Gratwanderungen: Künstliche Intelligenz in der Medizin

Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts gibt noch immer Rätsel auf. Ein entscheidendes Hilfsmittel könnte dabei Künstliche Intelligenz sein. Mit ihr scheinen neue therapeutische Ansätze für schwerwiegende Krankheiten möglich. Aber eben auch nichtmedizinische „Verbesserungen“ des Erbguts. Seit diesem Jahr erforschen Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) welche Anwendungen in der Medizin realistisch sind. Aber auch welche ethischen Fragen aufkommen werden.

„Die moderne Genomforschung will verstehen und vorhersagen, wie genetische Unterschiede zwischen Menschen komplexe Merkmale, wie zum Beispiel Dispositionen für häufige Krankheiten, bestimmen“, so Harald König, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT. Zwar schreiten die Möglichkeiten der Analyse des Erbguts rasch voran. Doch bleibt das Wissen darüber, wie unser Erbgut solche Merkmale bestimmt, bislang meist auf Korrelationen beschränkt. Eine entscheidende Weiterentwicklung verspricht nun der Einsatz von fortgeschrittenen Formen Maschinellen Lernens: „Insbesondere das sogenannte Deep Learning könnte es ermöglichen, menschliche Genome nicht nur wie bisher zu ‚lesen‘, sondern die komplexen biophysikalischen Zusammenhänge und Mechanismen zu verstehen, die dafür sorgen, aus genetischen Anlagen körperliche Merkmale hervorzubringen“, so König.

THERAPIEN GEGEN KREBS ODER DEMENZ

Die neuen Ansätze machen sich die Kombination von Künstlicher Intelligenz und rasch fortschreitenden Techniken der Genomanalyse (einschließlich Einzelzellanalysen) sowie automatisierte Laborplattformen zunutze. Letztere können sehr große Mengen von Daten zu Genomveränderungen und verschiedenen zellulären Prozessen wie dem Ablesen von Genen oder dem Auftreten verschiedener Proteinformen unter verschiedenen Bedingungen liefern. „Das Ergebnis könnte ein enormer Wissenssprung – von Korrelationen hin zu ursächlichen Zusammenhängen – sein, der ganz neue Anwendungsmöglichkeiten verspricht“, so König. Mit solchen Ansätzen verbinde sich beispielsweise die Hoffnung auf neue, ungleich effektivere Therapieansätze für Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz. Diese „precision medicine“ könnte maßgeschneidert für verschiedene Gruppen von Patienten, Krankheitsvarianten oder -stadien eingesetzt werden.

Das Forschungsteam, an dem neben der Technikfolgenabschätzung des KIT auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) beteiligt ist, will analysieren, welche Anwendungen in der Praxis kurz- bis mittelfristig realistisch sind. Gleichzeitig liegt der Fokus auf den vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Implikationen, mit denen das neue Wissen verbunden ist. So könnte die Medizin der Zukunft für eine alternde Gesellschaft enormen makroökonomischen und sozialen Nutzen haben. Zudem könnten manche der Ansätze, wie gen- und zellbasierte Therapien, jedoch auch mit sehr hohen Kosten einhergehen. Somit werden Fragen nach der Finanzierung von Forschung und Entwicklung sowie der Zugänglichkeit für Patienten aufgeworfen.

PRÄVENTIVE EINGRIFFE IN DIE MENSCHLICHE KEIMBAHN

Das Wissen darüber, welche genetischen Informationen wie „umgeschrieben“ werden müssten, um bestimmte Effekte zu erzielen, wirft zusammen mit jüngsten Verfahren zur Genom-Editierung, wie dem CRISPR-Cas-System, auch ethische Fragen auf. So könnte zumindest international der Trend dahingehen, über seltene Erbkrankheiten hinaus auch häufige Leiden wie Brustkrebs oder Diabetes durch eine „präventive Korrektur“ entsprechender Risikomutationen in der Keimbahn menschlicher Embryonen zu verhindern. „Eine Entwicklung, die im Extremfall dazu führen könnte, dass es künftig eine wachsende Akzeptanz dafür gibt, das menschliche Genom mit nicht-medizinischen Eingriffen zu ‚verbessern‘ “, befürchtet König.

Außerdem müsse sich die Gesellschaft damit auseinandersetzen, wie die Eigentumsrechte von genetischen Daten geregelt und ihre Sicherheit gewährleistet werden kann. Künftig könnte es beispielsweise möglich sein, anhand von Genomsequenzen direkt auf den Phänotyp, also beispielsweise das Aussehen von Personen zu schließen. „Dieses Wissen“, so König, „wäre nicht nur für Strafverfolgungsbehörden äußerst wertvoll.“

OPTIONEN FÜR POLITISCHE ENTSCHEIDUNGSTRÄGER

Aufbauend auf ihrer Technikfolgenabschätzung wollen die Forschenden in den kommenden beiden Jahren Optionen für die Forschungs- und Innovationspolitik erarbeiten. Politischen Entscheidungsträgern wollen sie zudem verschiedene Handlungsmöglichkeiten anbieten. So sollen Wege für einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser durch KI und Genomik getriebenen Technologie eröffnet werden.

Das Projekt „Deepen Genomics – Chancen und Herausforderungen der Konvergenz von künstlicher Intelligenz, moderner Humangenomik und Genom-Editierung” ist Teil der Innovations- und Technikanalyse (ITA) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Die aktuellen Forschungsprojekte des Programms werden am 14. und 15. Februar beim ITA-Forum 2019 in Berlin vorgestellt.

Weitere Informationen zu dem Projekt gibt es hier.

Bild oben: Krankheiten behandeln oder das Erbgut „verbessern“? Was KI hier beitragen kann und
welche ethischen Fragen das aufwirft, untersuchen Forschende des KIT © Pixabay

Dieser Artikel erschien am 14.2.2019 in der Innovation Origins.

Reisen, ABER NACHHALTIG – Geht das überhaupt?

Wir alle wissen: Autos, Flugzeuge und sogar die Bahn belasten die Umwelt. Sollten umweltbewusste Outdoorsportler deshalb besser daheimbleiben? Mitnichten! Einziger Appell: Augen auf bei der Reiseplanung.

Text: Almut Otto; Fotos: DAV Summit Club, DAV/Josef Essl, Friederike Kaiser, Almut Otto, Eike Otto, Burghard Rauschelbach, GIZ/BKK

Zu Hause bleiben? Sich selbst einschließen?“ Burghard Rauschelbach, Berater für Tourismus und Destinationsentwicklung, wirkt fast etwas entsetzt, als wir ihn nach einer nachhaltigen Alternative für das Reisen befragen: „Egal aus welchem Grund – das wäre schrecklich. Es ist für mich keine Frage: Reisen muss nachhaltig sein. Oder sagen wir es etwas konkreter: Umweltfreundlich, verantwortungsvoll gegenüber Natur, Umwelt und Menschen.“ Einen sehr großen Anteil in Bezug auf eine negative CO2-Bilanz kann beim Reisen die Anfahrt ausmachen. Deshalb gibt es für umweltbewusste Touristen eine Faustformel: Bei Reisen unter 700 Kilometern Entfernung ist es besser, auf ein Landtransportmittel umzusteigen. Bus oder Bahn sind dabei am umweltfreundlichsten. Wobei laut dem Tremod-Emission Model des Umweltbundesamtes die C02-Bilanz in einem mit vier Personen besetzten Auto durchaus vertretbar ist. Bei Flugreisen von 700 bis 2.000 Kilometern wird ein Mindestaufenthalt von acht Tagen und bei einer Flugreise über 2.000 Kilometer ein Aufenthalt vor Ort von mehr als 14 Tagen empfohlen.

Ingo Nicolay, Geschäftsführer des DAV Summit Clubs, zu der Frage, wie der Reisespezialist das Thema Nachhaltigkeit in die Praxis umsetzt: „Nachhaltigkeit ist nicht moralinsaurer Verzicht, sondern intelligentes Überdenken gewohnter, manchmal vielleicht auch lieb gewonnener Traditionen. Ein konkretes Beispiel: Beim ersten Blick gewinnt immer das Auto vor der Anreise mit der Bahn. Hier kommt unser Einsatz. Wir lenken und leiten Mobilität. So gibt es schon heute über 50 Kurse und Touren, die ich in vielen Fällen schneller, auf jeden Fall bequemer, mit der Bahn erreiche. Und unsere Kunden machen mit. Im Tierser Tal waren kürzlich von neun Kunden sieben mit der Bahn angereist. Und das ist erst ein Anfang.“

KLIMASPENDEN FÜR DIE UMWELT

Fliegen: Eine der umweltschädlichsten Arten zu reisen

Flugreisen stehen bei Umweltschützern besonders in der Kritik, denn hier wirken sich gleich mehrere Faktoren auf das Klima aus. Wen es trotzdem in die weite Ferne zieht, der kann zumindest durch eine Spende noch etwas für die Umwelt tun. Doch Vorsicht, nicht alle Angebote sind seriös. Bei Klimaspenden also am besten auf Aktionen nach dem CDM Gold Standard achten. Diese folgen den strengen Richtlinien des UNKlimasekretariats. Mitglieder des DAV Summit Clubs können auch pauschal ihren Mitgliederrabatt von 30,– Euro auf Reisen oder einen anderen freiwilligen Betrag für das My Climate Biogas Projekt in Nepal spenden. Das Schöne daran: Man weiß genau, wo das Geld eingesetzt wird.

Heliskiing

Zwar erstellt Burghard Rauschelbach, Berater für Tourismus und Destinationsentwicklung, keinen Freibrief für Heliskiing, doch zeigt seine Antwort in Bezug auf mögliche Infrastrukturen bis hin zum Heliskiing, das Dilemma, in dem sich Touristiker befinden: „Wer den Alpentourismus der letzten Jahrzehnte beobachtet, der stellt fest, dass die wilden, unberührten Gebiete nach Anzahl und Fläche rapide abgenommen haben. Wo braucht man als Bergsportler oder Wanderer eine weitere Erschließung? Das ist sehr sorgfältig abzuwägen. In den Alpen, aber auch in den Mittelgebirgen muss inzwischen der Grundsatz gelten: Kein Ausbau ohne Rückbau an anderer Stelle. Selbstverständlich muss man sich einschränken. ‚Einschränken’, das klingt nach Verlust. Es ist genau umgekehrt: Wir wissen, was eine neue Liftanlage oder ein Mountainbike-Trail bedeuten kann – nämlich Vernichtung ökologischer Funktionen, Verlust an Naturgenuss. Sie nennen Heliskiing, das ist sozusagen das Gegenteil von nachhaltigem Bergtourismus. Ich brauche wohl nicht zu erläutern, warum. Aber nun das kleine Gedankenspiel zur Destinationsentwicklung: Was ist schlechter, Heliskiing mit wenig Individualtouristen, zeitlich beschränkt und ohne bauliche Eingriffe oder: Skianlage mit Massentourismus und dauerhaften Veränderungen? Manchmal steht man als Planer vor solchen Fragestellungen.“

NACHHALTIGE ANGEBOTE MÜSSEN AUCH GEKAUFT WERDEN

Die Anforderungen an ein nachhaltiges Tourismusangebot sind sehr komplex. Alleinige Klimakompensation reicht da nicht. „Zunächst einmal muss das Produkt stimmen!“, erklärt Eike Otto, Berater Sustainable Tourism, „Nachhaltiger Tourismus funktioniert nur, wenn er auch gekauft wird.“ Ohne den Kunden gelingt Nachhaltigkeit also nicht. Erst wenn touristische Nachfrage generiert wird, kann Tourismus auch zum Schutz von Pflanzen, Tieren und deren Lebensräumen beitragen. Man bedenke, dass dabei das Thema Naturschutz von der touristischen Infrastruktur bis hin zur Speisekarte im Restaurant reicht. Doch auch Umweltschutz – darunter Luftreinhaltung, Abfallvermeidung, Wasserverbrauch und Abwasserklärung – ist in Bezug auf Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema. Ebenso zeigt die lokale Wertschöpfung, also was vom Fremdenverkehr vor Ort bei der Bevölkerung an Einnahmen ankommt, ob Tourismus nachhaltig ist oder nicht. Dazu gehören nicht nur die Ausgaben der Urlauber, sondern Leistungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, durch die das touristische Produkt überhaupt erst möglich wird. Und neben den Einnahmen der touristischen Unternehmen kommt noch der indirekte Wertschöpfungseffekt, wie zum Beispiel Bäcker oder Apotheke, hinzu. Mittlerweile werden heute auch Arbeitsbedingungen und die Sicherheit am Arbeitsplatz als wichtige Kriterien für nachhaltigen Tourismus angesehen. Wer bei seiner Urlaubsreise in puncto Nachhaltigkeit auf Nummer sicher gehen möchte, der kann sich an einer Vielzahl von Gütesiegeln, wie zum Beispiel Green Globe oder Viabono, orientieren. Zertifizierte, nachhaltige touristische Angebote bieten neben dem Summit Club unter anderem die Alpine Pearls und das Forum Anders Reisen.

Eike Otto, Tourismusberater, sustainable-tourism.com, setzt – neben der Verantwortung des Reiseveranstalters, planerischen Aspekten etc. – auch auf die Macht des umweltbewussten Kunden vor Ort: „Die Regeln, die man von zu Hause kennt, sollte man auch anderswo und vor allem in fernen Ländern verinnerlichen, zum Beispiel Nutzung des vorgegebenen Wegenetzes, Einhaltung von Abständen zu Wildtieren, Lärmvermeidung usw. Wer nach dem Motto ‚was nicht verboten ist, ist erlaubt’ geht, handelt verantwortungslos. Ich erlebe aber immer wieder, dass viele Urlauber sensibler in puncto Nachhaltigkeit sind, als dies bei so mancher Destination der Fall ist. Daher empfehle ich, auch deutlich auf Missstände an seinem Urlaubsort aufmerksam zu machen. Nichts hat mehr Gewicht als die Meinung des Kunden!“

Dieser Artikel erschien in der Mountains4u 5/2014.

GLETSCHERSCHMELZE IN GRÖNLAND, DER ANTARKTIS UND AM HINDUKUSCH

Gerade erst kündigte ein internationales Team an Wissenschaftlern, darunter das Deutsche Luft- und Raumfahrt Institut (DLR), eine dramatische Entwicklung am Thwaites-Gletscher in der Westantarktis an, da kommt kaum eine Woche später die nächste Veröffentlichung, diesmal vom Alfred Wegener Institut (AWI) durch Dr. Martin Rückamp und Co-Autoren: Am Petermann-Gletscher im Nordwesten Grönlands wird in nicht mehr allzu langer Zeit ein riesiger Eisberg abbrechen. Und auch vom Hindukusch gab es letzte Woche Alarm durch das Internationale Zentrum für Integrierte Gebirgsentwicklung (ICIMOD): Mindestens ein Drittel der Gletscher von Hindukusch und Himalaja werden bis zum Ende dieses Jahrhunderts verschwunden sein. Ein weiteres Forscherteam unter deutscher Leitung ist gerade auf Expedition zum 2017 abgebrochenen Eisberg A68 am Larson Schelfeis C in der östlichen Antarktis-Halbinsel unterwegs.

Während bei der Expedition das einzigartige und bisher verborgene Meeresökosystem erkundet wird, geben die aktuellen Forschungsergebnisse ziemlich zu denken. Denn oft wird der Rückgang der Gletscher als Indikator für die Klimaerwärmung gesehen. Er ist diesbezüglich in etwa vergleichbar wie Pulsschlag und Blutdruck für den Gesundheitszustandes eines Menschen.

Doch sollte man hier nicht vorschnell – ohne wissenschaftlich fundierte Untersuchung – einen direkt kausalen Zusammenhang zum Klimawandel herstellen. Deshalb fassen Rückamp und seine Co-Autoren, sie hatten beispielsweise keine Ursachenforschung in puncto Klimawandel betrieben, die Situation etwas vorsichtiger wie folgt zusammen: „Die Gletscher reagieren direkt auf Temperaturänderungen – ein Handeln, das die globale Erwärmung begrenzt, wirkt sich direkt auf Gletscher aus.“ Rückamp setzt zudem hinterher: „Ziele auf dem Papier tun das nicht.“

THWAITES-GLETSCHER LÄSST OZEANE UM 65 CM STEIGEN

DLR
TanDEMX Höhenmodell: Brüchiges Schelfeis am Thwaites Gletscher ©DLR

Bis dato machte das unaufhaltsame Abfließen des Thwaites-Gletschers in den Amundsen See rund vier Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs aus. Doch allein die verbleibenden Massen des immer schneller schmelzenden Eises könnte unsere Ozeane um 65 cm ansteigen lassen. Am Boden des Gletschers klafft ein 350 Meter großer Hohlraum. Und dieser frisst sich mit dem von unten eindringenden Meerwasser weiter in das Eis hinein. Zwar hatten die Experten schon vor Jahren den Verdacht, dass Thwaites nicht fest mit seinem Untergrund verbunden ist, doch ein solch besorgniserregendes Ergebnis hatten sie nicht erwartet. Insgesamt sind bereits 14 Milliarden Tonnen Eis ausgewaschen worden. Und das vorwiegend in den letzten drei Jahren. Dies geht aus Satellitendaten der amerikanischen, deutschen und italienischen Forschungspartner hervor.

Möglich wurden die aktuellen Forschungsergebnisse des DLR unter anderem durch die beiden deutschen Radarsatelliten TanDEM-X und TerraSAR-X. Denn diese sind in der Lage flächendeckend hochgenaue und dreidimensionale Messungen mit hoher Auflösung vorzunehmen. So konnte anhand der TanDEM-X-Höhenmodelle die Schmelzrate bestimmt werden. Auch offenbaren sie die besondere Dynamik des Gletschers: Die Hebungen und Senkungen der Eisoberfläche wurden genau vermessen und ließen damit wichtige Rückschlüsse auf die darunterliegenden Schmelzprozesse zu. Mit Aufnahmen der italienischen Cosmo-Skymed Satelliten konnte auch die Wanderung der „Aufsetzlinie“ des Gletschers – diese markiert den Übergang, an dem die Eismasse kein Festland mehr unter sich hat, also auf dem Meer schwimmt –, im Zeitverlauf genau beobachtet werden. So kamen die Wissenschaftler zu der neuen Erkenntnis, dass sich zwar die Gletscheroberfläche hebt, die Eisdicke aber insgesamt abnimmt. Die Wechselwirkungen zwischen Eismasse und eindringendem Meerwasser haben weitreichendere Folgen als bisher angenommen. Um die Auswirkungen der Gletscherschmelze auf den globalen Meeresspiegel genauer vorhersagen zu können, sind diese und weitere Erkenntnisse daher essenziell. Die Ergebnisse der von der NASA geleiteten Studie sind aktuell im „Science Advances“-Journal erschienen.

RIESIGER EISBERG ERWARTET: RISSE AM PETERMANN-GLETSCHER

AWI
Petermann-Gletscher (Grönland) nahe des Zentrums des fließenden Gletschers etwa 26 Kilometer entfernt von der Kalbungsfront ©Andreas Muenchow, University of Delaware

Auch aus dem äußersten Nordwesten Grönlands wird vermeldet: Forscher des AWI messen ein höheres Fließtempo der schwimmenden Eiszunge des Petermann-Gletschers. Diese schiebt sich derzeit über eine Strecke von etwa 70 Kilometern in den Petermann-Fjord. Zudem kündigen Risse etwa zwölf Kilometer oberhalb der bisherigen Gletscherkante – das Einzugsgebiet des Petermann-Gletschers umfasst vier Prozent des Grönländischen Eisschildes –, an, dass sich in naher Zukunft wieder ein Eisberg vom Gletscher lösen könnte. Laut AWI-Glaziologen hat sich seit einem Eisberg-Abbruch im Jahr 2012 das Fließtempo des Gletschers um durchschnittlich 10 Prozent erhöht, sodass in der Folgezeit neue Risse entstanden. Eigentlich ein durchaus natürlicher Vorgang. Modellsimulationen der Forscher zeigen jedoch auch: Sollten diese Eismassen abbrechen, wird sich der Petermann-Gletscher vermutlich weiter beschleunigen und mehr Eis ins Meer transportieren. Was wiederum entsprechende Folgen für den globalen Meeresspiegel haben wird.

Als die Wissenschaftler im Winter 2016 durch die Analyse von Satellitendaten erkannten, dass der Gletscher mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 1135 Metern pro Jahr floss, also etwa 10% schneller als im Winter 2011, erforschten sie die direkte Ursache. Sie simulierten den beobachteten Eistransport in einem Computer-Eismodell und wiesen nach, dass der Abbruch eines großen Eisberges im August 2012 die Beschleunigung des Gletschers in Gang gesetzt hatte. „Die Eismassen des Gletschers reiben auf ihrem Weg ins Meer rechts und links an Felswänden, welche den Fjord einrahmen“, so AWI-Eismodellierer und Erstautor der Studie, Martin Rückamp, „bricht nun am Ende der Gletscherzunge ein großer Eisberg ab, schrumpft die Länge der Eiszunge insgesamt und damit auch die Strecke, auf der die Eismassen die Felsen berühren. Deren Bremswirkung sinkt und der Gletscher beginnt, schneller zu fließen.“

Eine ähnliche Beschleunigung sagt das Computermodell auch für den Fall voraus, dass es zu einem erneuten Eisberg-Abbruch kommen sollte. „Wir können nicht vorhersagen, wann der Petermann-Gletscher wieder kalben wird und ob ein Abbruch tatsächlich bis zu den von uns entdeckten Rissen in der Gletscherzunge reichen wird“, so Rückamp. „Anzunehmen ist aber, dass die Gletscherzunge im Falle eines weiteren Abbruchs wieder deutlich schrumpfen und die Bremswirkung der Felsen noch weiter abnehmen wird“. Die Studie ist im „Journal of Geophysical Research: Earth Surface“ nachzulesen.

OBERFLÄCHENSCHMELZE UND WARME MEERESSTRÖMUNGEN

Der Grönländische Eisschild und die dazugehörigen Gletscher haben seit dem Jahr 2002 im Durchschnitt jährlich 286 Milliarden Tonnen Eis verloren. Diese Massenverluste sind vor allem auf die Zunahme der sommerlichen Oberflächenschmelze zurückzuführen. Das Kalben von Eisbergen hat ebenfalls zugenommen. Grönlands Gletscher verlieren heutzutage ein Viertel mehr Eis durch Eisberg-Abbrüche als im Vergleichszeitraum von 1960 bis 1990. Als mögliche Ursachen werden u.a. wärmere Meeresströmungen diskutiert, welche die schwimmenden Gletscherzungen von unten schmelzen, sowie Schmelzwasser, welches durch Spalten und Risse bis ins Gletscherbett sickert und dort wie ein Schmiermittel das Gleiten der Eisströme beschleunigt. Derzeit tragen die Eismassenverluste Grönlands jährlich etwa 0,7 Millimeter zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Dieser beträgt aktuell 3,3 Millimeter pro Jahr.

Inwieweit der beschleunigte Eistransport des Petermann-Gletschers auf verschiedene Konsequenzen der globalen Erderwärmung zurückzuführen ist, haben die Wissenschaftler bislang noch nicht tiefgreifend untersucht. „Wir wissen jetzt, dass das Fließtempo des Gletschers infolge von Eisberg-Abbrüchen steigt. Außerdem beobachten wir, dass die Häufigkeit solcher Abbrüche am Petermann-Gletscher zunimmt. Ob dafür jedoch die wärmer werdende Atmosphäre über Grönland oder aber wärmeres Meerwasser verantwortlich ist, haben wir anhand der Satellitendaten nicht untersuchen können“, so Niklas Neckel. Für die Wissenschaftler ist die Beschleunigung des Petermann-Gletschers dennoch ein Signal. Im Gegensatz zu den Gletschern im Südosten und Südwesten Grönlands haben die Gletscher im hohen Norden der Insel bislang kaum Veränderungen gezeigt. Das scheint sich nun zu ändern.

GROSSER GLETSCHERSCHWUND AM HIMALAYA UND HINDUKUSC

Als „Dritter Pol“ der Erde werden der Himalaya und die umliegenden Gebirge bezeichnet. Denn abgesehen vom Nord- und Südpol hat keine Region der Welt mehr Eis und Schnee. Von hier kamen letzte Woche ebenfalls Hiobsbotschaften: Auch wenn das ambitionierteste Ziel des Pariser Abkommens erreicht werde, werden die Gletscher dieser Region mindestens um ein Drittel schmelzen. Schafft man es nicht, rechnen die Forscher von ICIMOD mit einem Schwund von zwei Dritteln. Die Gletscher sind eine unverzichtbare Wasserquelle für rund 1,9 Milliarden Bewohner der Region – in den Bergen wie auch entlang der Flüsse. „Die globale Erderwärmung ist dabei, die eisigen, mit Gletschern bedeckten Gipfel des HKH (Hindukusch-Himalaya), die sich über acht Länder erstrecken, innerhalb von etwas weniger als einem Jahrhundert in kahle Felsen zu verwandeln“, so der leitende Herausgeber des Berichts, Philippus Wester.

Die Studie wurde nach den Maßgaben des Weltklimarats durchgeführt. Insgesamt wurde sie über fünf Jahre entwickelt und enthält Erkenntnisse von mehr als 350 Forschern, Experten aus 22 Ländern und 185 Organisationen. Mit 210 Autoren, 20 Rezensionsredakteuren und 125 externen Rezensenten bietet sie einen beispiellosen Einblick in die einzigartige Umgebung, die Menschen sowie die Tierwelt der Region rund um die bedeckten Gipfel von HKH (Hindukusch-Himlaya). Dem ICIMOD gehören die Regierungen der acht Länder aus den Gebieten der Himalaya- und Hindukusch-Gebirge an: Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, China, Indien, Myanmar, Nepal und Pakistan.

40 JAHRE WELTKLIMAKONFERENZ

Seit 40 Jahren gibt es nun schon eine weltweite Klimakonferenz: Die erste fand vom 12.-23.2.1979 in Genf statt. Zum Jubiläum gab der Jülicher Klimaforscher Prof. Andreas Wahner ein Interview. Wahner ist Leiter des Instituts für Energie- und Klimaforschung IEK-8-Troposphäre am Forschungszentrum Jülich. Sein Schlusssatz klingt ziemlich alarmierend: „Die Hoffnung auf eine Begrenzung des Temperaturzuwachses auf 1,5 bis 2 Grad zum Ende des Jahrhunderts ist immer weniger haltbar. Wir müssen uns vermutlich auf mehr einstellen, was gravierende Konsequenzen haben und uns weltweit wirtschaftlich deutlich teurer zu stehen kommen wird, als wenn wir in der Vergangenheit oder auch heute mit Entschiedenheit gehandelt hätten.“

Bild oben: Petermann-Gletscher, Grönland: Südwestlicher Rand der sogenannten Scherzone des fließenden Gletschers, etwa 10 Kilometer von der Kalbungsfront entfernt ©Andreas Muenchow, University of Delaware

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Dieser Artikel erschien am 12.2.2019 in der Innovation Origins.

ARBEITSWELTEN DER ZUKUNFT: UNTERNEHMEN DENKEN UM

Wer an Arbeitswelten der Zukunft denkt, hat zunächst das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine, die KI, im Kopf. Doch auch Coworking-Spaces, kreative Aufenthaltsräume und Flexibilität prägen das Bild moderner Arbeitsplätze. Unternehmen passen sich zudem den Trends zur Work-Life-Balance an. Sie rekrutieren neue Mitarbeiter über Benefits wie frisches Obst, Tisch-Kicker, Yoga-Stunden sowie firmeneigene Kitas. Bei der sogenannten „New Work“ steht also einerseits die Digitalisierung andererseits aber auch der Mensch im Mittelpunkt. Kein Wunder also, dass Unternehmen derzeit Arbeitsplätze sowie Arbeitsgewohnheiten komplett umgestalten: Statt Einzelbüros stehen derzeit kollektive Schreibtische mit Rollcontainern hoch im Kurs. Gleichzeitig sollen Rückzugs-Zonen die Konzentration fördern und Lounge-ähnliche Besprechungszimmer zum Brainstorming anregen. Die so geschaffenen, neuen Bürowelten sollen nicht nur das Potenzial der Mitarbeiter maximal fördern, sondern sie sind für die Unternehmen meist auch noch wirtschaftlich äußerst effizient.

UMGESTALTUNG VON TRADITIONSUNTERNEHMEN

Arbeitswelten von Morgen
Mobile Lösungen ermöglichen den Mitarbeitern der Witt-Gruppe das Arbeiten dort, wo sie am effektivsten sind – es muss nicht der Schreibtisch sein… ©Witt-Gruppe

Derzeit baut die Witt-Gruppe aus Weiden in der Oberpfalz die Arbeitswelten um. Im beruflichen Alltag sind agile Arbeitsweisen wie Scrum und Kanban schon längst verwurzelt. Nun geht der zur Otto-Gruppe gehörende Versandhandel in einem neuen Projekt auch den Umbau der Büros an. „Wenn wir weiterhin gute Ergebnisse erzielen möchten, müssen neue Arten der Zusammenarbeit gefunden werden,“ erklärt Kerstin Harms-Sudarma, Bereichsleiterin Facility Management, den Ansatz, „Es ist also wichtig, dass sich das Arbeitsumfeld an diese neuen Bedingungen anpasst.“ Für die Mitarbeiter von Witt bedeutet das, dass Bereichsleiter keine eigenen Büros mehr haben und feste Arbeitsplätze aufgelöst werden. So soll mehr Platz entstehen und eine leichtere Zusammenarbeit zwischen Fachabteilungen und Mitarbeitern verschiedenster Disziplinen ermöglicht werden. Hinzu kommen neue Arten von Führungsrollen sowie das Konzept des Desk-Sharings. Denn bei einer internen Erhebung stellte die Witt-Gruppe fest, dass täglich etwa jeder fünfte Arbeitsplatz aufgrund von Geschäftsreisen, Urlaub oder Krankheit frei bleibt.

„Durch das Aufbrechen der Strukturen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit geht der Einfluss der Führungskräfte ein Stück weit verloren,“ so Susan Kröber, Bereichsleiterin Human Resources, „…zudem erfordern Home-Office und die Zusammenarbeit in abteilungsübergreifenden Teams ein höheres Maß an Vertrauen und es müssen Zielvereinbarungen getroffen werden.“ Zehn Prozent der Bereichsleiter der Witt-Gruppe haben sich bereits auf das Experiment eingelassen und ihr eigenes Büro aufgegeben.

Natürlich ändert sich auch die technische Ausstattung: „Der herkömmliche Desktop-PC wird von mobilen Geräten wie Laptop und Tablet abgelöst,“ erklärt Thomas Schertel, Bereichsleiter IT, „das Telefon wandelt sich in ein Headset. Drucken wird per Follow-Me Printing Funktion für alle Mitarbeiter von überall aus möglich.“

UMWELTPSYCHOLOGISCHE EFFEKTE DURCH DIGITALISIERUNG

Doch die Entwicklung könnte noch viel weiter gehen. So ist zumindest die Vision von Dr. Stefan Rief. Er ist Mitglied des Direktoriums des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) sowie Leiter des Forschungsbereichs für Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung und Entwicklung neuer, produktivitätsfördernder Arbeitsumgebungen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Büro-, Labor- und Lernwelten. Rief bestätigt, dass unsere Arbeitsumgebung unter den beiden Aspekten Arbeitsort und -raum Auswirkung auf unser Wohlbefinden hat. Auch sieht er das Büro der Zukunft in einer gewissen Vielfältigkeit ‒ von kleinen Zellen als Rückszugsort bis hin zu offenen Bereichen, die das Socialising fördern. Ebenso empfiehlt er, hellere und dunklere Zonen zu ermöglichen. Doch am spannendsten findet Rief die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet. Hier bezieht er sich insbesondere auf die Installation von individuellen, umweltpsychologischen Effekten. Dazu gehören die Einstellung von Temperaturen sowie Beleuchtungen und auch die Nutzung von Gerüchen, die zur persönlichen Leistungsfähigkeit oder auch Kreativität beitragen. Wichtig für ihn ist dabei, darauf zu achten, dass die Konzepte wirklich individuell angepasst sind und nicht als allgemeingültig gesehen werden. Sein Credo für die Arbeitswelt von Morgen: „One doesn´t fit all.“

Bild oben: In den Kreativräumen darf – dank White-Board – auch schon mal an die Wand gemalt werden ©Witt-Gruppe

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Dieser Artikel erschien am 10.2.2019 in der Innovation Origins.

KI: NICHT NUR FACEBOOK SOLLTE REGULIERT WERDEN

Die aktuelle Kartellamts-Entscheidung bezüglich der Datensammlung durch Facebook macht nochmals bewusst, wie leichtfertig viele mit ihren privaten Daten umgehen. Und das nicht nur durch soziale Medien wie Facebook. Denn allein die Nutzung des Internets, von Smartphones und Smart Home-Funktionen machen uns gläsern. Kaum einer denkt darüber nach, wenn er Siri um einen Eintrag bittet, und das vielleicht auch noch, während gerade eine andere Anwendung läuft. Sagen wir zum Beispiel während der Streaming-Dienst Netflix Filme – basierend auf früheren Einstellungen – präsentiert. Oder, wenn er per App das Thermostat im Wohnzimmer höherstellt, da er gerade auf dem Heimweg ist. Von vielen weiteren Home-Anwendungen ganz zu schweigen. Im Gesundheitswesen wird die KI heute zur Erkennung von Tumoren auf CT-Scans eingesetzt. In einigen Ländern kann die virtuelle Krankenschwester Molly zu Rate gezogen werden. Und im Finanzsektor führen Kreditkartenunternehmen mit ihrer Hilfe Betrugsprüfungen durch. Banken verwenden Algorithmen, um festzustellen, ob jemand kreditwürdig ist und vieles mehr. Kurzum: KI ist überall. Und: KI benötigt Daten.

Doch was passiert mit all diesen Infos? Wer könnte sie wann wie nutzen? Welche Kontrollinstanzen gibt es neben dem deutschen Kartellamt noch?

DIE EUROPÄISCHE UNION

Im Dezember 2018 befürwortete Brad Smit, Präsident von Microsoft und Leiter der Rechtsabteilung, in einem Blogbeitrag Regeln und Gesetze für die Gesichterkennungs-Technologie. Denn laut dem Microsoft-Vorstandsvorsitzenden birgt diese Technologie allerlei Gefahren. Dazu zählt vieles, von der Vorverurteilung durch Algorithmen bis hin zur Verletzung der Privatsphäre. Ganz zu schweigen von Diktaturen, die jeden Bürger im Auge behalten können. Laut Smit ist es an der Zeit, dass sich die Regierungen mit den neuen Technologien auseinandersetzen. Nun werden die ersten Schritte getan.

In der Europäische Union gibt es eine Gruppe von 52 Experten – Menschen aus den verschiedensten Bereichen –, die Empfehlungen für Vorschriften zur künstlichen Intelligenz geben. Zufall oder nicht: Seit Dezember 2018 arbeiten die EU-Experten daran, diesbezüglich Leitlinien zu verfassen. In einer kürzlich vorgestellten, ersten Version (eine endgültige Fassung soll im März erscheinen) gehen sie dabei auf verschiedene Themen ein. So beschreiben sie das Dilemma, dass die KI einerseits sehr viele Vorteile bietet, aber gleichzeitig unzählige Gefahren birgt. Entsprechend empfehlen sie einen menschenzentrierten Ansatz zur Regelung der KI. Der Hintergrund: KI bietet Menschen nur Vorteile, wenn diese sie zuversichtlich und umfassend nutzen können sowie der Technik vertrauen. Den Rahmen für eine vertrauenswürdige KI setzt zunächst eine ethische Zweckbestimmung. Aus dieser sollen sich die Regelungen für die Verwirklichung der vertrauenswürdigen KI ableiten. Zudem sollen die Anforderungen auf ein operatives Fundament mit Beispielfällen gestellt werden. Die EU-Leitlinien sollen nicht statisch sein, sondern eher einen Ausgangspunkt für die Diskussion über „vertrauenswürdige KI made in Europe“ bilden. Mit den ethischen Richtlinien, die gleichzeitig eine Wettbewerbsfähigkeit garantieren sollen, möchte sich Europa als Vorreiter einer hochmodernen, sicheren und ethischen KI positionieren sowie gleichzeitig weltweit zur Diskussion anregen.

ISO-NORM FÜR KI

Einen weiteren Ansatz gibt es über die International Standardisation Organisation (ISO): „Es ist sehr wichtig, dass wir alle die gleiche Sprache sprechen“, so Jana Lingenfelder, Technical Relations Executive bei IBM. Neben ihrer Arbeit für IBM arbeitet sie an einem KI-Standard für die ISO. Dieser soll Unternehmen und Designern Definitionen sowie Grundregeln liefern, die als Basis für ihre Arbeit dienen soll. Denn KI geht über nationale Grenzen hinaus.

Der deutsche Rechtsanwalt Jan Schallaböck unterstützt die ISO dabei, eine Norm für Technologieunternehmen zu entwickeln. Er konzentriert sich in seiner Tätigkeit hauptsächlich auf den Datenschutz. So spricht er Empfehlungen aus, zu welchem frühestmöglichen Zeitpunkt eines Produkts oder einer Dienstleistung Unternehmen sich mit der Privatsphäre von Nutzers befassen sollten. Schallaböck stimmt mit Lingenfelder überein. Gleichzeitig sieht er aber auch Probleme bei der Einhaltung der Regeln: „Die genaue Beobachtung der künstlichen Intelligenz braucht Zeit, viele Regierungen oder andere Aufsichtsbehörden haben diese Möglichkeit nicht.“ Zudem sieht Schallaböck noch viele offene Fragen, zum Beispiel: „…inwieweit sind sie [Behörden] in der Lage einzuschätzen, wie ein Algorithmus eine Entscheidung trifft? Für viele Experten ist das eine tolle Aufgabe. Ganz zu schweigen von Verantwortung und Haftung. Liegt dies in der Verantwortung der Nutzer? Von den Plattformen? Oder den Menschen, die KI entwickeln? Und wie stellt man sicher, dass ein Algorithmus eine ethische Entscheidung trifft?“. Es gibt also noch viele Punkte zu verstehen und zu beachten, bevor Regelungen bezüglich KI greifen können.

KI: ETHISCH ODER NUMERISCH?

Wie soll ein selbstfahrendes Fahrzeug nach ethischen Grundsätzen entscheiden? @Waymo Steve Mahan

Es gibt aber noch ganz andere Kriterien zu bedenken. Zum Beispiel: Wie soll ein selbstfahrendes Fahrzeug bei einer Kollision entscheiden, ob es einen Radfahrer oder einen Fußgänger treffen soll? Solche Dinge müssen in Systeme eingebaut werden. Laut Christian Wagner, Assistenz-Professor für Informatik an der Universität Nottingham, gibt es hier ein häufiges Missverständnis. Künstliche Intelligenz kann keine ethischen Entscheidungen treffen. Wagner ist übrigens auch Direktor von LUCID  (Lab for uncertainty in data and decision making). An dem Informatik Institut der Nottinghamer Uni wird an einem besseren Verständnis, an der Erfassung und an Hintergründen unsicherer Daten geforscht. Laut Wagner wird oft von einer „starken“ KI gesprochen, wenn die Technologie, genau wie der Mensch, über Recht und Unrecht urteilen kann. „Aber davon sind wir weit entfernt. Zunächst einmal müssen wir sicherstellen, dass die Systeme stabil sind. Ein selbstfahrender Wagen sollte nicht plötzlich unerwartete Dinge tun. So läuft das mit Zahlen und Wahrscheinlichkeits-Berechnungen.“

Wagner hält es zwar für richtig, Normen und Richtlinien festzulegen, aber er bezweifelt gleichzeitig, dass ein solches Modell beibehalten werden kann. Denn die Technologie entwickelt sich rasant. Jedes Mal ein neues Modell zu entwerfen erscheint viel zu umständlich. Auch Schallaböck hält dies für ein schwieriges Thema: „Normen wie die ISO-Marken sind immer gut, aber muss man dann für jede Anwendung von KI eine neue Norm schaffen? Diese Verfahren sind zeitaufwändig und sehr teuer.“

Und natürlich stellt sich die Frage, wer wann die Aufsicht hat. Und, wer verantwortlich ist. Wie Lingenfelder schon betonte, geht die KI über lokale Grenzen hinaus. Sie hat internationale Auswirkungen auf allen Ebenen der Gesellschaft. Alle drei zitierten Experten können noch keine klare Antwort auf diese Fragen geben. Vielleicht soll ein EU-Gremium eingerichtet werden, das die Einhaltung der Vorschriften überwacht? Schallaböck: „Wir haben jetzt die GDPR [General Data Protection Regulation], aber das ist bei weitem nicht genug. Noch haben wir keine Antwort auf die Gefahren der KI. Sie ist eine Gefahr nicht nur für die Demokratie, sondern auch für die Rechte des Einzelnen.“

Bild oben: Datensammlung durch KI @Pixabay

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Dieser Artikel erschien am 9.2.2019 in Kooperation mit Milan Lentes in der Innovation Origins .

FESTOXID-BRENNSTOFFZELLE LIEFERT ERSTMALS 100.000 STUNDEN STROM

Mit einer Betriebszeit von über elf Jahren knackte die Hochtemperatur-Brennstoffzelle aus dem Forschungszentrum Jülich weltweit alle Rekorde – und das bei einer Temperatur von 700 Grad. Die Jülicher Entwicklung hätte sogar noch länger durchgehalten. Doch die Wissenschaftler leiteten vor wenigen Tagen schrittweise das Ende ihres Langzeitversuchs ein. Nun stehen weitere Untersuchungen bevor. Denn die hohe Betriebstemperatur stellt große Anforderungen an die verbauten Materialien.

Durch den erfolgreichen Test unter Leitung von Prof. Ludger Blum vom Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-3) zeigten die Wissenschaftler, dass die Jülicher Brennstoffzelle der Anwendungsreife ein großes Stückchen nähergekommen ist. Keramische Hochtemperatur-Brennstoffzellen gelten als höchst-effizient. Zudem sind sie umweltschonend, emissions- und wartungsarm.

Mögliche Anwendungsgebiete der Zelle sind die dezentrale Strom- und Wärmeversorgung im Haushalt, in größeren Wohngebieten, in der Industrie sowie Nutzung als System für Züge oder Schiffe. Fünf bis zehn Jahre beziehungsweise umgerechnet 40.000 bis 80.000 Stunden müssen Hochtemperatur-Brennstoffzellen laufen, bis der Einsatz wirtschaftlich wird.

ZELLINNERES WIRD ERFORSCHT

Die Jülicher „Solid Oxide Fuel Cell“ (SOFC), zu deutsch Festoxid-Brennstoffzelle, hielt deutlich länger durch. Seit dem 6. August 2007 lieferte der aus zwei Zellen bestehende Zellstapel über 93.000 Stunden kontinuierlich Strom, insgesamt ca. 4.600 kWh. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa der Strommenge, die ein Einfamilien-Haushalt in einem Jahr verbraucht.

Bis auf die Farbe äußerlich kaum gealtert: SOFC-Stack vor dem Start des Versuchs im Jahr 2007 (links) und im Jahr 2019 nach 100.000 Stunden im Dauerbetrieb (rechts) ©Forschungszentrum Jülich

Mit dem Abschalten der SOFC kommen neue Aufgaben auf die Forscher zu. Äußerlich haben sich die metallischen Bauteile im Laufe der Jahre zwar erkennbar verändert: Die metallisch-silbrig glänzende Oberfläche ist deutlich dunkler, fast schwarz, geworden. Doch abgesehen von dieser unvermeidbaren oberflächlichen Oxidation sind von außen keine weiteren negativen Veränderungen festzustellen.

„Wir sind schon ganz gespannt, wie es im Innern aussieht“, so Dr. Norbert Menzler vom Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-1). Menzler ist zuständig für die Entwicklung der keramischen Zellen. „In welchem Zustand sich die Zelle befindet, ist im laufenden Betrieb kaum ersichtlich. Bislang hat weltweit noch niemand eine Zelle nach 100.000 Betriebsstunden bei so hohen Temperaturen untersuchen können.“ Mit unterschiedlichen Methoden werden die Forscher in der nächsten Zeit genau analysieren, wie sich die jahrelange extreme thermische Belastung auf die keramischen Komponenten, Glaslot-Dichtungen und metallischen Verbindungsstücke – die sogenannten Interkonnektoren –, auswirkte. Die Erkenntnisse fließen in die Entwicklung neuer Materialien und Designansätze ein, um die Alterungsbeständigkeit weiter zu verbessern.

REVERSIBLES MODELL IM TEST

Aktuell testen die Wissenschaftler um Luder Blum eine reversibel betreibbare Version der SOFC. Diese liefert nicht nur Strom, sondern kann in einem umgekehrten Betriebsmodus auch Wasserstoff und Sauerstoff durch Wasserelektrolyse erzeugen. Auch diese Weiterentwicklung hat schon sehr gute Ergebnisse erzielt. Sie ist die erste Hochtemperatur-Brennstoffzelle, die im Wasserstoffbetrieb mit 62 Prozent einen Wirkungsgrad von über 60 Prozent erreicht.

HINTERGRUND

Seit 25 Jahren arbeiten die Wissenschaftler des FZ Jülich an der SOFC. Mittlerweile erhielten sie für ihre Entwicklung 95 Patente. An der Forschung zur SOFC sind verschiedene Bereiche des Instituts für Energie- und Klimaforschung (IEK-1, IEK-2, IEK-3, IEK-9) sowie das Zentralinstitut für Engineering, Elektronik und Analytik (ZEA-1) beteiligt. Auch der oben beschriebene Rekord-Stapel besteht größtenteils aus selbstentwickelten Komponenten. Dazu zählen etwa die keramischen Zellen, die Kontaktschichten und eine spezielle Glaskeramik, die aufgrund der hohen Temperaturen zur Abdichtung eingesetzt wird. Das Material für die Zwischenplatten, die auch als Interkonnektoren bezeichnet werden, mit denen sich die Zellen zu einem „Stack“ (englisch für „Stapel) zusammensetzen lassen, stammt von der österreichischen Firma Plansee SE in Reutte.

Bild oben: Jülicher Hochtemperatur-Brennstoffzellen nach 100.000 Stunden im Dauerbetrieb bei 700 Grad ©Forschungszentrum Jülich / Regine Panknin

Dieser Artikel erschien am 8.2.2019 in der Innovation Origins.

ANTARKTIS: FORSCHERTEAM ERKUNDET LEBEN UNTER EISBERG A68

Am 9. Februar startet unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ein internationales Forscherteam eine Expedition zum abgelegenen Larsen-C-Schelfeis. Das Ziel: Die Forscher möchten das bisher unter dem Schelfeis verborgene Meeresökosystem erkunden. Im Juli 2017 kalbte ein riesiger Eisberg mit einer Größe von der siebenfachen Fläche Berlins vom antarktischen Larsen-Schelfeis ab. Durch den Abbruch des Eisberges namens A68 wurde eine Fläche von etwa 5.800 Quadratkilometern von der hunderte Meter dicken Schelfeisschicht befreit. Eine Welt, über die die Menschheit nichts weiß, da sie bisher unter dem dicken Eis im Verborgenen lag. Nun planen die Forscher nochmals – zwei Expeditionen mussten frühzeitig abgebrochen werden –, per Schiff von Punta Arenas (Chile) in die Region östlich der antarktischen Halbinsel zu fahren, um dort Proben vom Meeresboden zu nehmen. Insgesamt neun Wochen werden sie mit dem Eisbrecher Polarstern unterwegs sein. Per Satellitenaufnahmen soll die schwierige Navigation durch das Meereis unterstützt werden.

Forscherteam
Teilausschnitt der Abbruchkante des Larsen-B-Schelfeises an der Antarktischen Halbinsel/Polarstern-Expedition ANTXXIII/8, Weddellmeer 2006/07 ©Gauthier Chapelle

EILIGE MISSION

Die Mission eilt: Das wahrscheinlich seit mehreren tausend Jahren vom Eis bedeckte Ökosystem könnte sich mit dem jetzt einfallenden Licht rasch verändern. „Die Expedition zum Larsen-C-Schelfeis ist eine einmalige Gelegenheit für die internationale Forschungsgemeinschaft, um in dieser vom Klimawandel betroffenen Region interdisziplinäre Forschung durchzuführen“, so der wissenschaftliche Fahrtleiter der Expedition, Dr. Boris Dorschel. Da Larsen C weit im Süden liegt, ist selbst in Zeiten minimaler Meereisbedeckung in der Antarktis noch viel Eis vorhanden. Nichtdestotrotz sollte die Expedition zum jetzigen Zeitpunkt stattfinden. So können die Forscher noch Einblicke in die erst kürzlich vom Schelfeis befreite Welt erhoffen und das ein oder andere Geheimnis des Eisschelfs und des Eisbergs A68 lüften. Unter anderem sollen auch die Strukturen am Meeresboden erforscht werden. Für die Forschungszwecke sollen zudem hochauflösende Satellitendaten sowie der Bordhelikopter der Polarstern genutzt werden.

Polarstern
Das Forschungsschiff Polarstern während einer Eisstation im Weddellmeer ©Mario Hoppmann

DRAMATISCHER ÖKOLOGISCHER WANDEL

„Das Kalben von A68 ist eine einmalige Gelegenheit, Meereslebewesen zu untersuchen, die einem dramatischen ökologischen Wandel ausgesetzt sind“, so der Meeresbiologe Dr. Huw Griffiths vom British Antarctic Survey (BAS). Er leitet eines der Projekte zur Erforschung der Biologie am Meeresboden. Da das Gebiet Jahrtausende ohne Sonnenlicht war, gehen die Forscher davon aus, dass sich hier eine Artengemeinschaft entwickelt hat, die sich speziell an ein Leben mit sehr wenig verfügbarer Nahrung angepasste. Griffiths ergänzt: „Der Abbruch dieses riesigen Eisbergs wirkt so, also nehme man plötzlich die Decke von einer Höhle. Erstmals seit tausenden von Jahren können durch das einfallende Sonnenlicht an der Wasseroberfläche Mikroalgen wachsen, was das gesamte Nahrungsnetz verändert, so dass sich andere Arten ansiedeln.“

Seesterne ©Griffiths, Huw J.

Das Expeditionsteam wird Tiere, Mikroorganismen, Plankton, Meeressedimente und Wasserproben untersuchen. Dabei kommen verschiedenste Geräte zum Einsatz wie Unterwasser-Videokameras sowie ein Schlitten, der am Meeresboden kleine Tiere sammelt. Der Meeresboden wird zudem mithilfe von Sonarsystemen detailliert vermessen.

HINTERGRUND

Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 19 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft. Sie ist die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Bild oben: Das deutsche Forschungsschiff Polarstern während einer Eisstation im Weddellmeer©Mario Hoppmann

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NEUE FORSCHUNGSPROJEKTE: AUSWIRKUNG VON KLIMAWANDEL AUF DEN AUFTRIEB VON TIEFENWASSER

Dieser Artikel erschien am 7.2.2019 in der Innovation Origins.

DIGITALE TRENDS AUF DER ISPO

Virtuelle Sportbodenwelten, Leistungsdiagnostik-Anwendungen für daheim, individualisierte Sportartikel sowie eSports sind digitale Trends, die auf der Sportartikelmesse ispo vorgestellt werden. So findet derzeit vor Ort die Wearable Technologies Conference Europe 2019 statt. Eine dazugehörige Innovationsausstellung soll weltweit führende Visionäre, Unternehmen sowie die passenden Netzwerkpartner zusammenbringen.

LEISTUNGSDIAGNOSTIK MIT HOME-SET

Für aktive Sportler besonders interessant ist die Analyse der eigenen Leistungsfähigkeit. Während diese früher nur durch Termine beim Sportmediziner möglich war, sollen zukünftig Lösungen für daheim angeboten werden. So arbeitet das Fürther Unternehmen Vitascale in Kooperation mit dem Bereich Sportmedizin der Uni Würzburg gerade an einem mobilen Atemgas-Diagnostiksystem. Das als Headset konzipierte Modell ist für den aktiven Einsatz beim Laufen und Biken gedacht. Es misst zum einen, welche Menge von eingeatmetem Sauerstoff verbrannt wird. Dabei werden gleichzeitig die Energiequellen wie Kohlenhydrate, Fette und Proteine analysiert. Auch wird gemessen, welche Abfallprodukte schließlich ausgeatmet werden. Diese Daten lassen Rückschlüsse auf das Leistungsniveau zu. Über eine App können Trainingseinheiten schon während der Aktivität beobachtet und auf das gewünschte Niveau angepasst werden. Im Moment gibt es nur einige wenige Prototypen. Wenn diese in den nächsten Anwendungstests alle Anforderungen erfüllen, wird das Headset eventuell schon in diesem Jahr auf den Markt kommen. Dr. Ing. Ulrich Jerichow, CEO des Unternehmens, sieht zukünftig noch weitere Anwendungsbereiche, so zum Beispiel in der Automobilindustrie. Hier könnten integrierte Atemtests neben der Alkoholkontrolle auch Auskunft über die Fitness des Fahrzeuglenkers geben.

Das Unternehmen Lowie stellt ein Heim-Set zur Biomarker-Analyse vor. Ein Bluttest soll dabei die notwendigen diagnostischen Infos liefern. Auf der Gesundheitsplattform des Unternehmens erhält der Anwender eine Auswertung sowie auch eine personalisierte Nährstoffkombinations-Empfehlung. Durch weitere Tests kann die Wirkung gemessen und die Nährstoffempfehlung angepasst werden. Das Unternehmen entwickelte das Verfahren übrigens unter anderem in Kooperation mit der TU München sowie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Von der ispo wurde es mit dem Brandnew Digital Award ausgezeichnet.

GESUNDHEIT IM FOKUS

Sohle für Neuropathi-Patienten
Rendering der Graphene-Sohle von Bon Bouton: Per Software werden z.B. Diabetiker über ihren Gesundheitszustand informiert, so dass sie rechtzeitig reagieren können. ©Bon Bouton

Ebenfalls ein mobiles Analysetool ist Bon Bouton, eine Sohle mit integrierten Graphene-Sensoren. Diese sollen Unterschiede in der Fußtemperatur sowie im Druck beim Auftreten messen. Beide Faktoren sind Indikatoren, die Neuropathie-Patienten (insbesondere Diabetikern) Aufschluss über den aktuellen Gesundheitszustand geben können. Per der mit der Sohle verbundenen Software wird der Anwender rechtzeitig gewarnt, so dass er proaktiv tätig werden kann. Bon Bouton befindet sich noch in der Entwicklungsphase.

Die mobile Lichttherapie von CareWear soll Schmerzen lindern sowie die Regeneration beschleunigen. Die Technologie besteht aus 3500 flachen LEDs, die in ergonomisch geformte, flexible und wiederverwertbare Pads integriert sind. Gesteuert werden die in einem biokompatiblen Hydrogel liegenden, kleinen blauen und roten Farblichter über ein drahtloses Modul. Die Entwicklung ist mittlerweile mit einigen Preisen ausgezeichnet worden, so unter anderem durch die IInternational Society for Optics and Photonics (SPIE) sowie innerhalb des Internet of Things/Wearable Technologies (IoT/WT) Innovation World Cups mit dem Gore Innovation Center Prize.

VIDEOBODEN UND E-BIKE-HYBRID

Hier wird der Einsatz des ASB-Videobodens als Hallenboden für Basketball demonstriert ©ASB Glass Floor

Einmal über das Wasser laufen oder doch lieber über eine Highline balancieren? Dieser Traum kann nun durch das Oberbayerische Unternehmen ASB Glassfloor Wirklichkeit werden – zumindest virtuell. Ursprünglich als Werbefläche gedacht, eröffnet der aktuell vorgestellte Videofußboden mit integrierter LED-Technologie ganz neue visuelle Welten. Der Einsatz des sogenannten Lumiflex-Bodens, der nach DIN EN 14904:2006 entwickelt ist, bietet zahlreiche Anwendungs-Möglichkeiten. Dazu gehören Hallenböden für Ballsport, Verkaufsflächen in Stores, Reception-Halls sowie virtuelle Gaming-Welten.

ispo: Innovations
Das Smarcircle erinnert optisch an eine Brille, konzeptionell ist es ein Rad-Roller-Hybrid ©Almut Otto

Das nur 7,5 Kilogramm schwere, klappbare E-Bike von Smacircle könnte der perfekte Begleiter für längere Stadttouren werden. Zusammengeklappt passt das Modell mit dem Packmaß von etwa 49 x 29 x 19 cm in jeden Rucksack. In nur fünf Schritten wird es zu einem mobilen Fahrzeug, das sich als „Fahrrad-Roller-Hybrid in kurioser Brillenform“ am besten beschreiben lässt. Per App kann die Batterieladung geprüft, die Geschwindigkeit kontrolliert sowie auch das Bike abgeschlossen werden. Noch ist das etwa 1400 € teure Modell aus Shenzen nicht in Europa erhältlich.

Gestern präsentierte der Bund Deutscher Radfahrer die German Cycling Academy. Das unter anderem durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft geförderte Projekt kooperiert mit der Innovationsmanufaktur aus München, Pantera Rosa aus Frankfurt am Main und vor allem der e-Cycling Plattform Zwift. Gemeinsam sollen verbandsrelevante e-Cycling-Wettkampf- und Trainings-Formate entwickelt werden. Denn Zwift bietet Nutzern die Möglichkeit, in einer virtuellen Landschaft per Rad unterwegs zu sein und dabei sogar professionell zu trainieren. Teilnehmern der Cycling Academy soll das gesamte BDR Know-how inklusive dem ehemaligen Profi-Radler Tim Böhme als Head-Coach zur Verfügung stehen. Ziel des Projektes ist unter anderem die Erschließung neuer Zielgruppen sowie die Sichtung neuer Talente für den Spitzensport. Der nächste wichtige Termin ist die erste digital ausgetragene Meisterschaft der Plattform, der Zwift National Cup am 24.02.2019.

Bild oben: Per Headset Headset wird das Atemgas diagnostiziert ©Vitascale

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Dieser Artikel erschien am 6.2.2019 in der Innovation Origins.

ANTIAGINGBEHANDLUNG VON STAMMZELLEN STÄRKT ABWEHRKRÄFTE

Gesund altern könnte zukünftig Realität werden. Denn einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlern aus der Immunologie und Stammzellenforschung der Uni Ulm ist es kürzlich gelungen, körpereigene Abwehrkräfte im Modell zu verjüngen. Das Team um Prof. Hartmut Geiger, Leiter des Instituts für Molekulare Medizin, und Prof. Reinhold Schirmbeck, Gruppenleiter an der Universitätsklinik für Innere Medizin I., wies zunächst die wichtige Rolle der blutbildenden Stammzellen bei der Alterung des Immunsystems nach. Bisher galt hierfür als Hauptursache ‒ da hier wichtige Immunzellen reifen ‒, die Rückbildung der Thymusdrüse. Doch der Blick auf die Stammzellen brachte neue Erkenntnisse: Der sogenannte „Wartungsdienst“ des Körpers, der unter anderem für die Regeneration von Blut- und Immunzellen sorgt, verliert im Alter – wie der übrige Organismus auch –, seine Leistungsfähigkeit. Die Stammzellen können also ihrem Reparaturauftrag nicht mehr so gut nachkommen. Schon in früheren Arbeiten zeigte Geiger bereits, dass blutbildende Stammzellen im Alter auf ein anderes Signalsystem umstellen. Genau das soll sozusagen Chaos im „Wartungsbetrieb“ auslösen. Mithilfe der pharmakologischen Substanz Casin lässt sich diese Umstellung jedoch rückgängig machen.

ERFOLGREICHE VERJÜNGUNGSKUR IM MODELL

Die Ulmer Wissenschaftler untersuchten in einem neuen Knochenmarks-Transplantationsmodell inwiefern die Alterung blutbildender Stammzellen tatsächlich die Leistungsfähigkeit des Immunsystems beeinflusst. Dazu isolierten sie Stammzellen aus dem Knochenmark älterer und junger Mäuse. Ein Teil der älteren Stammzellen erhielt anschließend die oben schon beschriebene „Verjüngungskur“ mit Casin. Im nächsten Schritt wurden die alten, jungen und verjüngten blutbildenden Stammzellen transgenen Mäusen, die über kein eigenes Immunsystem verfügen, übertragen. Bereits nach zwölf Wochen konnten die Forschenden die Leistungsfähigkeit der Abwehrsysteme, die aus den Transplantaten entstanden waren, überprüfen. Sie untersuchten dabei unter anderem die Impfreaktion. „Bei der Impfung werden bekanntlich unschädliche Varianten von Erregern verabreicht, woraufhin das Immunsystem Abwehrzellen bildet. Im Infektionsfall helfen diese bereits vorhandenen Abwehrzellen dabei, rasch auf Bakterien oder etwa Viren zu reagieren“, erklärt Dr. Hanna Leins, Erstautorin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Molekulare Medizin das Vorgehen, „die Impfreaktion kann also Auskunft über die Funktionsfähigkeit der körpereigenen Abwehr geben.“

Forschung über die Bedeutung blutbildende Stammzellen für den Alterungsprozess
Das Forscherteam (v.l.): Prof. Hartmut Geiger, Dr. Hanna Leins, Prof. Reinhold Schirmbeck und Juniorprof. Medhanie Mulaw ©Andreas Brown

Im Modell konnten die Forscher die erfolgreiche Verjüngung der blutbildenden Stammzellen und infolgedessen des Abwehrsystems nachweisen: Die Impfreaktionen des jungen und des aus verjüngten Stammzellen entstandenen Immunsystems erwiesen sich nämlich als gleich stark. Während erwartungsgemäß das Abwehrsystem aus alten Stammzellen wesentlich schwächer auf die Impfung reagierte.

BEHANDLUNGSERFOLGE FÜR SENIOREN

Die Forschungsergebnisse dürften wichtige Anhaltspunkte zur Behandlung von Senioren geben. Denn da mit zunehmendem Alter das Immunsystem immer schwächer wird, sind ältere Menschen anfälliger für Infektionen. Auch Impfungen – zum Beispiel gegen Grippe – wirken weniger gut. „Insgesamt belegen unsere Ergebnisse die wichtige Rolle der blutbildenden Stammzellen bei der Alterung des Immunsystems. Altern diese Stammzellen, kann sich das Abwehrsystem nicht mehr ausreichend regenerieren. Der Organismus wird anfälliger für Infektionen“, so der Fachmediziner für Inneres, Professor Reinhold Schirmbeck. „Im Modell haben wir aber auch gezeigt, dass wir die Uhr zurückdrehen können: Die Verjüngung gealterter Stammzellen kann die Immunkompetenz im Alter wiederherstellen“, ergänzt Stammzellexperte Professor Hartmut Geiger. Die Ergebnisse der Wissenschaftler führen zu einem besseren Verständnis des alternden Immunsystems und zeigen, dass die Leistungsfähigkeit der Abwehrkräfte wesentlich von blutbildenden Stammzellen abhängt. Langfristig könnten die neuen Erkenntnisse zu einem gesünderen Altern beitragen sowie die Erfolge von Impfungen oder der Immuntherapie bei Krebserkrankungen im Seniorenalter verbessern.

EINE DER BESTEN PUBLIKATIONEN AUS 2018

Die Ulmer Forschungsarbeit wurde vom US-Journal Blood als eine der besten Publikationen des vergangenen Jahres gelistet. Sie ist das Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit der Ulmer Universitätsmedizin (Innere Medizin I, Institut für Molekulare Medizin) mit der geriatrisch ausgerichteten Agaplesion Bethesda Klinik in Ulm (Professor Michael Denkinger). Gefördert wurden die Wissenschaftler im Zuge des Verbundes SyStaR vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Zudem unterstützte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Team über das Graduiertenkolleg CEMMA (Cellular and Molecular Mechanisms in Aging).

Bild oben: Messung von Impfantworten mittels ELISPOT. Die Anzahl der Spots (blaue Punkte) spiegelt die Stärke der Immunantwort wider ©Andreas Brown

Dieser Artikel erschien am 31.1.2019 in der Innovation Origins.

GRÜNE WOCHE BERLIN: ESSBARE EISLÖFFEL SIEGER DER STARTUP-DAYS

“Don’t waste it ‒ taste it!” ist das Motto des nachhaltigen Start-ups Spoontainable. Die Erfindung eines essbaren Eislöffels brachte drei Studentinnen aus Hohenheim den 1. Platz bei den „Startup-Days“ ein. Diese finden jährlich während der Internationalen Grünen Woche (18.-27.1.2019) in Berlin statt. Ziel der Preisverleihung ist, Gründer mit traditionellen Stakeholdern aus dem Lebensmittelhandel zu vernetzen. Insgesamt hatten sich 50 junge Unternehmen beworben. Von diesen kamen 20 in die Finalrunde. Über zwei Tage dauerte der jeweils fünfminütige Pitch im Professional Center, bis sich die sechsköpfige Jury aus Vertretern des Handels, Experten aus dem Lebensmittelbereich und der Start-up-Förderung für den Sieger Spoontainable entschied. Der 2. Platz ging übrigens an Hans Brainfood. Das bayerische Unternehmen produziert Riegel, die ausschließlich aus geschälten Hanfsamen und Honig bestehen. Den 3. Platz ergatterte De Caña Panela Naturzucker, ein 100 Prozent biologischer Zucker aus dem Hochland Kolumbiens.

LÖFFELKEKSE SOLLEN PLASTIKFLUT VERRINGERN

Start-up Spoontainable
Die essbaren Eislöffel aus Kakaoschalenfasern halten etwa eine Stunde im Eis bevor sie ihre Form verlieren ©Spoontainable

Spoontainable wurde 2018 von den Studentinnen Amelie Vermeer, Julia Piechotta und Anja Wildermuth gegründet. Die Idee dazu entstand, nachdem den drei umweltbewussten Eisfans bewusst wurde: Plastikeislöffel landen nach nur einmaligem Gebrauch direkt im Müll. Hochgerechnet bedeutet das für Deutschland derzeit etwa eine Menge von 360 Millionen unnötigem Plastiklöffel-Müll per Jahr. Den Studentinnen war klar: das können und müssen sie ändern. Die Jung-Unternehmerinnen wollten ihre interdisziplinären Kompetenzen nutzen, um zumindest im Sommer die Plastikflut etwas eindämmen zu können. So fingen sie an, einen essbaren Eislöffel zu kreieren. Während Vermeer und Piechotta ihr Know-how aus dem Management-Studium einbrachten, ergänzte Wildermuth das Team als Studentin der Ernährungswissenschaften und Diätetik.

EINZIGARTIGE REZEPTUR

Ihre Freude an Rezepturen und die Überzeugung, unternehmerisch ein nachhaltiges Zeichen setzen zu können, ließ das Team erfinderisch werden. Die Studentinnen entwickelten über ein Jahr an ihrer  außergewöhnlichen Rezeptur, deren Hauptbestandteil die Kakaoschalenfaser ist. Der essbare Naturstoff bringt Farbe, Geschmack und Konsistenz in den Löffel. Zudem ergänzt er das Mehl für den späteren Keks. Nach der Entwicklung von zehn Prototypen und dem Test verschiedener Geschmacksrichtungen wie Zimt, Zitrone und Vanille, entschied sich das studentische Power-Team zunächst nur mit dem Schokoladenlöffel auf den Markt zu kommen. Dank seiner einzigartigen Konsistenz hält der schmackhafte Keks-Löffel bis zu einer Stunde im Eis, bevor er die Form verliert. Die essbaren Eislöffel sind übrigens vegan, zuckerfrei, reich an Ballaststoffen und ‒ ob mit oder ohne Verzehr ‒ natürlich nachhaltig.

MARKTREIFE IM APRIL

Mittlerweile hat das Hohenheimer Start-up ein Patent auf die Rezeptur angemeldet. Auch ist der Kontakt zu einem internationalen Vertriebspartner hergestellt. Dieser unterstützt das Eislöffel-Team mit seinem Know-how aus dem Feingebäck, der Produktoptimierung und der veganen Zubereitung. Ein ostdeutscher Produzent sowie ein Investor sind auch schon gefunden. Nun sind die jungen Unternehmerinnen auf der Suche nach B2B-Kunden sowie weiteren Kontakten. Pünktlich zum Start der Eisdielenzeit, also ab April, sollen die ersten Spoontainables auf dem Markt erhältlich sein.

Die Studentinnen lernten sich übrigens über Enactus Hohenheim kennen. Das international organisierte Netzwerk Enactus hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt im Kleinen durch unternehmerische Projekte zu verbessern. Möge es für die Eislöffel gelingen.

Bild oben: Mit den schmackhaften Löffeln von Spoontainables wird Eisessen sogar nachhaltig ©Spoontainable

Dieser Artikel erschien am 30.1.2019 in der Innovation Origins.