelner Projekte.

Die Testkampagne wird noch vier Wochen andauern und die Ergebnisse werden auch in weitere Entwicklungsvorhaben der ESA einfließen. So sollen 3D-Druckverfahren für Weiterentwicklungen der Ariane-6-Triebwerke Vinci und Vulcain eingesetzt werden.

Bild oben: BERTA-Triebwerk bei der Integration ©DLR

Dieser Artikel erschien am 20.2.2019 in der Innovation Origins.

EIERSCHALEN ALS ELEKTRODE FÜR ENERGIESPEICHER

Knapp 20 Milliarden Eier werden in Deutschland pro Jahr verbraucht. Und selbstverständlich möchte jeder das Gelbe vom Ei. Dabei bieten auch die Eierschalen ein durchaus interessantes Potenzial: Sie eignen sich als effektives, nachhaltiges Speichermaterial und somit zum Bau eines kostengünstigen sowie gleichzeitig guten Lithium-Ionen-Kondensators. Die Überlegung, Bioabfall sinnvoll weiterzuverwerten, ist ein spannendes Thema. Dazu Professor Maximilian Fichtner vom Helmholtz-Institut Ulm (HIU): „Es gibt überraschenderweise immer wieder neue Beispiele, in denen Naturstoffe gute bis sehr gute Voraussetzungen mitbringen, um daraus Materialien für elektrochemische Speicher herzustellen.“

ELEKTROCHEMISCHE EIGENSCHAFTEN

So bestehen Hühnereierschalen aus einem Verbundwerkstoff mit Calciumcarbonat (CaCO3) und einer proteinreichen Fasermembran. Sie bieten – dank des hohen Anteils an CaCO3 –, somit hervorragende elektrochemische Eigenschaften, mit denen sie Lithium gut speichern können. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Team, zu dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des HIU gehören. Die Forschenden verwendeten Eierschalenpulver als Elektrode gegen eine metallische Lithium-Anode in einem nichtwässrigen Elektrolyten. Bei über 1000 Lade- und Entladezyklen hielt die Testzelle eine Kapazität von 92 Prozent aufrecht.

HIU
Forschende charakterisieren die Morphologie des Eierschalenmaterials mithilfe eines Rasterelektronenmikroskops @Daniel Messling, HIU/KI

Für ihre Untersuchungen verwendeten die Forschenden sowohl die verkalkte Schale als auch die innere und äußere Schalenmembran. Hierfür wuschen, trockneten und zerkleinerten sie die Schalen zu einem Pulver und erhielten das leitfähige Material. Um die Leistungsfähigkeit des Materials zu verbessern und einen breiten Einsatz zu ermöglichen, sind nun weitere Forschungen und ein detailliertes Verständnis des elektrochemischen und physikalischen Verhaltens des Materials erforderlich, heißt es aus dem Forschungsteam.

KOSTENGÜNSTIG UND GUT

Bislang kommen Eierschalenabfälle in einer Reihe von Anwendungen zum Einsatz. Sie werden in der Biokeramik, in Kosmetika oder in der Farbstoffindustrie genutzt. Auch fungierte die proteinreiche, faserige Eierschalenmembran schon als Separator in Superkondensatoren. Nun wurden die Eierschalen weltweit erstmals als Elektrode verwendet. Neben den oben genannten Einsatzbereichen könnten sie also zukünftig als nachhaltiges Speichermaterial eingesetzt werden. Die Ergebnisse stellte die Forscher-Gruppe kürzlich in der Zeitschrift Dalton Transactions der Royal Society of Chemistry vor (DOI: 10.1039/c8dt03252a) vor.

HINTERGRUND

Als Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 25100 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Bild oben: Eierschalen bestehen aus porösem Calciumcarbonat, das sich sehr gut für elektrochemische Speicher eignet @Manuel Balzer, KIT

Dieser Artikel erschien am 19.2.2019 in der Innovation Origins.

DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN

Designprinzipien sollen Smartphone-Akkus sicherer machen

Festoxid-Brennstoffzelle liefert erstmals 100.000 Stunden Strom

STATE OF THE ART IN DER AUSBILDUNG 4.0

Probieren geht über Studieren – das war eigentlich schon immer die Devise, wenn etwas erfolgreich umgesetzt werden soll. Heutzutage ist dies durch die Ausbildung 4.0 mit Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Künstlicher Intelligenz (KI) bei misslungenem Versuch ganz ohne gravierende Folgen in der Berufswelt möglich. Genau das machen sich immer mehr Arbeitgeber in der Aus- sowie in der Fortbildung von Mitarbeitern zunutze. Grund genug auch für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) schon im Sommer 2016 die Initiative Berufsbildung 4.0 zu starten. In Kooperation mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zielt sie darauf ab, neue Maßnahmen für eine zukunftsrelevante, attraktive und wettbewerbsfähige Berufsausbildung zu gestalten. Entsprechend sind mittlerweile einige Projekte in Kooperation mit Universitäten, Instituten und IT-Unternehmen entstanden.

BEWERBUNG

Vor der Ausbildung kommt die Bewerbung. Dank des Forschungsprojektes Empat können sich Jugendliche gezielt auf die Interaktion während des Bewerbungsgesprächs vorbereiten. Denn mit Hilfe von Avataren in Form eines virtuellen, empathischen Trainingssystems wird die Bewerbungssituation geübt und das eigene Verhalten trainiert. Dabei wird – um das Verhalten des interaktiven Avatars an die sozio-emotionale Situation des Nutzers anzupassen –, eine Echtzeit-Analyse sozialer Signale mit einem emotionalen Echtzeit-Benutzermodell gekoppelt. Noch ist für die Forscher der Uni Augsburg (Fachbereich Informatik), der Universität des Saarlandes (Psychologie) sowie Unternehmen aus dem Bereich der 3D-Grafik die realitätsnahe Gestaltung des emotionalen Feedbacks durch den Avatar die größte Herausforderung.

Hochentwickelte Hardwaresensoren erfassen soziale Kommunikationssignale wie Blick-, Augen, Hand- und Körperbewegungen und simulieren emotional-soziale Interaktionsmuster. Die Ergebnisse werden zudem dazu genutzt, mögliche emotionale Zustände eines Benutzers zu berechnen. Begleitet wird das Projekt von einem Ethikbeirat aus den Fachgebieten Coaching, Jugendarbeit, Jura und Pädagogik.

Natürlich sind berufliche Gespräche auch für andere Situationen trainierbar. So werden VR-Brillen zum Beispiel für die Bankberater-Ausbildung eingesetzt. Nach Deutschland wird hier nun auch die Volksbank-Akademie in Österreich aktiv. 2018 startete dazu ein Forschungsprojekt, das im ersten Halbjahr 2019 ausgebaut wird. An die 80 angehende Kundenberater erhalten Übungseinheiten mit einer Virtual-Reality-Brille.

VIRTUELLE NOTFÄLLE

Schon im Jahre 2017 ist das Forschungsprojekt „Epicsave“ gestartet. Hier werden durch den Einsatz von VR verschiedene Szenarien in der Rettungssanitäter-Ausbildung getestet. Ziel dabei ist, „…lebensbedrohliche ‒ aber für eine hinreichende Ausbildung zu selten auftretende Notfälle, wie den allergischen Schock bei Kindern ‒, praktisch trainierbar zu machen“, heißt es auf der Webseite der Initiatoren. Zum Einsatz kommen neben der VR auch weitere digitale Tools aus den Bereichen Gaming, Eye-tracking, Virtual Agents und 3D-Interaktion. Das Projekt wird von Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen betreut. So untersteht die Projektleitung und medientechnische Begleitforschung zu erfahrungsbasierten Serious Games und Virtueller Realität der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Für die mediendidaktische Konzeption und Evaluation der Lernmodule ist das Fraunhofer IESE verantwortlich. Und die Technische Umsetzung der Serious Games sowie der VR-Umgebung stammt von Tricat. Das Ulmer Unternehmen gilt weltweit als Vorreiter in Bezug auf virtuelle 3D Lern- und Arbeitswelten. Implementiert werden die Simulationstrainings in der freien Wohlfahrtspflege (Malteser Hilfsdienst) sowie der Akademie für Notfallmedizin. Langfristig kann Epicsave auch auf die Auszubildenden in Gesundheitsfachberufen sowie auf die fortbildungsverpflichtete Ärzteschaft übertragen werden. Zudem ist in einem dritten Schritt der Aufbau eines Bildungsportals zu gesundheitlichen Notfällen für die breite Öffentlichkeit angedacht.

Einen ähnlichen Ansatz hat auch die virtuelle Feuerwehr-Ausbildung im Landkreis Cham, die nun auch deutschlandweit eingesetzt wird. Gemeinsam mit der Universität Kassel wurde ein System entwickelt, durch das Einsatzkräfte per 3D-Brille in virtuelle Einsatzsituationen versetzt werden. Der große Vorteil: Ausbilder können das Verhalten beobachten, analysieren und auch gleich korrigieren.

ZUKUNFTSWERKSTATT

Mit Social Virtual Reality wird die reale Welt um eine digitale erweitert. In der App hinterlegt sind die Konstruktionsdaten einer Heidelberg-Maschine der Modellreihe SX 74, die in den Lehrwerkstätten der Schulen am häufigsten vertreten ist ©Heidelberger Druckmaschinen

Mit Social Virtual Reality wird die reale Welt um eine digitale erweitert. In der App hinterlegt sind die Konstruktionsdaten einer Heidelberg-Maschine der Modellreihe SX 74, die in den Lehrwerkstätten der Schulen am häufigsten vertreten ist ©Heidelberger Druckmaschinen

Mit dem Ziel in Bezug auf dynamische Veränderungen nachhaltig handlungsfähige Mitarbeiter zu entwickeln und gleichzeitig eine eher traditionelle Branche für Digital Natives interessant zu gestalten entstand die Zukunftswerkstatt der Heidelberger Druckmaschinen AG. In dieser lernen Auszubildende von Beginn an die Digitalisierungsstrategie des Unternehmens kennen. Die Mechatroniker-Azubis können zum Beispiel per Virtual Reality (VR) das Innenleben einer Druckmaschine näher betrachten. Und lernen dabei virtuell Montage-, Wartungs- und Reparaturarbeiten zu simulieren. „Hier haben wir ein Beispiel für einen gelungenen Transfer von einem Förderprojekt in eine Anwendung für ein Industrieunternehmen“, beschreibt Dr. Lutz Goertz, E-Learning Forscher und Leiter der Bildungsforschung beim mmb Institut. Denn die begehbare Druckmaschine wurde zuvor im BMBF-Projekt „Social Virtual Learning“ entwickelt und erprobt.

DIGITALE ASSISTENZ

Auch das BMW-Werk in Landshut setzt mittlerweile auf digitale Assistenzsysteme in der Ausbildung. Eine VR-Brille trainiert die Azubis insbesondere im Bereich der Fertigung. So lernen sie zum Beispiel zunächst virtuell das Lackieren eines Bauteils mit der Lackierpistole oder das Bohren eines Werkstücks. Laut BMW kommt die Gaming-affine Lernatmosphäre nicht nur bei den jüngeren Mitarbeitern gut an. Die VR-Brille gibt übrigens erstens ein reales Abbild des Arbeitsplatzes wieder, und sie leitet zudem zur richtigen Ausführung an. Am Ende des Trainings wird das Ergebnis ausgewertet. So dass gleichzeitig auch Verbesserungspotenziale aufgezeigt werden. Schon seit 2012 kommt in dem Dingolfinger Werk des bayerischen Autobauers die MRK-Technologie (‚Mensch-Roboter-Kollaboration‘) in der Ausbildung zum Einsatz. Hier sammeln angehende Elektroniker, Mechatroniker und Fachinformatiker erste Erfahrungen im Programmieren von MRK-Robotern für die Fertigung. Die Roboter sind flexibel einsetzbar. Sie bewegen sich direkt neben den Menschen und übernehmen häufig monotone Arbeitsschritte, die hohe Zuverlässigkeit oder gleichbleibende Kraft und Ausdauer benötigen.

FLUGSCHÜLER IN VIRTUELLER WELT

Seit 2017 wird bei der European Flight Academy das Lufthansa Aviation Training (LAT) eingesetzt. Nun wurde das Trainingsmodul „Visual Flight Rules (VFR)“ als bestes eLearning-Tool 2019 in der Kategorie Virtual Reality gekrönt. Die Anwendung ermöglicht Flugschülern, die Luftraumstruktur und das Erkennen von Landmarken aus der Luft vor ihrem ersten Überlandflug in einer VR-Umgebung interaktiv zu erleben. Nach virtuellem Briefing mit 360°-Filmaufnahmen mit 3D-animierten Objekten erleben die Schüler eine immersive orts- und zeitunabhängige Erfahrung des Luftraums und seiner Struktur. Im Anschluss fliegen sie virtuell um den Trainingsflugplatz von Goodyear/USA. Dabei müssen sie Landmarken erkennen und anvisieren. Das Projekt wurde zusammen mit Psychologen der Technischen Universität Berlin entwickelt und kann ein stolzes Ergebnis vorweisen: Die Flugschüler zeigten in realen Flugmissionen eine rund 15 Prozent bessere Gesamtleistung bei einer gleichzeitigen Senkung des Stresslevels.

MIXED REALITY AN DER UNI

Dank der Kombination aus Augmented Reality und tatsächlichen Gegebenheiten können Studenten des Bauingenieurwesens der Universität Weimar sowie der Universität Ulm räumliche Informationen realitätsnah in drei Dimensionen abbilden. Gleichzeitig erhalten sie Hintergrundinformationen über vorhandene Objekte, so dass eine Interaktion möglich wird. Anwendungsbeispiele wäre das Bauen von Straßen, Brücken oder Gebäuden mit zusätzlichen, computergenerierten Informationen wie Formeln und Erläuterungen. Hinzu kommen verborgene Einflussgrößen wie Bodenstruktur, CO2-Ausstoß oder Thermodynamik, die dank Mixed Reality (MR) sicht- und erlebbar werden und somit eine entsprechende Planung möglich machen.

DIDAKTIK

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt davon, wohin die Reise in Richtung Ausbildung 4.0 geht. Einen stets aktuellen Überblick über das Thema „Lernen in virtuellen Welten“ gibt das Online Magazin Immersive Learning.

E-Learning-Forscher Goertz sieht auch Grenzen in Bezug auf digitale Lernmodule: „Der Einsatz von VR-Brillen darf kein Selbstzweck sein. Die neuen Tools müssen dem Erreichen von Lernzielen dienen“, skizziert er verschiedene didaktische Konzepte. „So lässt sich das Virtual Reality Learning besonders gut einsetzen für das Verstehen komplexer Prozesse, für das Einüben von Verhaltensweisen, für das Bewegungstraining und den Erwerb von Softskills wie z.B. Kommunikationskompetenzen.“

Sünne Eichler, Beraterin für Bildungsmanagement prognostiziert – dank stets weiter optimierter Rechnerleistungen, verbesserter Grafik und sinkender Hardwarekosten –, eine zunehmende Bedeutung von VR in Lernsituationen: „Wir verschaffen damit dem Lerner ein Lernerlebnis dicht an der Realität – Probehandeln und Selbstwirksamkeit ohne Risiko. Und mit Hilfe der KI können wir spezifisch zugeschnittene Lernangebote machen“, so Sünne Eichler, „das bedeutet individuelles ‚Lernen on demand‘ statt Gießkanne. Mit Hilfe der KI können wir dem Auszubildenden in einem Arbeitsprozess, z.B. beim Bedienen einer Maschine, über Chatbots eine schnelle Antwort auf seine spezifische Fragestellung geben. Er bekommt passgenaues Wissen und die Maschine lernt gleich mit, wo typische Fehlerquellen in der Bedienung liegen.“

Bild oben: Die VR-Brille gibt ein reales Abbild des Arbeitsplatzes wieder. Zudem leitet sie zur richtigen Ausführung an. Sie ermöglicht so bereits frühzeitig und losgelöst vom realen Arbeitsplatz, neue Tätigkeiten zu trainieren ©BMW

Dieser Artikel erschien am 15.2. 2019 in der Innovation Origins.